Wie Lazar Ristovski die Geschichte seiner Figur erzählt - es geht um Krieg, Mord, Gefängnis -, wie Goran Paskaljevic die Bilder der Ödnis mit viel Ruhe montiert - eine rauhe Winterlandschaft, ein Schrottplatz, bröckelnde Fassaden, leere oder verschlossene Gesichter -, bleibt kein Zweifel, wovon dieser Film handelt: von den Landschaften nach der Schlacht und von den Katastrophen des Bewußtseins, die sich in solchen Landschaften abspielen. Den Autismus des Mädchens, im Film ganz unaufdringlich (und mit einer tatsächlich autistischen Darstellerin) inszeniert, versteht man dennoch und geradezu zwangsläufig als Metapher für eine in ihren nationalistischen Mainstream eingekapselte Gesellschaft, die innerlich zerrüttet ist vom Trauma ihrer jüngsten Geschichte.
Die dänische Regisseurin Susanne Bier hat eine grauenerregende Episode zum Zentrum ihres Films "Brüder" gemacht: Ein Offizier in Afghanistan, Angehöriger eines - in Wirklichkeit nicht existierenden - dänischen Kontingents internationaler Friedenstruppen, gerät in die Gefangenschaft von Taliban-Kämpfern. Er trifft dort auf einen Landsmann, den die Kämpfer zuvor schon ergriffen hatten. Eines Tages mit aufgesetzter Pistole von den Taliban vor die Wahl gestellt, gemeinsam mit seinem Landsmann erschossen zu werden oder diesen mit einer Eisenstange zu erschlagen, um so sein eigenes Leben zu retten, begeht er die grauenhafte Tat.
Der Film handelt nicht nur von diesem Moment, in dem die Extreme unser moralisches Gerüst zertrümmern. Sein eigentliches Thema ist die Rückkehr dieser Extreme in unsere eigene Welt, in die geruhsame Routine einer dänischen Familie zum Beispiel, in die der Kriegsheimkehrer nach seiner Befreiung kommt wie eine programmierte Zeitbombe. Eingekreist von der Last seines Schuldgefühls, umstellt aber auch von den Trümmern seiner einstigen moralischen Kriterien und ohne wirkliche Verbindung zu seiner Umwelt, entlädt sich der wachsende innere Druck mit zerstörerischer Kraft. "Brüder" - das ist eine großartige Reflexion über Schuld und Sühne, die kein Happy End bereithält, aber immerhin die Hoffnung, daß eine zerstörte Moral und eine beschädigte Seele reparabel sind.
Michael Winterbottom tut in seinem Film nine songs genau das Gegenteil - er zeigt einen jungen Mann und eine junge Frau ausschließlich in Umständen, die man eine jugendliche Utopie nennen könnte: auf Rockkonzerten in Londoner Clubs und im Bett, beim Sex. Es ist gleichsam ein Autismus des Idyllischen, der hier in Szene gesetzt ist, und daß nichts, aber auch gar nichts von der übrigen Welt in diesen Film hineinreichen darf, das ist - durch Weglassung - zugleich sein provokantes Potential. Es ist die radikal in den Raum gestellte Frage: Was von dieser Welt wollen wir wirklich haben, auf welche Bedürfnisse kommen wir, wenn wir uns einen Moment lang dem Traum überlassen, wir könnten uns diese Welt bauen. Provokant auch der Umgang des Regisseurs mit den Sex-Szenen: größte Nähe, größte Direktheit, dabei doch durch den Schnitt, das Wechselspiel von Licht und Schatten, die Grobkörnigkeit der Bilder erkennbar eine Annäherung, die etwas anderes sucht als das plumpe Ausstellen von Sex.
Der Ausgangspunkt war: Warum kann man keinen Sex im Film zeigen? Es geht um eine Liebesgeschichte. Und für die meisten Leute besteht eine sehr natürliche Verbindung zwischen Verliebtsein und Liebe machen. Die Idee war, etwas von diesem Areal zu erkunden, etwas von dieser Intimität und Emotionalität einzufangen. Üblicherweise wird das im Film immer beiseitegeschoben. Literatur dagegen darf sich mit Sex wie mit anderen Dingen auch beschäftigen. Aus irgendeinem Grund soll das Kino - obwohl es dafür doch der beste und einfachste Ort wäre - das Thema Sex immer umgehen. Ich wollte nicht eigentlich provozieren, aber mir war durchaus klar, daß einer der Gründe, die den Sex für den Film tabuisiert haben, die Zensur ist.
Es gibt einen weiteren Fokus auf diesem Festival, das Thema der illegalen, aber auch der legalen Einwanderung. Doch die Filme dazu verharrten auffällig in der Schilderung von Situationen und reichten nur wenig über das Niveau des Erzählenden, des Dokumentarischen hinaus. Weder der Einsatz einer überaus bewegten Handkamera wie bei Francois Dupeyrons Film "Illegal" noch die Verwendung einer fast unbeweglichen Kamera wie bei dem marokkanischen Wettbewerbsbeitrag "Tarfaya" von Daoud Aoulad-Syad konnten diesen Eindruck verdecken. Und auch die Kombination dieses Themas mit der biblischen Weihnachtsgeschichte, die der französische Regisseur Robert Guédiguian in seinem Film "Mein Vater ist Ingenieur" versucht hat, konnte nicht recht überzeugen.