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Stadt der zwei Halbmonde

Mahdia ist ein Provinzstädtchen an der tunesischen Mittelmeerküste mit einer bewegten, teilweise verwegenen Vergangenheit. Die Phönizier bauten hier vor 2500 Jahren einen Hafen, Julius Cäsar gewann in der Nähe von Mahdia eine wichtige Schlacht, und die Dynastie der Fatimiden errichtete eine Hauptstadt mit Kalifenpalast und gab der Residenz den arabischen Namen Mahdia. Schließlich wurde Mahdia zur Seeräuberhochburg: Erst vor gut 140 Jahren wurden die letzten Piraten ausgeräuchert.

Von Franz Nussbaum |
    Es sind schon frühlingsmilde Temperaturen. 16 Grad. Wir hören die Wellen an der Spitze der Halbinsel. Gute 1,5 Kilometer ist dieses Cap Afrika lang. Ein großer muslimischer Friedhof. Hier muss einmal vor 1100 Jahren der prunkvolle Palast der Fatimiden - Kalifen gestanden haben. Von dem aber kein Stein, keine Zeichnung erhalten ist. Drüben ein kleines ummauertes Hafenbecken mit einer schmalen Einfahrt. Professor Christoph Rüger:
    " Wenn sie als Archäologe der Antike nach Mahdia kommen, dann ergreift sie überhaupt kein römisches oder punisches Gefühl. Dieser Ort am Cap Afrika ist geprägt von dem 9. und 10. Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Da geht es eigentlich erst los. Dreihundert Jahre nach der Hedschra. Aber, wenn Sie dann hier runterschauen und schauen über diese weißen Gräber dieses herrlichen muslimischen Friedhofs am Gestade, weg nach rechts, da sehen sie das, was sie da grade gesagt haben, so ein ausgehauenes Viereck. Das ist natürlich römisch oder punisch. Ein kleiner Kothon, das ist der Terminus technicus für einen punischen Hafen, ein Kothon. "

    Ein antiker Hafen, der auch heute noch von kleinen Fischerbooten angesteuert wird. Und die Römer? Sind sie nur hier in der Nähe gewesen, haben sie aber der strategischen Lage, einer ins Meer hineinreichenden Halbinsel nichts abgewinnen können?

    46 v. Chr. schlägt Julius Cäsar in Thapsus, das ist von hier eine Tagesetappe entfernt, eine seiner wichtigsten Schlachten gegen innerrömische Rivalen und deren Söldner. Cäsars Feinde sind die Urenkel des bekannten Cato. Bekannt wegen seiner Propagandaoffensive "und deswegen muss Carthago zerstört werden", das war sein rhetorisches Dauerfeuer, damals. Seine Urenkel wollen der Alleinherrschaft des Imperators Cäsar nicht zustimmen, die sich dieser auf zehn Jahre genehmigt hat. Cäsar, 54 Jahre alt, der Sieger dieser Schlacht in Thapsus, lässt sich feiern. Seine Gegner begehen Selbstmord. Wehe den Besiegten. Zwei Jahre später wird Cäsar im März in Rom erdolcht. Ein Revanchefoul an dem Sieger. Und heute?

    Heute fährt man mit einer elektrischen Bahn von Sousse an Monastir vorbei, an diesem Thapsus auch vorbei. Keinerlei Hinweise im Ort, auch kein Hinweis in den ansonsten ja guten deutschen Reiseführern, reist man mit der Elektrischen bis Mahdia. Und steht dann hier am kleinen punischen Hafen und sucht nach den Römern.
    Rüger: " Von Mahdia sind keine vorgeschichtlichen Spuren, außer diesem kleinen Becken. Und da haben wir uns schon in den 70er Jahren gefragt, ja, was ist denn hier eigentlich los? Ich glaube in der Antike war Mahdia nicht mehr, diese Bucht hier ein großes Becken für die Thunfischjagd, wo man die Grundnetze aufstellen konnte und die Thunfische rein trieb. Ein großes Becken. Und von hier wurde Groß-Thunfischjagd betrieben. "

    Und ich habe hier eine postkartengroße Abbildung eines römischen Mosaiks dabei, wo Jungs oder Jünglinge in den Fluten mit Thunfischen oder vielleicht sind das auch Delphine rumschäkern. Und nun suchen wir nach den Spuren der muslimischen Eroberer, die ab 650 aus der arabischen Wüste kommend, auch über das heutige Tunesien und über die Berber hinwegbrausen und erst in Spanien, hart an Pyrenäen zum Stehen kommen. Und die auch den römischen Päpsten und Karl dem Großen den politischen Angstschweiß auf die Stirne treiben.

    So wird, 100 Kilometer von Mahdia entfernt, Kairouan, die heilige Hauptstadt des westlichen Islams gegründet. Und die heute noch sichtbaren Bauwerke jener Zeit in Mahdia, das ist jene mächtige Stadtmauer, die diese Halbinsel, das ist dieses Cap Afrika, vom Festland abtrennt. 14 Meter dicke Mauern. Und noch viel mächtiger das "Skiffa el Khala" das angeblich berühmteste Stadttor des ganzen Maghreb
    Rüger: " Das war ein gewisser "Obeayed Allah el-Mahdi, der Große", der im Jahre 912 aus Kairouan hier her kommt. Kairouan war die Hauptstadt der Araber im Westen gewesen. Wenn sie heute noch viermal nach Kairouan wallfahrten ersetzt das eine Wallfahrt nach Mekka. "

    Warum gibt er Kairouan auf?

    Rüger: " Weil er eine neue Dynastie gründet. Es ist ein Sezessionist. Er wird ein Kleinkönig und hat in Kairouan keinen Platz mehr. Und da nimmt er einen unbebauten Platz, der Hafenmöglichkeiten verspricht, von drei Seiten Wasser. Das ist eben Mahdia! "
    Also diese vorspringende Landzunge, von drei Seiten mit Meer umgeben. Dazu baut man eine umlaufende Stadtmauer. In deren Schutz steht der opulente Kalifenpalast. Daneben eine große Moschee, Arsenale, Waffenkammern. Natürlich auch die Räumlichkeiten für die Landesverwaltung, für einen hoch gebildeten Beamtenapparat. Garnison natürlich. Künstler, Musiker, Schriftsteller, Hofjuweliere. Es durfte in diese Residenzstadt nur eintreten, wer Anhänger der Fatimidischen Glaubensrichtung war, Schiiten. Die Fatimiden leiten ihren Namen von Fatima, der Tochter des Propheten ab. In dieser blühenden Residenz soll es zu bemerkenswerten künstlerischen Leistungen gekommen sein. So auch, dass es Frauen möglich war, nach dem Beispiel der Prophetentochter Fatima, einflussreiche Positionen einzunehmen. Aber alles, alle Bauten sind dann später von Arabern, Genuesen, Spaniern, Türken, Osmanen zerstört worden. Stattdessen sehen wir einen gewaltigen Festungsklotz, der aus dem Schutt der zerstörten Kalifenstadt errichtet worden ist. Amour Zagout:

    " "Bordj-el-Kebir", ich übersetze das mal arabisch. Kebir heißt groß, Bordj ist Festung. Große Festung. Diese spanische Festung ... "

    Es ist ja heute oft so, dass wir Europäer so ein bisschen auf das Arabische herunter gucken. Und wir vergessen dabei, dass wo in Europa das finstere Mittelalter war, eine ganz hohe arabische Kultur war. Beispielsweise, die Erkenntnis, dass diese Erde keine Scheibe, kein Omelett war:

    Zagout: " Ja, während dieser Abbasidenzeit. Der große Harun ar Raschid, der eine Freund von Charlemagne, hat er, sagt man, eine Geschenk an Charlemagne gemacht. Und sein Geschenk war eine Kugel von diese Erde in Gold. Bevor Galilei, lange bevor Christoph Colombe hat oder Magellan diese Rundreise gemacht hat, um zu zeigen was Erde ist. 8. und 9. Jahrhundert nach Christuns sieht man so, dass diese Erde ist eine Kugel, nicht eine ganze flache. Die Kirche wollte nicht, dass diese Idee ... "

    Es passte ihr nicht in ihren Himmel hinein. Und es muss gleichzeitig hinzugefügt werden, dass sich die einzelnen arabischen Dynastien unter der grünen Fahne des Propheten unter einander nicht grün waren. Schiiten, Sunniten. Jeder legt sich den Koran und seine individuelle Abstammung vom Propheten so aus wie es am besten ins politische Schatzkästlein passte. Einige Generationen nach der Gründung dieser Residenzstadt müssen die Fatimiden von Mahdia wegen interner Streitigkeiten wieder diese Hauptstadt aufgeben und fliehen nach Ägypten. Sie gründet dort die Stadt Kairo. Erkennen Sie die Namenswurzel? Die Fatimiden kamen ja vorher aus Kairouan. Es nisten sich dann 1148 hier in Mahdia, in instabilen Zeiten, die Normannen ein. Das ist eine Nebenlinie der umtriebigen Wikinger, die sich über Frankreich, Italien, Sizilien in den Mittelmeerraum vorkämpfen. Die Paläste von Mahdia werden geplündert, verfallen, sind schließlich nur noch Steinbruch für neue Festungen. Wie geht es dann weiter?

    Rüger: " Es kam ja das Gold durch die Sahara. Das Gold der Goldküste von Ghana kommt durch die Karawanen an die Küste. Und vergessen wir eins nicht: Das ganze Mittelalter hindurch, bis 1860 Piraten! Piraten und Sklaven. Die Malteser-Ritter rüsten 1503 unter einem Kapitän, der aus Madrid stammt und das in seinem Tagebuch sehr schön, auch auf Deutsch zu lesen, alles publiziert hat. Und fahren nachts vor eine Stadt. Dann fallen die Schiffsbesatzungen da ein. Die frommen Ritter nehmen da alles mit, was sie finden können an Schmuck und dergleichen. Und nehmen so und so viele Leute gefangen und gehen damit nach Malta. Und die werden jetzt wieder ausgetauscht gegen die christlichen Gefangenen, die von den Mauros, den Maurenschiffen genommen werden. Es ist der größte Handel im Mittelalter. Die heute da tätig sind im Irak, mit ihren Geiselnahmen. Das sind Waisenknaben gegen diese jahrhundertalte Industrie, die beidseitig war. Christen waren nicht besser als die Moslems "

    Rund ums Mittelmeer ist überfallen, gekapert, einkassiert, ausgetauscht, erpresst worden.

    Rüger: " Denken sie an Cervantes: Der spanische Nationalschriftsteller war zehn Jahre in Tunis, als Sklave. Der wurde an der Küste zwischen Malaga und Almaria, haben sie den aufgegabelt. Denn die kamen ja bis dahin. Die fuhren hinauf bis an die deutschen Nordseeinseln, nach Borkum. Es war ein Lösegeldgeschäft. Und Mahdia war einer der Plätze, der befestigt war, wo man Sklaven gut unterbringen konnte und dann aufs Lösegeld wartet. "

    Ein brutales, zynisches Geschäft, fernab der verfilmten Errol-Flynn-Romantik. Und es dauert bis zum Einmarsch französischer Truppen in Nordafrika und der Eröffnung des Suezkanals.

    Ein ganz anderes Kapitel darf ich abschließend noch aufschlagen. Es dreht sich um die Schwammtaucher von Mahdia. Drahtige Kerle mit riesigen Lungenvolumen. Die finden in fast 40 Metern Tiefe vor genau 100 Jahren die Reste einer antiken Schiffsladung. Die wird dann gehoben und geht als der "Schatz von Mahdia" in das Bardo-Museum nach Tunis. Um es kurz zu fassen, es kommt dann in diesem weltberühmten Museum zu einer Brandkatastrophe. Unter anderen bietet das Rheinische Landesmuseum in Bonn den Kollegen in Tunis Hilfe an und übernimmt den Schatz zur Restaurierung der enormen Brandschäden.

    Und so machen wir nun einen Sprung nach Bonn, in das Rheinische Landesmuseum und tauchen bei Dr. Hoyer von Prittwitz auf. Er kennt "seinen" Schatz von Mahdia. Und er hat Fotos für uns. Auf dem abgesoffenen Schiff, das aus Athen kam, waren luxuriöse Kunstgegenstände verladen. Salopp gesagt, halb geklaut, halb gehandelt. Beispielsweise zwei Meter hohe "Blumenvasen". Und solche überdimensionalen Gefäße mit hochwertigst, mit brillant gearbeiteten umlaufenden Figurengruppen, so etwas stellte sich der Römer von Welt oder der neureiche Globalplayer damals in seinen Park:

    v. Prittwitz: " Die Kratere zierte ein Fries, auf denen Dionysos und dionysische Figuren und Satyrn im Tanz miteinander verbunden sind. Die Kratere waren aus Marmor. Und das war das Besondere, in Italien gab es zu dieser Zeit noch kein bekannter Marmor. Der Carraramarmor, den wir heute kennen, der wurde erst 50 Jahre später entdeckt. "

    War Marmor ein absoluter Luxus, weil sie ihn ja selbst nicht hatten?

    v. Prittwitz: " Und das ist auch der Grund warum man eben aus Griechenland neue Kunstwerke kaufte, aber eben auch, zum Beispiel aus Heiligtümern, die offen standen, die verfallen waren, da wurde Gegenstände herausgenommen und gelangten in den Kunsthandel. "

    Nun zeigen Sie mir hier eine Figur, ein geflügelter junger Mann.

    v. Prittwitz: " Das ist der Liebesgott Eros, der hier als etwa 12-Jähriger dargestellt ist. Lebensgroß, aus Bronze gegossen. Das muss ein sehr wertvolles Stück gewesen sein, ein absolutes Highlight, auch in der Ausstellung. Ein stehender Jüngling, der die rechte Hand an die Schläfe legt. Die Linke ist vorgestreckt, dass er in der Hand einen Bogen und zwei Pfeile gehalten hat. Und das ist eben typisch für den Liebesgott Eros. "

    Wo hat man sich die hingestellt?

    v. Prittwitz: " Gibt's alle Möglichkeiten. Die konnte man in die Speisesäle ..., weil diese Figuren Anlass boten, sich darüber zu unterhalten, also über die Einstellung zu diesem Gott Eros. Vielleicht hat auch der Hausherr amouröse Abenteuer gehabt, so dass er genau deswegen diese Figur suchte. Die Kunst war wie auf den Krateren, wie in den Götterbildern überall vertreten in diesen Häusern der reichen Römer. "

    Der Mann, für den vielleicht diese Ladung bestimmt war, wie müssen wir uns diesen Mann vorstellen?

    v. Prittwitz: " Wir wissen von Cicero, dass er sich aus Griechenland hat Kunst kommen lassen. Und seinen Kunsthändler in Athen hat er aufgefordert ihm Philosophenbilder oder Bilder der Athena für seine Bibliothek zu schicken. Auf keinen Fall aber Satyrn und Menaden. Denn das waren Figuren, die mit dem Lebensgenuss zu tun hatten. Und das war nicht eine Sache des Cicero. Also ist der Auftraggeber, der nun genau diese Kratere haben wollte, eher so ein Lebemann. "

    Wenn wir das alles zusammenfassen, vieles ist vor Mahdia - und in Mahdia, auch aus den Palästen der Kalifen wörtlich "untergegangen". Und der gehobene "Schatz von Mahdia" gibt uns kleine Antworten wie sich die gehobenen Kreise, Politiker, Philosophen, Banker rund um das Mittelmeer eingerichtet und profiliert haben. Und wie sie gelebt und gelabert haben.