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Stadtsoziologie
Bad Münstereifel wird zum Outlet-Center

Zum ersten Mal in Deutschland überlässt eine Kommune ihre natürlich gewachsene Geschäfts- und Einkaufskultur nicht mehr Angebot und Nachfrage, sondern Investoren. Überleben kann der soziale Mikrokosmos Stadt aber nur, wenn er sich organisch entwickelt, meint Stefan Koldehoff.

Von Stefan Koldehoff | 14.08.2014
    Blick auf Fachwerkhäuser und Fluss mit Brücke in Bad Münstereifel
    Bad Münstereifel ist noch als Bad Münstereifel zu erkennen - selbst mit Outlet-Geschäften. (picture alliance/ dpa/ Oliver Berg)
    Um es gleich zu Anfang zu sagen: Der Untergang des westlichen Abendlandes ist es nicht, was da in der Voreifel vonstatten ging – mit vielen orangenen Luftballons, viel heißer Luft in zu vielen Ansprachen, viel zu unbekannten TV-Sternchen und einem viel zu blonden Schlagerstar. Bad Münstereifel ist noch als Bad Münstereifel zu erkennen: mit alter Bausubstanz, viel Fachwerk, mit etwa einem Drittel neuen Läden und zwei Dritteln an Geschäften, die es vorher schon gab. Dazwischen nach wie vor leer stehende Häuser, denen man ansieht, was ihre Instandsetzung kosten würde.
    Was zum Outletcenter-Konzept gehört, lässt sich an relativ dezenten, einheitlich grauen Markisen mit Logo und an nicht allzu großen Schildern erkennen, die daneben hängen. Nach wie vor sitzen ältere Einwohner im Café; ein ortsansässiger Buchhändler hat sogar noch einen zweiten Laden eröffnet – weil er hofft, dass das neue Konzept nicht allein Fashion-Afficionados, sondern auch lesende Menschen in die Kleinstadt bringt. Was natürlich kein Gegensatz sein muss. Die Stadt hat nicht, wie im Vorfeld befürchtet wurde, ihren Charakter verloren.
    Wie in der sozialistischen Planwirtschaft
    Bemerkenswert ist etwas anderes, das heute geschah: Zum ersten Mal in Deutschland überlässt eine Kommune ihre natürlich gewachsene Geschäfts- und Einkaufskultur nicht mehr Angebot und Nachfrage, sondern Investoren. Wie in der sozialistischen Planwirtschaft entscheiden Marketingfachleute, wofür die Menschen künftig nach Bad Münstereifel kommen sollen: für einen Sportausrüster, einen Outdoor-Anbieter, einen dänischen Hersteller von Plastikbausteinen, der hier aber nur Kindermode anbietet, einen Schweizer Schokoladenhersteller, der im nahen Aachen Konkurrenz en masse hat.
    Spektakulär ist nicht, was sich nun in der 17.000-Einwohner-Stadt angesiedelt hat: Es ist das übliche Angebot, das es demnächst in weiteren Outlet-Centern in unmittelbarer Nähe auch geben soll. In Monschau zum Beispiel, in Königswinter oder in Remscheid.
    Überleben kann der soziale Mikrokosmos Stadt, das hat die Entwicklung seit dem Mittelalter gezeigt, aber nur dann, wenn er sich organisch entwickelt. Durch eine kluge Stadtsoziologie zum Beispiel. Durch kulturelle Angebote, durch die Förderung junger Familien.
    Was sonst geschieht, hat sich in den 80er-Jahren gezeigt, als die Kommunalpolitik auf Supermärkte auf der grünen Wiese setzte und damit die Innenstädte den Ein-Euro-Shops überließ. In Bad Münstereifel wiederholt man dieses Prinzip der Entfremdung durch die Entkoppelung von Kommerz und gewachsener Lebenskultur nun mit anderen Mitteln. Ausgerechnet an einer Stelle, an der genau dieses Prinzip – die Ausschaltung des Einzelhandels – schon einmal zum Niedergang einer Innenstadt geführt hat. Zunächst wird dieses Konzept sicher eine Zeitlang Erfolg haben. Was aber, wenn der Reiz des Neuen nachlässt und andere Orte attraktiver sein werden – und besser erreichbar?