"Tausende, Tausende weitere Arbeitsplätze sind im Nahverkehr bedroht. Drei Milliarden kommen in Deutschland jährlich aus dem Energiebereich zur Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs . Diese Finanzierungsquelle droht zu versiegen. Die Opfer dieses - und ich kann schon sagen - brutalen Preiskampfes, ja in vielen Auswirkungen Preiskrieges im Strombereich, diese Opfer werden zuerst die Arbeitsplätze und damit wir sein, das wird die kommunale Wirtschaft sein. Deshalb stehen wir hier heute auf und fordern von der Bundesregierung, fordern von SPD und Grünen, jetzt schnell zu handeln: Ändert eure Politik jetzt, so lange es noch Zeit ist."
Schneller als irgendwo sonst in Europa wurde der Strom-Markt in der Bundesrepublik für den Wettbewerb geöffnet. Seitdem die alten Gebietsmonopole vor anderthalb Jahren gefallen sind, purzelten die Strompreise für Großkunden aus der Industrie um bis zu 50 Prozent - von 14 auf 7 Pfennige die Kilowattstunde. Vor allem die großen Verbundunternehmen, deren Kraftwerke abgeschrieben sind, überschwemmen den Markt mit Billig-Strom.
Schneller als von allen Marktteilnehmern erwartet, begann in diesem Sommer der Wettbewerb um die Millionen Tarif-runden. Die großen Stromkonzerne haben Tochterunternehmen gegründet, die mit den Phantasie-Namen Avanza oder Yellow-Strom und mit unschlagbar günstigen Stromtarifen Kunden locken wollen.
Von diesen Newcomern fühlen sich viele Stadtwerke in ihrer Existenz bedroht. Insbesondere die kommunalen Unternehmen, die auf die Verknüpfung von Strom und Heizwärme gesetzt haben - auf die sogenannte Kraft-Wärme-Koppelung. Zu ihnen zählt zum Beispiel das thüringische Altenburg. Johannes Anguari, Bürgermeister der 45.000-Einwohner-Stadt:
"Wenn durch einen wirklich ruinösen Wettbewerb jetzt ein totaler Verfall der Preise einsetzt, heißt das unsere Blockheizkraftwerke nicht mehr arbeiten können, auch daß wir die Fernwärme nicht mehr so günstig anbieten können. Es ist die ökologisch gute Lösung - nämlich das Block-Heizwert - nicht mehr möglich."
Altenburg ist kein Einzelfall. Es ist typisch für die neuen Bundesländer. Nach der deutschen Einheit wurden dort vielfach die vorhandenen Blockheizkraftwerke von Braunkohle auf Gas umgestellt, um für die Plattenbau-Siedlungen im Winter günstige Wärme zu erzeugen.
Auch in den alten Bundesländern haben sich umweltbewusste Kommunen bei der Eigenstromerzeugung für die teuere Kraft-Wärme-Kopplung entschieden. Angesichts des Preisverfalls stehen sie möglicherweise vor Investitionsruinen in Millionenhöhe, mahnt Gerd Landsberg vom Deutschen Städte- und Gemeindebund.
"Wenn diese Lösung für die Investitionen nicht schnell kommt, ist es zu spät. Dann sind die Stadtwerke entweder fusioniert oder von anderen aufgekauft."
Doch die mögliche Verdrängung der Stadtwerke aus dem Stromgeschäft hat neben dem Arbeitsplatzverlust vieler Mitarbeiter noch andere Konsequenzen, die zahlreichen Bürgern noch nicht klar sind, meint Gerd Landsberg:
"Natürlich wird über die Stadtwerke der ÖPNV subventioniert. Wir sind auch gerne bereit, davon abzulassen, wenn uns Bund und Länder klar machen, wie wir den ÖPNV sonst finanzieren sollen. Sie kriegen einen Aufstand in den Kommunen, wenn demnächst die einfache Streckenkarte 7 DM kostet, und das wäre möglicherweise die Konsequenz."
Die Quersubventionierung des Öffentlichen Nahverkehrs durch Gewinne aus dem Stromgeschäft hält der scheidende Präsident des Bundeskartellamtes, Dieter Wolf, für grund-falsch - ein Anachronismus, der jeglicher demokratischen Kontrolle entbehrt:
"Wieso eigentlich beanspruchen die Kommunen das Recht, über Einnahmen, die sie aus Monopolen beziehen, andere kommunale Dienste zu finanzieren. Das öffentlich-rechtliche Gebührenrecht geht davon aus, dass man mit Gebühren nur das finanzieren kann, was Sache ist. Für Elektrizität, aber nicht für Schwimmbäder. Aber sie über Strom zu finanzieren, ist unordentlich."
Ordentlich wäre es aus Sicht des obersten Wettbewerbs-Hüters, wenn die Kommunen für die bislang durch das Stromgeschäft subventionierten Bereiche Abgaben erheben würden, für die sie - demokratisch abgesichert - Mehrheiten in den kommunalen Parlamenten organisieren müssten. Ein Weiter Weg bis dorthin.
Will man die Aufgeregtheit und das Chaos auf dem Strom-Markt verstehen, muss man zurückblenden in das Jahr 1997. Damals beschloss die Regierung Kohl das unter dem damaligen Wirtschaftsminister Günter Rexrodt entworfene Energiewirtschaftsgesetz. Der FDP-Politiker war für eine schnelle, stufenlose Öffnung des deutschen Strommarktes.
Rexrodt wollte es den Akteuren aus der Wirtschaft allein überlassen, sich über die Modalitäten des freien Wettbewerbs zu verständigen. Anstatt einer Regulierungsbehörde, die - wie bei der Telekommunikation - die Spielregeln vorgibt und für gleiche Wettbewerbsbedingungen sorgt, wurde es den Verbänden der Wirtschaft überlassen, die Durchleitung von Strom untereinander auszuhandeln.
Die damaligen Oppositionsparteien SPD und Bündnis 90/ Die Grünen liefen Sturm gegen das Rexrodt-Gesetz. Die SPD-Bundestagsfraktion zog sogar mit einer Beschwerde vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Nach der Bundestagswahl vom September '98 haben die Karlsruher Richter die SPD-Beschwerde erst einmal auf die lange Bank geschoben. Inoffizielle Begründung: Die SPD habe nun die Mehrheit, das Energiewirtschaftsgesetz in ihrem Sinne zu ändern.
Doch davon bislang keine Spur. Hintergrund ist ein Tauziehen zwischen der SPD-Bundestagsfraktion einerseits, der Bündnisgrünen Fraktion anderseits und dem parteilosen Bundeswirtschaftsminister Werner Müller. Bisheriger Höhepunkt der Auseinandersetzung: Werner Müller ließ vor zwei Wochen die Nachricht streuen, die SPD wolle es den Kommunen überlassen, ihren Bürgern die Durchleitung fremden Stroms zu verweigern. Ein Aufschrei der Empörung ging durch die Medien. Gerd Landsberg vom Deutschen Städte- und Gemeindebund:
"Ich würde nie einem Minister unterstellen, daß er mit Tricks arbeitet. Aber der Vorschlag ist nicht umsetzbar."
Die Gespräche zwischen der SPD-Fraktion und dem Wirtschaftsminister verlaufen entlang der Frage: Wie kann die Kraft-Wärme-Kopplung geschützt werden? Volker Jung, der energiepolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, über einen möglichen Weg:
"Wir wollen gerne eine Quote für Strom aus der KWK. Darin sind wir uns mit den Grünen einig. Ich denke, dass wir ansetzen müssen bei der heutigen Quote, damit keine Investitionsruinen entstehen. Das ist der ein Punkt. Der zweite: man müßte auch eine Entscheidung herbeiführen, ob der Anteil aus KWK nicht erhöht werden soll. Ich persönlich plädiere für diese Lösung, weil die Brennstoffbaus-Nutzung sehr hoch ist."
Eine Quote für Strom aus Kraft-Wärme-Kopplung hält der Wirtschaftsminister für kontraproduktiv. Werner Müller sieht darin sogar eine Gefahr für die kommunalen Unternehmen. Denn diese müßten dann mit den wesentlich effizienteren, gasbetriebenen Heizkraftwerken und Prozess-Wärmekraftwerken der chemischen Industrie innerhalb der Quote konkurrieren. Damit hätten die älteren kommunalen Anlagen keinen Vorteil von der Quote. Wirtschaftsminister Müller plädiert für Investitionshilfen für die Umrüstung und Modernisierung der alten Anlagen. Dazu der SPD-abgeordnete Volker Jung:
"Ich möchte ja nicht einen Streit um Worte beginnen, aber eine Quote halte ich für marktkonformer. Ganz davon abgesehen, dass man sagen müsste, wo das Geld herkommt, angesichts der Konsolidierungsanstrengungen, die wir ja zur Zeit betreiben."
Szenenwechsel: Wie sieht die Situation von Unternehmen anderthalb Jahre nach dem Ende der Gebietsmonopole aus. Es gibt keinen geeigneteren Ort, um sich ein Bild davon zu machen, als die Hauptstadt Berlin. Fast keine Woche vergeht, in der ehemalige Berliner Monopolist, die BEWAG, nicht in die Schlagzeilen kommt.
Als erstes öffentliches Unternehmen der Energiewirtschaft wurde die BEWAG 1997 vollständig privatisiert. In den letzten Monaten lieferte sich das Unternehmen einen juristischen Kleinkrieg mit dem Bundeskartellamt. Die BEWAG verweigerte mehrmals die Durchleitung fremden Stroms. Begründung: Durch die jahrzehntelange Insellage des Westteils der Stadt sei das Berliner Stromnetz nicht so aus-gebaut, dass Strom von dritten durchgeleitet werden könne.
Der aktuelle Stand der Auseinandersetzung: Das Bundeskartellamt verlangt von der BEWAG, wenigstens ein Fünftel der Leistungen von Außen für die Mitbewerber freizugeben. Der Durchbruch zu einem langsam einsetzenden Paradigmen-Wechsel, meint Kartellamts-Chef Dieter Wolf.
"Das ist das Entscheidende, dass in der Vorstellung der Eigentümer und Gerichte der Gedanke eingeht: Leitungen sind so etwas wie Straßen. Jeder darf sie benutzen - vor-erst gegen eine Gebühr. Aber keiner darf ausgenommen werden. Das ist eine neue Denke, die wir befördern, auch wenn nicht 100 Prozent, sondern nur eine verhältnismäßige Menge."
Und auch für eine weitverbreitete Unternehmens-Politik steht die BEWAG beispielhaft. Einerseits versucht sie die Durchleitung der Konkurrenz durchs eigene Netz zu verhindern. Andererseits verkauft sie selbst Strom in Gebiete anderer Ex-Monopolisten. BEWAG-Sprecher Siegfried Knopf:
"Wir sind im Wettbewerb. Wir bekennen uns zum Wettbewerb. Was die Preise betrifft, gehen wir davon aus, dass manche Anbieter zur Zeit mit Dumpingpreisen auf den Markt drängen, um sich Anteile zu sichern. Im Wettbewerb verliert man Kunden. Wir hoffen dass wir 80 Prozent halten können und 20 Prozent andernorts dazugewinnen... Die Bilanz ist nahezu ausgeglichen."
Der Wettbewerb auf dem Strommarkt ist schrill geworden. Insbesondere die baden-württembergische EnBw hat mit ihrer Kampagnen für Yellow-Strom bundesweit für Aufsehen gesorgt. Im Berliner Bahnhof Friedrichstraße stehen zwei junge Frauen und ein Mann, in knallgelben T-Shirts hinter einem Stand, dem sogenannten Yellow-Point, um Passanten für den Wechsel zu dem neuen Anbieter zu gewinnen. Strom als Markenprodukt, wie Seife oder Schokolade. Nur bei den Fragen des Reporters ist man nicht ganz so offen, wie die Werbung verspricht.
"Ich mache eine Reportage über den Strommarkt (Guten Abend) und hätte gerne gewußt, was sich bei Yellow-Strom zu kriegen habe....Das Schweigen heißt: Bei Yellow-Strom kann ich nichts bekommen?"
Bei abgeschaltetem Mikrofon ist zu erfahren, dass die Mitarbeiter der Yellow-Points nicht mit Medien-Vertretern sprechen dürfen. Und noch etwas erfährt man: Die meisten Kunden würden nach den Arbeitsplätzen und dem billigen Atomstrom fragen, den die Konzern-Mutter angeblich aus Frankreich bezieht.
Hintergrund: Der französische Atomriese EDF strebt eine 25prozentige Beteiligung bei der EnBW an. Damit ist in einem grenzenlosen Europa zu rechnen, meint Dieter Wolff vom Bundeskartellamt:
"Die EDF wird sich auf dem deutschen Strommarkt einkaufen, und die Herkunft des Stroms zu bestimmen, ist nahezu un-möglich. Das ist die Situation, die auch schon vor fünf-zehn Jahren voraussehbar war."
Die europäische Energiewirtschaft wird in den nächsten Jahren vollkommen umgekrempelt. Eine riesige Fusionswelle ist ins Rollen gekommen. Die Top-Nachricht vom heutigen Montag: Der Zusammenschluss des Düsseldorfer Veba-Konzerns und der Münchener Viag-Gruppe soll bis zum Sommer nächsten Jahres abgeschlossen sein.
Der neue Konzern verdrängt die bisherige Nummer Eins des deutschen Strommarktes, die Essener RWE, von ihrem angestammten Platz. Aber die RWE hat ebenfalls Großes vor. Mit dem Verkauf ihrer Anteile im Telekommunikations-Geschäft hat sie ihre Kriegskasse gefüllt. Weitere Übernahmen sind zu erwarten. Ganz im Sinne von Bundeswirtschaftsminister Werner Müller, der vor seiner politischen Laufbahn auch Manager bei VEBA war. In einem Brief an die SPD-Fraktion schrieb Müller im Frühjahr:
"Die Neuorientierung der Versorgungsunternehmen ist in vollem Gange. Dies bewirkt einen nachhaltigen Innovations- und Modernisierungsschub in einer der zentralen Branchen unserer Volkswirtschaft, die jahrzehntelang rechtlich geschützt als Monopol geführt wurde. Die deutsche Stromwirtschaft wird insgesamt gestärkt und zukunftsfähiger aus diesem Umstrukturierungsprozess hervorgehen, insbesondere für den Wettbewerb auf europäischer Ebene. Unternehmen, die sich in einem liberalisierten Markt haben behaupten können, haben einen Fitness-Vorsprung gegenüber Konkurrenten aus Nachbarländern, die ihre Märkte geschlossen halten oder nur stufenweise öffnen."
Doch schon warnen Umweltschützer vor den Konsequenzen einer rücksichtslosen Liberalisierung. Denn der Wettbewerb wird einzig über den Preis gemacht - unabhängig wie und wo der Strom hergestellt wird. Ukrainischer Atomstrom zum Beispiel aus einem Reaktor vom Typ Tschernobyl wird bereits für zwei Pfennige angeboten. Ein Kampfpreis, der mit hiesigen Sicherheitsauflagen nicht zu übertrumpfen ist. Eine Lenkungswirkung durch die Ökosteuer, wie sie die rot-grüne Bundesregierung einmal vorgesehen hatte, wird völlig ad absurdum geführt, meint Mathias Eichelbrönner vom Forum für Zukunftsenergie in Bonn:
"Die Ökosteuer wird überkompensiert durch den liberalisierenden Aspekt, die Preise gehen weit aus mehr runter als durch die Ökosteuer angehoben und dadurch ist die Lenkungswirkung der Ökosteuer nicht vorhanden. Der Preis setzt hier die völlig falschen Signale und stimuliert eher zum nachlässigen Umgang mit dem Energieträger Strom."
Die Bereitschaft für erneuerbare Energie mehr zu zahlen, wird in der Bevölkerung abnehmen - angesichts des Preis-Wettkampfes auf dem Markt, meint der Energie-Experte:
"Eine rücksichtlose Liberalisierung hat nur einen Preisverfall zur Folge und wir können uns angesichts dieser Preise die gesamte Diskussion um regenerative Energien schenken. Davon wird dann nichts mehr übrig bleiben."
Eine Debatte um den Atomausstieg in Deutschland wirkt geradezu rührend vor dem Hintergrund, dass Atomstrom von überall her nach Deutschland geliefert wird. Für eine sanfte Öffnung des Marktes bleibt nicht mehr viel Zeit.
Bereits am morgigen Dienstag stellen die Verbände dem Bundeswirtschaftsminister ihre Durchleitungsvereinbarung vor. Mit ihr wird die letzte Stufe des Wettbewerbs eingeläutet. Eberhard Meller, Geschäftsführer des Verbades der Energiewirtschaft VDEW:
"Grundlage ist ein transaktionsunabhängiges Punktmodell. Das heißt jeder kann ein Abonnement am Netz bekommen, das berechnet sich aus bestimmten Kostenbestandteilen. Unter anderem sind die kalkulatorischen Kosten des jeweiligen Netzes maßgeblich."
Die heutige Großdemonstration von Mitarbeitern der Stadt-Werke wird nicht die letzte gewesen sein. Und nicht nur wegen der Liberalisierung beim Strom werden Stadtwerke und kommunale Eigenbetriebe in wirtschaftliche Schieflagen geraten. Auch beim Gas und bei der Wasserversorgung sind in Deutschland die Weichen auf eine schnelle Öffnung des Marktes gestellt.
Schneller als irgendwo sonst in Europa wurde der Strom-Markt in der Bundesrepublik für den Wettbewerb geöffnet. Seitdem die alten Gebietsmonopole vor anderthalb Jahren gefallen sind, purzelten die Strompreise für Großkunden aus der Industrie um bis zu 50 Prozent - von 14 auf 7 Pfennige die Kilowattstunde. Vor allem die großen Verbundunternehmen, deren Kraftwerke abgeschrieben sind, überschwemmen den Markt mit Billig-Strom.
Schneller als von allen Marktteilnehmern erwartet, begann in diesem Sommer der Wettbewerb um die Millionen Tarif-runden. Die großen Stromkonzerne haben Tochterunternehmen gegründet, die mit den Phantasie-Namen Avanza oder Yellow-Strom und mit unschlagbar günstigen Stromtarifen Kunden locken wollen.
Von diesen Newcomern fühlen sich viele Stadtwerke in ihrer Existenz bedroht. Insbesondere die kommunalen Unternehmen, die auf die Verknüpfung von Strom und Heizwärme gesetzt haben - auf die sogenannte Kraft-Wärme-Koppelung. Zu ihnen zählt zum Beispiel das thüringische Altenburg. Johannes Anguari, Bürgermeister der 45.000-Einwohner-Stadt:
"Wenn durch einen wirklich ruinösen Wettbewerb jetzt ein totaler Verfall der Preise einsetzt, heißt das unsere Blockheizkraftwerke nicht mehr arbeiten können, auch daß wir die Fernwärme nicht mehr so günstig anbieten können. Es ist die ökologisch gute Lösung - nämlich das Block-Heizwert - nicht mehr möglich."
Altenburg ist kein Einzelfall. Es ist typisch für die neuen Bundesländer. Nach der deutschen Einheit wurden dort vielfach die vorhandenen Blockheizkraftwerke von Braunkohle auf Gas umgestellt, um für die Plattenbau-Siedlungen im Winter günstige Wärme zu erzeugen.
Auch in den alten Bundesländern haben sich umweltbewusste Kommunen bei der Eigenstromerzeugung für die teuere Kraft-Wärme-Kopplung entschieden. Angesichts des Preisverfalls stehen sie möglicherweise vor Investitionsruinen in Millionenhöhe, mahnt Gerd Landsberg vom Deutschen Städte- und Gemeindebund.
"Wenn diese Lösung für die Investitionen nicht schnell kommt, ist es zu spät. Dann sind die Stadtwerke entweder fusioniert oder von anderen aufgekauft."
Doch die mögliche Verdrängung der Stadtwerke aus dem Stromgeschäft hat neben dem Arbeitsplatzverlust vieler Mitarbeiter noch andere Konsequenzen, die zahlreichen Bürgern noch nicht klar sind, meint Gerd Landsberg:
"Natürlich wird über die Stadtwerke der ÖPNV subventioniert. Wir sind auch gerne bereit, davon abzulassen, wenn uns Bund und Länder klar machen, wie wir den ÖPNV sonst finanzieren sollen. Sie kriegen einen Aufstand in den Kommunen, wenn demnächst die einfache Streckenkarte 7 DM kostet, und das wäre möglicherweise die Konsequenz."
Die Quersubventionierung des Öffentlichen Nahverkehrs durch Gewinne aus dem Stromgeschäft hält der scheidende Präsident des Bundeskartellamtes, Dieter Wolf, für grund-falsch - ein Anachronismus, der jeglicher demokratischen Kontrolle entbehrt:
"Wieso eigentlich beanspruchen die Kommunen das Recht, über Einnahmen, die sie aus Monopolen beziehen, andere kommunale Dienste zu finanzieren. Das öffentlich-rechtliche Gebührenrecht geht davon aus, dass man mit Gebühren nur das finanzieren kann, was Sache ist. Für Elektrizität, aber nicht für Schwimmbäder. Aber sie über Strom zu finanzieren, ist unordentlich."
Ordentlich wäre es aus Sicht des obersten Wettbewerbs-Hüters, wenn die Kommunen für die bislang durch das Stromgeschäft subventionierten Bereiche Abgaben erheben würden, für die sie - demokratisch abgesichert - Mehrheiten in den kommunalen Parlamenten organisieren müssten. Ein Weiter Weg bis dorthin.
Will man die Aufgeregtheit und das Chaos auf dem Strom-Markt verstehen, muss man zurückblenden in das Jahr 1997. Damals beschloss die Regierung Kohl das unter dem damaligen Wirtschaftsminister Günter Rexrodt entworfene Energiewirtschaftsgesetz. Der FDP-Politiker war für eine schnelle, stufenlose Öffnung des deutschen Strommarktes.
Rexrodt wollte es den Akteuren aus der Wirtschaft allein überlassen, sich über die Modalitäten des freien Wettbewerbs zu verständigen. Anstatt einer Regulierungsbehörde, die - wie bei der Telekommunikation - die Spielregeln vorgibt und für gleiche Wettbewerbsbedingungen sorgt, wurde es den Verbänden der Wirtschaft überlassen, die Durchleitung von Strom untereinander auszuhandeln.
Die damaligen Oppositionsparteien SPD und Bündnis 90/ Die Grünen liefen Sturm gegen das Rexrodt-Gesetz. Die SPD-Bundestagsfraktion zog sogar mit einer Beschwerde vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Nach der Bundestagswahl vom September '98 haben die Karlsruher Richter die SPD-Beschwerde erst einmal auf die lange Bank geschoben. Inoffizielle Begründung: Die SPD habe nun die Mehrheit, das Energiewirtschaftsgesetz in ihrem Sinne zu ändern.
Doch davon bislang keine Spur. Hintergrund ist ein Tauziehen zwischen der SPD-Bundestagsfraktion einerseits, der Bündnisgrünen Fraktion anderseits und dem parteilosen Bundeswirtschaftsminister Werner Müller. Bisheriger Höhepunkt der Auseinandersetzung: Werner Müller ließ vor zwei Wochen die Nachricht streuen, die SPD wolle es den Kommunen überlassen, ihren Bürgern die Durchleitung fremden Stroms zu verweigern. Ein Aufschrei der Empörung ging durch die Medien. Gerd Landsberg vom Deutschen Städte- und Gemeindebund:
"Ich würde nie einem Minister unterstellen, daß er mit Tricks arbeitet. Aber der Vorschlag ist nicht umsetzbar."
Die Gespräche zwischen der SPD-Fraktion und dem Wirtschaftsminister verlaufen entlang der Frage: Wie kann die Kraft-Wärme-Kopplung geschützt werden? Volker Jung, der energiepolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, über einen möglichen Weg:
"Wir wollen gerne eine Quote für Strom aus der KWK. Darin sind wir uns mit den Grünen einig. Ich denke, dass wir ansetzen müssen bei der heutigen Quote, damit keine Investitionsruinen entstehen. Das ist der ein Punkt. Der zweite: man müßte auch eine Entscheidung herbeiführen, ob der Anteil aus KWK nicht erhöht werden soll. Ich persönlich plädiere für diese Lösung, weil die Brennstoffbaus-Nutzung sehr hoch ist."
Eine Quote für Strom aus Kraft-Wärme-Kopplung hält der Wirtschaftsminister für kontraproduktiv. Werner Müller sieht darin sogar eine Gefahr für die kommunalen Unternehmen. Denn diese müßten dann mit den wesentlich effizienteren, gasbetriebenen Heizkraftwerken und Prozess-Wärmekraftwerken der chemischen Industrie innerhalb der Quote konkurrieren. Damit hätten die älteren kommunalen Anlagen keinen Vorteil von der Quote. Wirtschaftsminister Müller plädiert für Investitionshilfen für die Umrüstung und Modernisierung der alten Anlagen. Dazu der SPD-abgeordnete Volker Jung:
"Ich möchte ja nicht einen Streit um Worte beginnen, aber eine Quote halte ich für marktkonformer. Ganz davon abgesehen, dass man sagen müsste, wo das Geld herkommt, angesichts der Konsolidierungsanstrengungen, die wir ja zur Zeit betreiben."
Szenenwechsel: Wie sieht die Situation von Unternehmen anderthalb Jahre nach dem Ende der Gebietsmonopole aus. Es gibt keinen geeigneteren Ort, um sich ein Bild davon zu machen, als die Hauptstadt Berlin. Fast keine Woche vergeht, in der ehemalige Berliner Monopolist, die BEWAG, nicht in die Schlagzeilen kommt.
Als erstes öffentliches Unternehmen der Energiewirtschaft wurde die BEWAG 1997 vollständig privatisiert. In den letzten Monaten lieferte sich das Unternehmen einen juristischen Kleinkrieg mit dem Bundeskartellamt. Die BEWAG verweigerte mehrmals die Durchleitung fremden Stroms. Begründung: Durch die jahrzehntelange Insellage des Westteils der Stadt sei das Berliner Stromnetz nicht so aus-gebaut, dass Strom von dritten durchgeleitet werden könne.
Der aktuelle Stand der Auseinandersetzung: Das Bundeskartellamt verlangt von der BEWAG, wenigstens ein Fünftel der Leistungen von Außen für die Mitbewerber freizugeben. Der Durchbruch zu einem langsam einsetzenden Paradigmen-Wechsel, meint Kartellamts-Chef Dieter Wolf.
"Das ist das Entscheidende, dass in der Vorstellung der Eigentümer und Gerichte der Gedanke eingeht: Leitungen sind so etwas wie Straßen. Jeder darf sie benutzen - vor-erst gegen eine Gebühr. Aber keiner darf ausgenommen werden. Das ist eine neue Denke, die wir befördern, auch wenn nicht 100 Prozent, sondern nur eine verhältnismäßige Menge."
Und auch für eine weitverbreitete Unternehmens-Politik steht die BEWAG beispielhaft. Einerseits versucht sie die Durchleitung der Konkurrenz durchs eigene Netz zu verhindern. Andererseits verkauft sie selbst Strom in Gebiete anderer Ex-Monopolisten. BEWAG-Sprecher Siegfried Knopf:
"Wir sind im Wettbewerb. Wir bekennen uns zum Wettbewerb. Was die Preise betrifft, gehen wir davon aus, dass manche Anbieter zur Zeit mit Dumpingpreisen auf den Markt drängen, um sich Anteile zu sichern. Im Wettbewerb verliert man Kunden. Wir hoffen dass wir 80 Prozent halten können und 20 Prozent andernorts dazugewinnen... Die Bilanz ist nahezu ausgeglichen."
Der Wettbewerb auf dem Strommarkt ist schrill geworden. Insbesondere die baden-württembergische EnBw hat mit ihrer Kampagnen für Yellow-Strom bundesweit für Aufsehen gesorgt. Im Berliner Bahnhof Friedrichstraße stehen zwei junge Frauen und ein Mann, in knallgelben T-Shirts hinter einem Stand, dem sogenannten Yellow-Point, um Passanten für den Wechsel zu dem neuen Anbieter zu gewinnen. Strom als Markenprodukt, wie Seife oder Schokolade. Nur bei den Fragen des Reporters ist man nicht ganz so offen, wie die Werbung verspricht.
"Ich mache eine Reportage über den Strommarkt (Guten Abend) und hätte gerne gewußt, was sich bei Yellow-Strom zu kriegen habe....Das Schweigen heißt: Bei Yellow-Strom kann ich nichts bekommen?"
Bei abgeschaltetem Mikrofon ist zu erfahren, dass die Mitarbeiter der Yellow-Points nicht mit Medien-Vertretern sprechen dürfen. Und noch etwas erfährt man: Die meisten Kunden würden nach den Arbeitsplätzen und dem billigen Atomstrom fragen, den die Konzern-Mutter angeblich aus Frankreich bezieht.
Hintergrund: Der französische Atomriese EDF strebt eine 25prozentige Beteiligung bei der EnBW an. Damit ist in einem grenzenlosen Europa zu rechnen, meint Dieter Wolff vom Bundeskartellamt:
"Die EDF wird sich auf dem deutschen Strommarkt einkaufen, und die Herkunft des Stroms zu bestimmen, ist nahezu un-möglich. Das ist die Situation, die auch schon vor fünf-zehn Jahren voraussehbar war."
Die europäische Energiewirtschaft wird in den nächsten Jahren vollkommen umgekrempelt. Eine riesige Fusionswelle ist ins Rollen gekommen. Die Top-Nachricht vom heutigen Montag: Der Zusammenschluss des Düsseldorfer Veba-Konzerns und der Münchener Viag-Gruppe soll bis zum Sommer nächsten Jahres abgeschlossen sein.
Der neue Konzern verdrängt die bisherige Nummer Eins des deutschen Strommarktes, die Essener RWE, von ihrem angestammten Platz. Aber die RWE hat ebenfalls Großes vor. Mit dem Verkauf ihrer Anteile im Telekommunikations-Geschäft hat sie ihre Kriegskasse gefüllt. Weitere Übernahmen sind zu erwarten. Ganz im Sinne von Bundeswirtschaftsminister Werner Müller, der vor seiner politischen Laufbahn auch Manager bei VEBA war. In einem Brief an die SPD-Fraktion schrieb Müller im Frühjahr:
"Die Neuorientierung der Versorgungsunternehmen ist in vollem Gange. Dies bewirkt einen nachhaltigen Innovations- und Modernisierungsschub in einer der zentralen Branchen unserer Volkswirtschaft, die jahrzehntelang rechtlich geschützt als Monopol geführt wurde. Die deutsche Stromwirtschaft wird insgesamt gestärkt und zukunftsfähiger aus diesem Umstrukturierungsprozess hervorgehen, insbesondere für den Wettbewerb auf europäischer Ebene. Unternehmen, die sich in einem liberalisierten Markt haben behaupten können, haben einen Fitness-Vorsprung gegenüber Konkurrenten aus Nachbarländern, die ihre Märkte geschlossen halten oder nur stufenweise öffnen."
Doch schon warnen Umweltschützer vor den Konsequenzen einer rücksichtslosen Liberalisierung. Denn der Wettbewerb wird einzig über den Preis gemacht - unabhängig wie und wo der Strom hergestellt wird. Ukrainischer Atomstrom zum Beispiel aus einem Reaktor vom Typ Tschernobyl wird bereits für zwei Pfennige angeboten. Ein Kampfpreis, der mit hiesigen Sicherheitsauflagen nicht zu übertrumpfen ist. Eine Lenkungswirkung durch die Ökosteuer, wie sie die rot-grüne Bundesregierung einmal vorgesehen hatte, wird völlig ad absurdum geführt, meint Mathias Eichelbrönner vom Forum für Zukunftsenergie in Bonn:
"Die Ökosteuer wird überkompensiert durch den liberalisierenden Aspekt, die Preise gehen weit aus mehr runter als durch die Ökosteuer angehoben und dadurch ist die Lenkungswirkung der Ökosteuer nicht vorhanden. Der Preis setzt hier die völlig falschen Signale und stimuliert eher zum nachlässigen Umgang mit dem Energieträger Strom."
Die Bereitschaft für erneuerbare Energie mehr zu zahlen, wird in der Bevölkerung abnehmen - angesichts des Preis-Wettkampfes auf dem Markt, meint der Energie-Experte:
"Eine rücksichtlose Liberalisierung hat nur einen Preisverfall zur Folge und wir können uns angesichts dieser Preise die gesamte Diskussion um regenerative Energien schenken. Davon wird dann nichts mehr übrig bleiben."
Eine Debatte um den Atomausstieg in Deutschland wirkt geradezu rührend vor dem Hintergrund, dass Atomstrom von überall her nach Deutschland geliefert wird. Für eine sanfte Öffnung des Marktes bleibt nicht mehr viel Zeit.
Bereits am morgigen Dienstag stellen die Verbände dem Bundeswirtschaftsminister ihre Durchleitungsvereinbarung vor. Mit ihr wird die letzte Stufe des Wettbewerbs eingeläutet. Eberhard Meller, Geschäftsführer des Verbades der Energiewirtschaft VDEW:
"Grundlage ist ein transaktionsunabhängiges Punktmodell. Das heißt jeder kann ein Abonnement am Netz bekommen, das berechnet sich aus bestimmten Kostenbestandteilen. Unter anderem sind die kalkulatorischen Kosten des jeweiligen Netzes maßgeblich."
Die heutige Großdemonstration von Mitarbeitern der Stadt-Werke wird nicht die letzte gewesen sein. Und nicht nur wegen der Liberalisierung beim Strom werden Stadtwerke und kommunale Eigenbetriebe in wirtschaftliche Schieflagen geraten. Auch beim Gas und bei der Wasserversorgung sind in Deutschland die Weichen auf eine schnelle Öffnung des Marktes gestellt.