Archiv


Stadt mit Charme und Charakter

Kaum eine andere Stadt im Land Brandenburg hat ihren mittelalterlichen Charakter so sehr bewahren können wie Bernau. Die kleine Stadt nördlich von Berlin, in der heute rund 37.000 Menschen leben, vereint in besonderer Weise historische Gebäude und ostdeutsche Architektur.

Von Thomas Gith |
    Im Bernauer Stadtzentrum leuchtet in diesen Tagen der Weihnachtsschmuck. Grüne Girlanden schlängeln sich zwischen den Laternen entlang, Tannenbäume stehen unter funkelnden und beleuchteten Feststernen. Der Dezember ist in Bernau weihnachtlich. Bei einem Spaziergang durch die Innenstadt taucht man in diese Jahresendstimmung ein - und in eine an Geschichte und Geschichten reiche Vergangenheit. Davon zeugt unter anderem das Kantorhaus - das älteste Wohngebäude der Stadt, das nahe der weihnachtlichen Einkaufsstraße steht und bereits 1582 errichtet wurde, sagt Stadtführer Bernd Eccarius.

    "Ja, das besondere an dem Haus ist die Bauweise. Das ist also ein Ständerbau, der für diese Gegend unüblich war. Hier hat man eigentlich andere Fachwerkhäusertypen gebaut. Das ist das eine. Das Zweite ist, dass da draußen dran steht, dass es sich bei diesem Haus um Buden handelt. Und da stutzt jeder, der sich nicht so genau auskennt, denn Buden, das waren die Häuser, die Wohnstätten von Nicht-Vollbürgern. Das steht ja auch dran, es hat also den Giebel nicht zur Straßenseite, sondern hat den Giebel also mit dem Straßenverlauf, steht also mit der Breitseite zur Straße. Das ist eine Bauweise, die später dann üblich wurde, aber für die Zeit, also 16. Jahrhundert, ist das natürlich was Besonders."

    Seit dem späten 16. Jahrhundert lebten in diesem einfachen Haus der Kantor, der Organist und die Witwen der Männer, die diese Stellung ehemals inne hatten. Bis vor kurzem war die Musik übrigens immer noch bestimmendes Element im Kantorhaus: Als Sitz der Kreismusikschule. Für die wurden die engen Buden - die man sich als kleine Wohnungen mit je eigener Feuerstätte vorstellen kann - aber bald zu klein und so sucht das Gebäude jetzt eine neue Bestimmung.

    Begehen lässt es sich derzeit also nicht - doch auch die aufwendig rekonstruierte Fassade erzählt von der einstigen Geschichte des Wohnhauses.

    "Wie kann man sich das Leben im Kantorhaus hier vorstellen: Erstens waren in diesem Haus, in diesem Gebäude, waren drei Buden untergebracht, hier wohnten also drei Familien. Wir stehen ja jetzt auf der Rückseite, zwischen Stadtmauer und Gebäude, hier war der Garten, ein kleiner Gemüsegarten, ein kleiner Kräutergarten. Wird wohl sehr beschaulich gewesen sein und ich kann es mir auch gemütlich vorstellen."

    Die niedrigen Decken in dem weiß getünchten Fachwerkhaus mit dem roten Ziegeldach mögen von dieser heimeligen Atmosphäre zeugen. Doch niedrig waren die Decken nicht nur, weil die Menschen früher kleiner waren, sondern auch, um die Buden im bitterkalten Winter schneller warm zu bekommen. Das Leben im damaligen Bernau wird also durchaus seine rauen und bedrohlichen Seiten gehabt haben - und davon zeugt auch die aus massiven Feldsteinen errichtete Stadtmauer, die sich wenige Meter hinter dem Kantorhaus erhebt. Errichtet wurde sie im 13. und 14. Jahrhundert - um Angreifer abzuwehren, die die reiche Tuchmacherstadt Bernau überfallen wollten.

    "Also man muss sich einfach vorstellen, man hat hier eine acht Meter hohe Stadtmauer und vor dieser Stadtmauer einen acht Meter tiefen Graben. Das sind schon mal 16 Meter Höhenunterschied, und um die zu überwinden, muss man schon eine hohe Leiter haben. Dazu waren die Gräben oft mit Wasser gefüllt, weil wir hier in einem Sumpfgelände stehen, und damit lief Schichtenwasser in diese Gräben. Also feuchte Füße hat man auch noch als Angreifer bekommen. Und in den Lughäusern, davon gab es 42 Stück, saßen dann so etwa 400 bis 500 bewaffnete Bernauer, die mit Steinen und mit den Fernwaffen des Mittelalters, also Armbrust, Bogen, später auch mit der Büchse, die Stadt verteidigt haben. Das war ein nicht sehr angenehmer Job für die Angreifer, Bernau einzunehmen."

    Und darum sind auch zahlreiche Angreifer an Bernau gescheitert: Als etwa 1432 die revolutionären Hussiten Bernau einnehmen wollten, unterlagen sie der Gegenwehr der Bürger. Was damals genau auf dem Schlachtfeld geschah, ist nicht bekannt. Doch bis heute wird in Bernau an die Verteidigung der Stadt erinnert - mit dem Hussitenfest am zweiten Juniwochenende.

    Von den knapp 1500 Metern Stadtmauer sind übrigens bis heute große Teile erhalten geblieben - denn viele Jahrhunderte lang behinderte sie das Stadtwachstum nicht, sagt Bernd Eccarius.

    "Und im 19. Jahrhundert hat man den ästhetischen Wert der Stadtmauer erkannt und da waren es Leute wie Wernicke als Stadtverordnetenvorsteher, aber auch andere, die erkannt haben, das ist eine Chance für uns. Wir haben keine industrielle Entwicklung hier, wir müssen irgendetwas machen, und da ist Tourismus - oder wie man damals das so schön nannte: Fremdenverkehr - genau der richtige Ansatz um irgendetwas zu holen. Und um mit Fremdenverkehr wuchern zu können, brauchen wir die Stadtmauer. Und die müssen wir ausbauen, und genau das hat man dann auch gemacht."

    Denn ohne Pflege und Restauration wäre die massive Feldsteinmauer wohl schon längst verfallen. Doch bis heute schlängelt sie sich um den Stadtkern - zu dem auch die schon von Weitem sichtbare St.-Marien-Kirche gehört.

    Über eine mit massiven Metallbeschlägen versehene Holztür geht es in das Innere der gotischen Backsteinkirche: Vier hochgewölbte Hallengänge bilden den Kirchenraum, in den das Tageslicht durch lang gezogene Spitzbogenfenster fällt. Fertiggestellt 1519, war die St.-Marien-Kirche das Prunkstück der Stadt - ermöglicht durch den Reichtum der Bernauer, sagt Pfarrerin Konstanze Werstat.

    "Bernau war ja eine Bierbrauer- und Tuchmacherstadt und ein Handelsknotenpunkt ,und aus verschiedenen Bereichen kam dann das Geld zusammen und damals war ja Bernau auch noch in Konkurrenz zu Berlin. Die Berliner bauten ihre Marienkirche und die Bernauer wollten da auch nicht hinten anstehen und sagten, was die können, können wir auch, oder sogar noch größer, schöner."

    Von diesem einstigen Glanz zeugt die farbige Bemalung der Kirche, die sich an einigen Stellen noch erkennen lässt: Die Gewölbe der Hallengänge sind weiß getüncht und mit roten Linien verziert, an den tragenden Säulen finden sich gelbe, grüne und blassrote Verzierungen, und im Gewölbe lässt sich noch leicht angedeutet ein farbenreiches Blumenornamente erahnen.

    "Mein Vorgänger, Pfarrer Hasse, der sagte immer, das Mittelalter war eigentlich eine recht farblose Zeit, Farben kosteten Geld und das konnte sich nicht jeder leisten, so wie wir das heute kennen in Kleidung und Bemalung, das gab es eben damals nicht und die Kirche bildeten da den absoluten Kontrast. Wenn man damals durch die Brautkapelle die Kirche betrat, das war eine Farbenorgie kann man fast sagen, die den Leuten damals klar machte, hier betreten wir einen ganz besonderen Raum, einen heiligen Raum."

    Ein heiliger Raum, der auch vom Reichtum der Stadt im Mittelalter kündet. Von der St.-Marien-Kirche sind es wiederum nur einige Schritte zur Stadtmauer. Entlang den hoch übereinander getürmten und fest vermauerten Feldsteinen geht es einen Sandweg lang bis zur einstigen Bernauer Eingangspforte: dem Steintor. Ein aus roten Backsteinen gemauerter, viereckiger Wachturm wird hier durch einen zweigeschossigen Wehrgang mit dem runden und 28 Meter hohen Hungerturm verbunden. Ein bis heute besonderer Ort für Bernau, sagt Monika Ulbricht von der Touristinformation.

    "Das Steintor hat heute die Bedeutung, dass es ein Wahrzeichen für die Stadt ist. Und Anziehungspunkt auch für viele Gäste in der Stadt, die hier sich noch mal mit dem Mittelalter beschäftigen wollen. Man kann auf den Turm steigen, man hat in den Abteilungen des Steintores auf drei Etagen museale Ausstellungsstücke zu sehen, die so ein bisschen die Stadtgeschichte vom Anfang der Stadt bis zum heutigen Zeitpunkt darstellt."

    Museumsleiter Bernd Eccarius öffnet eine schwere Holztür: Über einige Steinstufen führt der Weg nach oben zum Wehrgang. Auf den Holzdielen des Wehrgangs steht unter anderem ein Querschnitt des Gebäudekomplexes - es ist ein Ausstellungsstück des Heimatmuseums, das Gäste von Mai bis Oktober besuchen können. Auch die Geschichte des Steintores wird hier thematisiert.

    "Das Steintor selber: Der Baubeginn liegt hier im 13. Jahrhundert. Das haben wir archäologisch nachgewiesen. Und dann ist diese Anlage sukzessive ausgebaut worden, bis ins 16./17. Jahrhundert hinein. Ab dem 17. Jahrhundert haben solche Verteidigungsanlagen keine militärische Bedeutung mehr gehabt, also keine größere militärische Bedeutung. Bernau war ja dann eine verödete Kleinstadt gewesen, man hat hier nicht mehr viel gemacht, aber es störte auch nicht."

    Im Dreißigjährigen Krieg starb ein Großteil der Bernauer - die bis dahin florierende Wirtschaft brach zusammen und die Stadt verlor ihren Reichtum. Das Steintor aber blieb erhalten, wie auch die St.-Marien-Kirche oder das Kantorhaus.

    Wer sich die Mühe macht und den Hungerturm hinauf steigt, der kann von hier oben über die Stadt blicken: Die St.-Marien-Kirche fällt allein schon wegen ihrer Größe in den Blick, entlang der Stadtmauer schmiegen sich auf weiten Teilen sanierte Plattenbauten. Monika Ulbricht:

    "Wenn man durch die Stadt geht, sieht man sehr viele neue Häuser, aber dadurch dass die alten Straßenzüge erhalten geblieben sind, ist dieses Kleinteilige noch zu erkennen und natürlich um den Stadtkern herum schließt sich die Stadtmauer in ihrem mittelalterlichen Ambiente mit Feldsteinen und dem dreifachen Wall- und Grabensystem davor."

    Dort, wo früher Wälle und Gräben vor der Stadtmauer die Angreifer abwehren sollten, kann man heute Spazieren gehen: Möglich ist das durch neu angelegte Wege, die auf beiden Seiten der Mauer entlang führen. Ihren Schrecken hat die Stadtmauer damit eingebüßt - ihre Dominanz als Schutzwall für das Mittelalterliche Bernau lässt sie aber bis heute erahnen.