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Stadtverbote für Fußballfans

"Bereichsbetretungs-Verbote" der Polizei werden von Fussball-Fans als "Stadtverbote" bezeichnet. Fanprojekte und Fanforscher kritisieren, der ohnehin schon große Graben zwischen Polizei und Anhängern werde vertieft.

Von Thorsten Poppe | 09.04.2011
    Exakt 135 Kölner Fans machten in der vorigen Bundesligasaison eine ganz neue Erfahrung. Während sich der rot-weiße Tross der Anhänger auf den Weg zum Derby nach Mönchengladbach machte, mussten sie zurück bleiben. Schuld daran war ein sogenanntes "Bereichsbetretungsverbot", das Ihnen komplett den Zutritt nach Gladbach verweigerte.

    Dass diese polizeiliche Maßnahme die FC-Fans von nun an regelmäßig auch bei Heimspielen begleiten würde, merkten sie ein paar Wochen gegen den 1. FC Nürnberg, als sie sich zum ersten Mal in ihrer eigenen Stadt im gesamten Kölner Westen nicht aufhalten durften. Die Ultras, so werden die die fanatischsten Fans eines Vereins genannt, tauften diese für sie nicht nachvollziehbare Maßnahme kurzerhand "Stadtverbot". Auch Klaus von den Ultras "Coloniacs" ist seitdem davon regelmäßig betroffen:

    "Beim ersten Spiel gegen Borussia Mönchengladbach 2009 waren es ungefähr 135, die wild verteilt worden sind. Ohne, dass man wirklich sehen konnte, weswegen man es bekommen hat. Es wurden Leute mit Stadionverbot, an die wurde dieses Betretungsverbot ausgesprochen. Es gab Leute, die kein Stadionverbot hatten, aber schon einmal auffällig geworden sind. Es gab Leute, die rechtskräftig verurteilt worden sind, und Leute, die noch schwebende Verfahren hatten. Also ein Muster war daran nicht zu erkennen."

    Laut Polizeigesetz darf die zuständige Dienststelle ein solches Verbot verfügen. Es wirkt ähnlich wie bei einem polizeilich ausgesprochenen Platzverweis. Nur dass hier von vorn herein eine ganz bestimmte Zeit und ein ganz bestimmter Bereich festgelegt werden. Ein Gericht oder die Staatsanwaltschaft bleiben bei diesem Verbot außen vor, allerdings muss die Polizei es begründen, damit es bei einem Widerspruch auch vor einem Verwaltungsgericht Bestand hätte. Polizeioberrat Volker Lange stellt klar, warum seine Kölner Dienststelle in Sachen "Stadtverbot" seit 2 Jahren Vorreiter in Deutschland ist:

    "Es ist nicht so, dass wir uns die Leute willkürlich raus suchen. Sondern wir sammeln das bekannte Fehlverhalten und listen das auch auf. Und Sie werden kein Bereichsbetretungsverbot finden, wo der einzige Grund eine Personalienfeststellung aufgrund einer Anreise ist. Wenn sie mit einem Bus von Nord nach Süd fahren und sie steigen an einer Raststätte aus, und zwei Mann kaufen was ein und 20 andere beklauen den Kioskbetreiber und die anderen 30 verschandeln die Rastanlage mit 200 Aufklebern, dann ist das etwas, was kein Mensch auf der Welt braucht. Bereichsbetretungsverbot ist ein probates Mittel, mit der Zwangsgeldandrohung in Höhe von 500 Euro die Leute zum Nachdenken zu bringen."

    Auch Klaus von den "Coloniacs" wird seit zwei Jahren zum Nachdenken aufgefordert. Neben seinem Stadionverbot darf er immer wieder großflächige Bereiche in seinem Wohnort Köln nicht betreten. Aus seinem Frust darüber macht er keinen Hehl:

    "Man bekommt den Brief in DIN-A4-Format sehr dick von der Polizei. Die Freundin bekommt es auch mit. Du machst es auf und holst 15 Seiten raus in einem Amtsdeutsch geschrieben, was man selbst beim fünften Mal lesen nicht versteht und einfach nur die große fette Zeile liest "Betretungsverbot" für das Stadtgebiet Köln."

    Polizeioberrat Volker Lange verweist darauf, dass diese Maßnahme zwar regelmäßig, aber nicht mehr so oft wie anfangs eingesetzt wird. So wurden beim Derby in dieser Saison zwischen Gladbach und Köln nur noch 100 "Stadtverbote" ausgesprochen. Dabei berücksichtigt er mit den Kollegen das Verhalten der bei der Polizei auffällig gewordenen Fans aus den letzten Monaten. Gutes Benehmen wird demnach honoriert.

    Der Erfolg gibt ihm auf den ersten Blick Recht. Die letzten beiden Spiele zwischen den Rivalen sind weniger gewalttätig als davor abgelaufen. Fanvertreter bezweifeln allerdings, dass die "Stadtverbote" dafür alleine verantwortlich sind. Andere Präventionen seien viel erfolgreicher, wie zum Beispiel die strikte Fantrennung bei der Anfahrt ins Stadion, meint Michael Gabriel von der "Koordinationsstelle Fanprojekte". Er stimmt sich von Frankfurt aus mit den einzelnen Fanprojekten der Vereine ab. Bei ihm laufen die Fäden zusammen. Er weiß, wie sehr die "Stadtverbote" vor allem die Ultras zur Zeit bewegen:

    "Man muss nicht verurteilt sein, es muss kein Gerichtsurteil vorliegen, das belegt, der ist tatsächlich ein Gewalttäter. Sondern es genügt die Einschätzung der Polizei, und die differiert ganz häufig von der Einschätzung der Betroffenen, aber auch von den Fanprojekten zum Beispiel. Es genügt die Einschätzung der Polizei zu sagen, der ist potenziell gefährlich. Dann werden Daten aufgelistet, wo Leute irgendwann einmal aufgefallen sind, also wo Namen festgestellt wurden. Und das ist dann die Grundlage für Ausreiseverbote oder Stadtbetretungsverbote."

    Das Thema beschäftigt aber nicht nur die Fans in Köln. Während es die überwiegende Mehrzahl der Bundesligastädte nur vereinzelt im unmittelbaren Stadionbereich anwendet, werden in Karlsruhe und München sogar bis zu 150 Euro Gebühr von den Betroffenen genommen. Es sind genau diese Aktionen, die das Verhältnis zwischen Fans und Polizei erheblich verschlimmern, meint Michael Gabriel:

    "Es geht immer darum, was lernen junge Leute. Und da lernen sie aus ihrer subjektiven Perspektive "Ich muss nicht mal was gemacht haben" und werde mit einem massiven Eingriff in meine persönliche Bewegungsfreiheit, bestraft. Also da werden Grundlagen der Rechtsauffassung von jungen Leuten in Frage gestellt. Und das ist, wie ich finde, hochbrisant, wenn man sich vor Augen hält, wie groß die Distanz mittlerweile von großen Teilen der Fan-Szene zur Polizei, zu staatlichen Institutionen ist. Und da glauben wir tatsächlich, dass es an die Substanz unserer staatlichen Verfassung geht."

    Gerade die für die Fans nicht nachvollziehbaren Begründungen für einen Ausschluss stoßen auch bei unabhängigen Beobachtern auf Kritik. Der Soziologe Gunter Pilz, Deutschlands bekanntester Fanforscher, findet gerade die massenweise Anwendung von "Stadtverboten" kontraproduktiv:

    "In dem Moment, wo man etwas pauschal macht, ist es genauso wie bei Stadionverboten kontraproduktiv. Weil es dann den eigentlichen Sinn der Maßnahme verfälscht. Und die, die wirklich berechtigt von solchen Maßnahmen betroffen sind, können dann auch für sich in Anspruch nehmen, sie sind willkürlich betroffen."

    Polizeioberrat Volker Lange ist sich der Kritik bewusst., auch wenn sie ihm gegenüber im Dialog mit Fanvertretern selten geäußert wird. Für ihn haben Polizei, Fanprojekte und Vereine alle dasselbe Ziel: Ein friedliches Fußballspiel zu gewährleisten. Ohne Randale und ohne Gewalt. Für dieses Ziel fordert er gerade die von einem "Stadtverbot" Betroffenen zum Dialog mit ihm auf:

    "Warum geht der nicht zum pädagogischen Fanprojekt, spricht seine Leute an, können wir uns nicht mal in einem Kreis von Leuten das von der Polizei erklären lassen. Ich kann nur sagen herzlich gerne. Wir wollen ja gerade eine Verhaltensänderung erreichen und wenn es geht ohne Bereichsbetretungsverbote."

    Doch dazu wird es wohl niemals kommen. Denn mit der Polizei reden Ultras grundsätzlich nicht.