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Stadtneurotisch, klaustrophobisch, rebellisch

Die EM ist gelaufen - Zeit, wieder ins Kino zu gehen. Unser Filmkritiker stellt die Literaturverfilmung "Cosmopolis" von David Cronenberg vor, die norwegische Komödie "Sons of Norway" sowie zunächst einen Dokumentarfilm über Woody Allen.

Von Jörg Albrecht |
    "Writing is the great life, because you wake up in the morning, you write in your room ... In your room everything is great, because you don´t have to deliver. So you write it and imagine, it´s Citizen Kane ... everything you write is great. ..."

    Schreiben sei einfach großartig. Erzählt Woody Allen. Man wache morgens auf und schreibe in seinem Zimmer. Man finde alles großartig, weil man nichts abliefern muss. Man halte es für "Citizen Kane". Alles ,was man schreibt, sei toll.

    Was Sie schon immer über Woody Allen wissen wollten ... das heißt Moment mal! Hier gibt es eine Menge zu sehen und zu hören, was Sie womöglich längst schon über Woody Allen gewusst haben. Vorausgesetzt Sie sind Woody-Allen-Fan. Der Filmemacher Robert B. Weide hat 76 Lebensjahre in seiner knapp zweistündigen Dokumentation über den ewigen Stadtneurotiker zusammengetragen und geordnet. Chronologisch – und somit eher konventionell – lässt Weide die Karriere eines Künstlers Revue passieren, die in Sachen Kreativität und Produktivität ihresgleichen sucht. Der Bogen spannt sich von den ersten Erfolgen als Gagschreiber für Zeitungen bis zur Weltpremiere von "Midnight in Paris" bei den Filmfestspielen in Cannes 2011, übrigens Allens bislang größten kommerziellen Erfolg in seiner Heimat, den USA. Neben Archivaufnahmen, die ihn unter anderem als Stand-Up-Comedian zeigen, neben Aussagen von Weggefährten und zahllosen Ausschnitten aus seinen Filmen kommt Allen immer wieder auch selbst zu Wort.

    "Hier arbeite ich. Überall liegen Klavierblätter herum. Die habe ich mir mit 16 gekauft. Funktioniert immer noch wie ein Panzer. Es ist eine deutsche Schreibmaschine. Eine tragbare Olympia, die ich all die Jahre benutzt habe. 40 Dollar hat sie mich gekostet. Der Verkäufer hat mir damals versprochen, dass sie bis über meinen Tod hinaus halte. Auf ihr habe ich alles geschrieben. Jedes Drehbuch, jeden Artikel. Einfach alles."

    Der Mann, der keine Angst vor dem Tod habe, nur eben nicht dabei sein wolle, wenn es passiert, erzählt über sich und seine Arbeitsweise. Über seine Blockaden als Antriebsfeder, über seine Ideensammlung auf diversen Zetteln und über den Film "Der Stadtneurotiker" als Wendepunkt in seiner Karriere als Filmemacher und Schauspieler. "Woody Allen: A Documentary" ist auch die unterhaltsame Werkschau eines Mannes, der – wie Martin Scorsese bestätigt – so viel zu sagen habe wie kein Zweiter und der immer noch jedes Jahr einen neuen Film dreht.

    "Woody Allen: A Documentary" von Robert B. Weide – empfehlenswert!

    Manhattan – der Ort, an dem so viele Woody-Allen-Filme spielen, ist auch Schauplatz von Don DeLillos Roman "Cosmopolis", der jetzt von David Cronenberg verfilmt worden ist. Ein geradezu prophetisches Buch, das bereits vor neun Jahren, als es erschien, die Auswüchse des Turbokapitalismus beschrieben hat. Und das in einer geradezu absurd und klaustrophobisch anmutenden Versuchsanordnung.
    Eric Packer, ein 28-jähriger Spekulant – reich, abgezockt und gewissenlos – sitzt in einer Stretch-Limousine, die ihn quer durch Manhattan zu seinem Friseur bringen soll. Es ist eine Fahrt im Schneckentempo, denn New York droht an diesem Tag im April 2000 zu kollabieren. Globalisierungsgegner bevölkern die Straßen, der Präsident ist in der Stadt und ein berühmter Rapper wird beerdigt.

    "Was würde passieren, wenn sie wüssten, dass in diesem Auto der Kopf von Packer Capital sitzt? Sie wissen doch, was Anarchisten denken. – Ja. ... Der Zerstörungsdrang ist ein kreativer Drang."

    Die Dialoge sind fast wortwörtlich aus Don DeLillos Vorlage übernommen. Die Sorgfalt, die Regisseur Cronenberg bei seiner Adaption des Stoffs hat walten lassen, erweist sich jedoch als Nachteil für den Film. Denn das Trommelfeuer aus Gedankenspielen über das Menschsein, Lebensweisheiten und Visionen – vorgetragen in Dialogen und Monologen – ist zwar klug, aber auch befremdlich, verwirrend und auf Dauer schrecklich ermüdend.

    "Es gibt ein Gedicht, bei dem wird eine Ratte zur Währungseinheit. – Wäre bestimmt interessant. – Ja, das hätte Auswirkungen auf die Weltwirtschaft. ... Der Name sagt alles. – Ja, die Ratte schloss heute niedriger gegenüber dem Euro. – Es ist zu befürchten, dass die russische Ratte schon bald abgewertet wird. – Weiße Ratten – das wäre mal was. ... Schwangere russische Ratten werden auf den Markt geworfen. ... Der Umtauschkurs liegt bei einer Ratte für einen Dollar. ..."

    Die stilisierte Odyssee durch Manhattan, die in den eigenen Untergang führen wird, scheitert nicht zuletzt aber auch am überforderten Hauptdarsteller. "Twilight"-Vampir und Teenie-Star Robert Pattinson ist – wie schon in "Bel Ami" vor einigen Monaten – nur ein langweiliger Kleiderständer mit ewig gleichem Schlafzimmerblick.

    "Cosmopolis" von David Cronenberg – enttäuschend!

    Als Erstes fliegt eine Bierflasche. Die trifft den Schädel vom Schuldirektor, der zum norwegischen Nationalfeiertag eine Rede hält. Der Flaschenwerfer ist Nikolaj, ein 14-jähriger Junge. Rückblende. Nur wenige Monate vorher. Es ist das Jahr 1978. Das rebellische Wesen scheint Nikolaj in die Wiege gelegt worden zu sein. Seine antiautoritären Eltern sind Hippies, die die Internationale singen und Nietzsche zitieren. Kurz nachdem seine Mutter bei einem Verkehrsunfall ums Leben kommt, entdeckt Nikolaj zusammen mit seinem besten Freund Tor die Musik der Sex Pistols und die No-Future-Haltung der Punk-Bewegung. Während andere Väter für die Verwandlung ihrer Söhne nur wenig Verständnis aufgebracht hätten, lässt Nikolajs Vater seinen Sohn nicht nur gewähren. Er macht sich sogar selbst ein Bild von der Punk-Szene.

    "Was singt eigentlich dieser Johnny Rotten? – Verschiedenes. – Der Junge mäkelt ganz schön rum. – Das ist ein Anarchist. – Ein Anarchist? Ich habe den Eindruck, dass er gegen absolut alles ist. Wofür steht er? Was vertritt er eigentlich? Warum will er alles nur zerstören? – Weil man alles, was beschissen ist, kaputtmachen sollte."

    "Sons of Norway" heißt diese frische, mit viel trockenem Humor gewürzte Vater-Sohn-Geschichte, die der norwegische Regisseur Jens Lien nach dem autobiografischen Roman "Theory and Practice" von seinem Landsmann Nikolaj Frobenius inszeniert hat. Das Weihnachtsfest in der Hippie-Familie, der Urlaub im Nudistencamp und ein Kurzauftritt von Punk-Ikone Johnny Rotten sind dankbare Quellen für skurrile Momente in einem filmischen Panoptikum, das geschickt mit Klischees spielt, ohne dabei seine Figuren ins Lächerliche zu ziehen.

    "Sons of Norway" von Jens Lien – empfehlenswert!
    Der kanadische Filmregisseur David Cronenberg präsentiert seinen neuen Film "Eine dunkle Begierde" in Madrid.
    Der kanadische Filmregisseur David Cronenberg (picture alliance / dpa - Juanjo Martin)
    Die Sex Pistols im Jahr 1978
    Die Sex Pistols im Jahr 1978 (AP Archiv)