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Städte- und Gemeindebund: Finanzsituation der Kommunen "verheerend"

Der Einsturz der Eissporthalle in Bad Reichenhall ist nach Darstellung des Städte- und Gemeindebundes kein Hinweis auf mangelhafte Bauvorschriften. Der Hauptgeschäftsführer des Verbandes, Gerd Landsberg, sagte im Deutschlandfunk, er könne nicht erkennen, dass die Kontrollen unzureichend seien. Die Finanzsituation der Kommunen nannte Landsberg "verheerend". Im vergangenen Jahr habe das Defizit 5,5 Milliarden Euro betragen. Dadurch werde die Sanierung öffentlicher Gebäude zunehmend schwieriger.

Moderation: Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Es heißt häufig, Herr Landsberg, heutzutage im Zeitalter von international agierenden Konzernen, im Zeitalter von Globalisierung hat die Politik immer weniger zu sagen, weniger Einfluss. Die Wirtschaft bestimmt, wo es lang geht. Sie als Vertreter des Deutschen Städte- und Gemeindebundes: Spüren Sie diese Entwicklung, weniger Einfluss als früher zu haben?

    Gerd Landsberg: Also, ich kann das eigentlich nicht so sehen. Jedenfalls kann ich das nicht für die Kommunalpolitik bestätigen. Da würde ich eher die gegenteilige Entwicklung bemerken. Wir haben ja den Staat, wenn der Bürger den Staat empfindet, empfindet er ihn eigentlich über die Kommune. Das beginnt mit der Geburt im städtischen Krankenhaus und endet mit der Beerdigung auf dem kommunalen Friedhof. Parallel dazu hat der Bürger sicherlich das Gefühl, was Sie beschrieben haben. Die Bedeutung der Nationalstaaten geht zurück, auch der europäische Einigungsprozess spricht dafür. Und sie suchen eben ihre Identität mehr in der Stadt, in der Gemeinde, in der Region, in großen Städten teilweise sogar richtig im Ortsteil, dass man sagt: "Ich komme aus diesem Stadtteil." Man kann das an den Autos auf der Autobahn sehen. Insofern sehe ich da eher eine gegenteilige Entwicklung, und das ist sicherlich auch eine Chance für die Kommunalpolitik.

    Meurer: Aber das Städtische Krankenhaus wird privatisiert, die Müllabfuhr wird privatisiert, die Wasserleitungen werden neuerdings schon privatisiert. Machen sich die Kommunen da nicht doch etwas bedeutungsloser?

    Landsberg: Das ist zweifellos richtig. Andererseits können Sie aber auch feststellen, zum Beispiel am Beispiel Nordrhein-Westfalen, dass die Bürger, wenn man Stadtwerke verkaufen will, auf die Straße gehen und das auch zu Fall bringen. Also das Interesse der Bürger, eine eigene, auch von der örtlichen Kommunalpolitik geleitete Infrastruktur zu haben, ist ungebrochen - was nicht heißt, dass man es nicht privatisiert, solange der kommunalpolitische Einfluss auf die Führung, und damit letztendlich auch auf die Arbeitsplätze erhalten bleiben.

    Meurer: Was darf denn privatisiert werden und was darf nicht privatisiert werden?

    Landsberg: Also ich denke, es gibt keine Antwort, wo man sagt: Dieses darf nicht und jenes darf nicht. Wir haben ja eine historische Entwicklung. Früher hätte man gesagt: Also die Abwasserbeseitigung darf auf keinen Fall privatisiert werden und die Müllbeseitigung auch nicht. Das muss eine Entscheidung sein, die vor Ort getroffen wird. Sie muss sich davon abhängig machen, wie wirkt sich das auf eine Stadt, auf eine Region aus? Und ich glaube, man muss ein Interesse als Kommunalpolitiker haben, auch mit kommunaler Infrastruktur Daseinsvorsorgeleistungen für die Bürger zu bringen und damit für seine Region etwas zu tun. Ich warne auch davor zu glauben, Privatisierung sei das Allheilmittel. Schauen Sie in andere Länder, etwa nach England. Dort hat man mit großem Furore die gesamte Wasserversorgung privatisiert. Und jetzt macht man genau das Gegenteil. Man stellt nämlich fest, dass das so gut nicht gelaufen ist - und re-kommunalisiert. Also, es gibt kein Allheilmittel. Im Einzelfall kann das richtig sein, aber generell würde ich nicht sagen, dass eine Kommune alles privatisieren sollte.

    Meurer: Nur - in Deutschland sind die Wasserpreise mit am höchsten, vermutlich auch die Müllabfuhr. Kann man das ändern durch Privatisierung?

    Landsberg: Ich glaube nicht, dass man das durch Privatisierung ändern kann. Sicherlich sind die Wasserpreise relativ hoch. Gleichwohl ist aber auch die Qualität des Wassers in Deutschland höher als in den meisten anderen europäischen Staaten. Das können Sie auch daran festmachen, dass wir einen Anschlussgrad bei der Kanalisation von inzwischen 99 Prozent haben. Es gibt also kaum noch jemand, der in eine Klärgrube entwässert. Und all dieses hat natürlich seinen Preis. Und die Qualität hängt mit dem Preis zusammen. Und in dem Moment, wo Sie es privatisieren - das ist ja das gute Recht -, will der Private natürlich Gewinne machen. Insofern hat man mir noch nicht richtig erklären können, dass das dann in jedem Fall der bessere und auch der preiswertere Weg sein kann.

    Meurer: Die Innenstädte veröden, heißt es. Man kann es beobachten: Die Geschäfte, die großen Ketten, ziehen auf die grüne Wiese. Kommunalpolitiker versuchen verzweifelt, die Innenstädte am Leben zu erhalten. Wie kann man diese Entwicklung aufhalten?

    Landsberg: Also, das ist ja Folge der demographischen Entwicklungen. Wir haben rückgehende Bevölkerungszahlen, das ist regional unterschiedlich. Und wir haben natürlich auch lange Zeit zu wenig Wohnumfeld in den Innenstädten geschaffen. Das hat dazu geführt, dass große Ketten sich dort etabliert haben. Die machen nicht immer das Geschäft, das sie sich erhofft haben und ziehen sich dann zurück. Ich denke, wir müssen auch zurück zu Strukturen, wo es den Menschen wieder Spaß macht, in der Innenstadt nicht nur einzukaufen, sondern auch zu leben. Das geht alles nicht von heute auf morgen. Die Grundstückspreise werden sicherlich einen Beitrag dazu leisten, denn bisher war es sehr viel günstiger, auf die grüne Wiese zu ziehen. Dort war das Land, und das ist auch jetzt noch so, preiswerter. Da gibt es sicherlich ein Umdenken. Aber das ist nicht ein Prozess von heute auf morgen, sondern sicherlich von 10, 20 Jahren.

    Meurer: Gibt es wirklich ein Umdenken, wenn man sieht, Gemeinden machen sich gegenseitig Konkurrenz? Die eine Gemeinde weist ein Gewerbegebiet auf der grünen Wiese aus, da kommen Baumärkte hin, Einzelhandelsketten usw., und die Nachbargemeinde darf dann in die Röhre schauen.

    Landsberg: Das sollte natürlich eigentlich nicht so sein. Andererseits muss man sehen: Auch das ist unter Umständen gesunder Wettbewerb. Städte stehen zueinander in Wettbewerb. Andererseits gibt es aber auch viele Beispiele, wo Städte damit anders umgehen, indem sie kooperieren. Es gibt gemeinsame Gewerbegebiete. Wir sehen darin übrigens auch eine große Chance - nicht nur im Bereich Gewerbebetriebe, sondern auch bei anderen Leistungen für die Bürger, effektiver zu werden dadurch, dass man zusammenarbeitet, stellen allerdings fest, dass viele Kooperationen, auch wenn sie gewollt sind, an dem Rechtsrahmen scheitern. Ich will ein Beispiel nennen: Wenn die Gemeinde A mit der Gemeinde B gemeinsam Wasser beseitigen will, ist das ausschreibungspflichtig nach den Vorgaben der EU - und damit ist das natürlich von vornherein schon zum Scheitern verurteilt.

    Meurer: Die Finanznot der Gemeinden, Herr Landsberg, dieser Begriff - das ist ja schon fast zu einem geflügelten Wort geworden. Die große Koalition in Berlin sagt: Wir wollen den Kommunen helfen. Sehen Sie Licht am Ende des Horizonts?

    Landsberg: Also, ich will gerne Licht sehen, nur im Moment ist dieses Licht für mich noch nicht erkennbar. Wir haben im letzten Jahr ein Defizit von 5,5 Milliarden gemacht, wir haben Kassenkredite von 27 Milliarden - das sind eigentlich kurzfristige Finanzen, mit denen manche Kommunen inzwischen ihr Personal bezahlen. Und wir haben daneben eine Verschuldung von etwa 90 Milliarden. Das ist eine verheerende Situation. Und ich sage auch klar: Ich sehe natürlich die Finanznot von Bund und Ländern, das muss man sehen. Wenn wir hier eine Lösung bekommen können, dann muss die beide Seiten im Auge haben. Das heißt, wir brauchen eine Stabilität unserer Einnahmen, aber auch eine Reduzierung der Ausgaben. Nur über die Einnahmenseite lässt sich das Problem nicht lösen. Und das heißt im Klartext: Bestimmte gesetzliche Aufgaben müssen reduziert werden für die Kommunen oder sie müssen wegfallen, wenn man hier irgendwann mal ein anderes Ergebnis haben will. Und das hängt ja sehr stark auch damit zusammen, dass unsere Kraft, zu investieren, immer geringer geworden ist. Und das merkt man halt an den örtlichen Arbeitsmärkten.

    Meurer: An welche Aufgaben und Ausgaben denken Sie, die Sie nicht mehr bestreiten wollen?

    Landsberg: Also, es gibt ein Beispiel, wo wir eine Explosion von Kosten haben. Das ist die Eingliederungshilfe für Behinderte. Noch im Jahre 1992 haben die Kommunen dafür etwa vier Milliarden ausgegeben, im letzten Jahr waren es elf Milliarden, Tendenz steigend. Natürlich will ich nicht, dass die Menschen ihre Leistungen nicht bekommen, aber man muss schon fragen: Ist das eigentlich eine kommunale Aufgabe? Ist das nicht eigentlich eine Verantwortung der Gesamtgesellschaft, Menschen, die behindert sind oder behindert werden durch einen Unfall, dafür zu sorgen, dass die entsprechend ausgestattet werden? Und da sehe ich eigentlich keine kommunale Aufgabe, und deswegen muss man darüber reden. Man wird auch darüber reden müssen, ob wir uns nicht alle gegen ein solches Risiko, was jeden treffen kann, versichern müssen. Das ist ein Beispiel. Es gibt viele andere. Ich denke, Politik könnte den Kommunen viel mehr Freiräume einräumen, um auch Bürokratie vor Ort abbauen zu können.

    Meurer: Auf der anderen Seite ist der Bund Ihnen entgegengekommen in Milliardenhöhe bei den Wohnungskosten der Arbeitslosengeld II - Empfänger. Können Sie da wirklich jetzt noch das Dauerklagelied singen?

    Landsberg: Also wir singen kein Dauerklagelied. Wir haben das auch sehr begrüßt, dass der Bund sich bereit erklärt hat, die 29,1 Prozent Unterkunftskosten zu tragen. Das freut uns, das haben wir auch entsprechend anerkannt, ich tue das hier auch noch mal ausdrücklich. Nur, man muss auch sehen, das ist eine gesetzliche Regelung, auf die man sich verständigt hat. Wir haben da unser Recht bekommen, aber so steht es nun einmal auch im Gesetz. Und wir haben ja nicht nur die Einnahme, dass der Bund uns die Unterkunftskosten gibt, sondern wir haben eben auch in diesem Bereich deutliche Ausgaben für die Unterkunftskosten. Und die ganze Hartz IV - Operation kostet natürlich auch die Kommunen Geld.

    Meurer: Wie viel Geld?

    Landsberg: Eine Menge, das können wir nicht genau feststellen. Wir haben natürlich auch eine Entlastung, das sage ich deutlich, denn die erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger sind ja jetzt im Arbeitslosengeld II, fallen also bei den Kommunen weg. Aber wir haben eben die 70 Prozent Unterkunftskosten. Und um so mehr Menschen arbeitslos sind, um so höher wird auch unser Beitrag dazu. Und deswegen sagen wir auch: Wir tragen das Problem Hartz IV mit, wir wollen diese Reform, wir haben die übrigens auch immer gefordert. Aber wir müssen bei der Optimierung, wie die neue Bundesregierung das ja nennt, bestimmte Maßnahmen ergreifen, dass die Kosten nicht aus dem Ruder laufen.

    Meurer: Wann beginnen die Kommunen endlich, zusammen mit den Arbeitsagenturen auch Arbeitslose zu vermitteln, Langzeitarbeitslose in Jobs zu vermitteln?

    Landsberg: Also, meines Erachtens tun sie das schon. Das wird in der Öffentlichkeit zu wenig gesehen. Die Hartz IV-Reform war die größte Reform eines Arbeitsmarktes der Welt bisher. Es sind fast drei Millionen Menschen von dem System betroffen. Wir haben insgesamt ja 4,6 Millionen Erwerbslose. Wir können natürlich mit der besten Arbeitsverwaltung der Welt keine Menschen vermitteln, wenn es die Arbeitsplätze nicht gibt. Insofern war die Erwartungshaltung an die Reform vielleicht auch zu hoch. Es gibt aber durchaus Erfolge, ich will einige Beispiele nennen. Wir haben immerhin 300.000 Ein-Euro-Jobs. Nun kann man sagen: Ein-Euro-Job, das ist ja nichts. Die Menschen, die bisher lange Zeit arbeitslos waren, empfinden das aber als Chance. Wir haben sehr viel mehr Menschen, die das machen wollen, als wir Stellen zur Verfügung haben. Aber 300.000, das ist ein Wort. Und für jeden Einzelnen, der das machen will und auch machen kann, ist dies eine Chance.

    Meurer: Aber wie viele von den Ein-Euro-Jobbern bekommen dann anschließend die Perspektive, wirklich einen regulären Arbeitsplatz zu bekommen?

    Landsberg: Also, es gibt Menschen, die auch über einen Ein-Euro-Job zurückkommen, denn unser Hauptproblem sind ja unqualifizierte Langzeitarbeitslose. Das sind teilweise Menschen, die natürlich auch an einen Arbeitsprozess gar nicht gewöhnt sind. Und da ist der Ein-Euro-Job sicherlich ein ganz wichtiger Faktor. Ich will ein zweites Beispiel nennen, auch das ist in der Öffentlichkeit aus meiner Sicht zu wenig dargestellt worden: Erstmalig steht im Gesetz, dass ein Jugendlicher bis 25 einen Rechtsanspruch auf einen Arbeitsplatz, einen Ausbildungsplatz oder eine gemeinnützige Beschäftigung hat. Das hat zur Folge, dass zum Beispiel in Deutschland die Jugendarbeitslosigkeit sehr, sehr viel geringer ist als etwa in Frankreich. Auch das ist für mich ein Beleg dafür, dass vieles funktioniert. Die Vermittlung wird nur dann gewaltig steigen können, wenn es die notwendigen Arbeitsplätze gibt. Und da sind wir wieder beim kommunalen Thema. Die notwendigen Arbeitsplätze wird es geben, wenn Investitionen kommen. Und über ein Drittel aller öffentlichen Investitionen laufen über die Kommunen. Und da beißt sich so ein bisschen die Katze wieder in den Schwanz. Solange die Kommunen nicht die nötigen Mittel haben, können sie nicht investieren. Solange sie nicht investieren können, können sie keine Arbeitsplätze schaffen, solange es keine Arbeitsplätze gibt, kann darauf auch nicht vermittelt werden.

    Meurer: Im Prinzip hat der Bund auch kein Geld und legt gerade ein 25-Milliarden-Euro schweres Investitionsprogramm, verteilt auf vier Jahre, auf den Tisch. Können die Kommunen sich nicht auch diesem Kraftakt anschließen?

    Landsberg: Die Kommunen werden das, wo sie es können, selbstverständlich tun. Wir halten das für richtig, dieses Programm. Wir warnen aber davor, dass man das aus dem Stand kann. Es gibt ja einen ganz großen Unterschied zwischen Bund und Kommunen: Wenn der Bund wirklich Geld braucht, und das zeigt ja auch die neue Regierung, dann geht er hin und erhöht eben die Mehrwertsteuer. Die Kommunen haben diese Refinanzierung, wenn ich das mal so nennen darf, eben nicht.

    Meurer: Aber die Kommunen könnten eine eigene Steuer einführen. Diese Diskussion haben wir ja. Und offenbar wollen das die Kommunen nicht.

    Landsberg: Die Kommunen haben bisher lediglich gesagt: Bevor wir die Gewerbesteuer durch etwas anderes ersetzen, wollen wir genau wissen, wie sich das auswirkt. Wir haben ja eine Art Abwehrschlacht geführt. Es wird immer gesagt, die Gewerbesteuer, das ist der negative Standardfaktor in Deutschland. Ich glaube das, ehrlich gesagt, nicht in diesem Ausmaß. Denn es ist ja nicht erklärbar, wenn die Gewerbesteuer tatsächlich so ein negativer Standardfaktor ist, warum viele Unternehmen dann gerade in die Städte drängen, wo die Gewerbesteuer am höchsten ist. Nehmen Sie einmal München, nehmen Sie Frankfurt, da sind die Hebesätze die höchsten. Trotzdem wollen die Unternehmen alle da hin. Das ist ein Faktor, aber nicht der entscheidende. Wir werden uns einer Reform nicht verschließen, aber man muss auch wissen: Die Nettogewerbesteuer - also von der Gewerbesteuer bekommt ja einen Teil auch Bund und Land - ist in einer Höhe von im letzten Jahr etwa 24 Milliarden. Das ist ein gutes Viertel unserer Einkünfte. Bevor man da leichtfertig darüber redet, muss man real gerechnet haben und man muss fragen: Was soll aus dem Kuchen werden? Soll er kleiner werden, soll er größer werden und wer soll ihn bezahlen? Was wir nicht wollen ist, dass er kleiner wird. Und was wir auch nicht wollen, dass teilweise auf die Bürger zusätzliche Lasten zukommen, um die Wirtschaft zu entlasten. Das kann auch nicht funktionieren.

    Meurer: Wir haben ein tragisches Ereignis in der jüngsten Vergangenheit gehabt. Das Dach der Eissporthalle in Bad Reichenhall war eingestürzt mit sehr vielen Toten. Wie groß, Herr Landsberg, ist die Gefahr, dass sich so ein Unglück wiederholen kann angesichts des Zustandes vieler öffentlicher Gebäude?

    Landsberg: Also, ich habe das ja schon angedeutet, dass wir einen enormen Investitionsbedarf haben. Das gilt natürlich auch für öffentliche Gebäude. Ich habe aber keinen Anlass, zu glauben, dass Städte und Gemeinden ihre Verkehrssicherungspflicht vernachlässigen und Gebäude, die eben auch in die Jahre gekommen sind, nicht ausreichend kontrollieren. Wir wissen bis heute nicht, das werden wir wahrscheinlich erst in wenigen Monaten wissen, warum dieses tragische Ereignis in Bad Reichenhall stattgefunden hat. Ich warne aber davor, das ist ein bisschen auch deutsche Mentalität, sowie etwas geschieht, heißt es, wir brauchen neue Vorschriften, wir brauchen neue Kontrollen. Das muss man beurteilen, wenn es so weit ist und wissen, warum ist dieses Ereignis passiert. An sich würde ich sagen, haben wir in Deutschland genug Bauvorschriften. Und deswegen glaube ich, dass im Moment unmittelbarer Handlungsbedarf nicht bestehen kann.

    Meurer: Nun sagen aber einige, wir haben tickende Zeitbomben, zum Beispiel in Gestalt von Eisenbahnbrücken, für deren Sicherheit meines Wissens die Kommunen zuständig sind. Streiten Sie diese Gefahr ab?

    Landsberg: Nein, ich streite nicht ab, dass ein enormer Sanierungsbedarf besteht. Ich streite aber ab, dass die Kommunen nicht jedenfalls so weit kontrollieren, dass sie sagen, wenn das einsturzgefährdet ist, dann sperren wir so eine Brücke. Und ich sage auch deutlich: Viele Kommunen, vor allen Dingen kleinere Kommunen, sind mit den immensen Kosten, die schnell in die Millionen gehen, überfordert. Und deswegen haben wir ja den Vorschlag gemacht: Es gibt immer noch Investitionsmittel, die der Bund der Bahn zur Verfügung stellt und die die Bahn nicht einsetzt. Seit 1999 waren das 1,4 Milliarden. Dann wäre es doch sinnvoll, zunächst einmal dieses Geld dafür zu benutzen, um die besonders sanierungsbedürftigen Eisenbahnbrücken wieder instand zu setzen.

    Meurer: Wie sicher können die Bürger wenigstens sein, Herr Landsberg, dass regelmäßig geprüft wird, die Statik, die Zuverlässigkeit öffentlicher Gebäude?

    Landsberg: Also, ich glaube schon, dass sie da sicher sein können. Das ist übrigens nicht nur ein Interesse der Kommunen, um ihre Bürger zu schützen, das ist natürlich auch ein Interesse der Versicherer, denn alle unsere Gebäude sind natürlich versichert. Ich habe keine Anhaltspunkte, dass dieses vernachlässigt wird.

    Meurer: Sie sagen, wir brauchen nicht mehr Kontrollen. Das heißt auch wir können uns doch weniger Bürokratie in den Kommunen leisten?

    Landsberg: Also, wir würden uns natürlich weniger Bürokratie wünschen. Und die Diskussion wird aus meiner Sicht falsch geführt. Es wird immer gesagt, die Politik muss die Bürokratie abbauen. Ich glaube nicht, dass das von oben nach unten geht. Das geht nur von unten nach oben. Das heißt, man müsste den Kommunen mehr Freiräume einräumen. Die Schweden zum Beispiel haben mal ein Experiment gemacht, die so genannte vorschriftenfreie Gemeinde. Sie haben alle, also fast alle Vorschriften für vorübergehende Zeit außer Kraft gesetzt und haben gesehen, funktioniert das eigentlich noch? Und man wird sich nicht wundern: Es hat natürlich funktioniert. Ich bringe mal ein anderes Beispiel: Nach dem Zweiten Weltkrieg, da gab es keinen Bund, da gab es keine Länder. Das einzige, was es gab, waren Städte und Gemeinden, die aus dem Schutt aufstanden und gehandelt haben. Auch das hat funktioniert. Man muss auch sehen: Bürokratie ist ja nicht nur etwas, was Politiker böswillig machen. Es ist etwas, was die Bürger häufig wollen, jedenfalls in dem Moment, wo irgend etwas passiert.

    Meurer: Aber was die Bürger manchmal auch auf die Palme bringt: Wenn jemand, der eine kleine Eisdiele betreibt, sagt: Damit ich nur Tische und Stühle vor die Türe stellen kann, muss ich einen Lauf durch die Bürokratie, durch alle möglichen Ämter einer Stadt vornehmen - das ist doch nicht dem Bund geschuldet.

    Landsberg: Nein, das ist nicht dem Bund geschuldet, aber das ist auch nicht der Kommune geschuldet. Das sind natürlich wieder baurechtliche Vorgaben. Das sind Vorgaben des Personenschutzes, der Arbeitnehmer-, der Arbeitschutzvorschriften. All diese Dinge müssen in der Tat auf den Prüfstand. Aber ich glaube, wir brauchen bei den Menschen auch einen Wandel der Einstellung. Wenn dem Deutschen etwas passiert, muss immer einer verantwortlich sein. Und wir müssen auch sehen, dass ein Teil der Bürokratie ja gar nicht vom Gesetzgeber kommt. Er kommt von den so genannten Fachbruderschaften, denen immer noch etwas einfällt und teilweise natürlich auch durch die Rechtsprechung. Ein einfaches Beispiel: Auf einem Friedhof fällt ein Grabstein um. Jemand wird verletzt. Das ist natürlich tragisch. Daraufhin wird die Stadt - das war ein städtischer Friedhof - verurteilt, weil das nicht kontrolliert wurde. Nun ist der Fall damit nicht erledigt. Daraus folgt, dass die Versicherer von den Städten erwarten, dass an allen Grabsteinen einmal im Jahr gerüttelt wird. Damit ist der Fall immer noch nicht zu Ende. Es darf nicht jeder rütteln, also Sie dürften nicht rütteln, ich dürfte nicht rütteln, sie brauchen wieder speziell ausgebildete Leute. Das kann also auch nicht jeder machen. Das ist ein kleines Beispiel, aber das ist teilweise auch ein Mentalitätsbeispiel. Und deswegen brauchen wir auch eine Mentalitätswende, wenn wir Bürokratie konsequent abbauen wollen.

    Meurer: Der Fall, den Sie gerade genannt haben, hat mit Recht zu tun. Ähnliche Geschichten gibt es aus Kindergärten beispielsweise zu erzählen, dass da keine Schaukeln mehr aufgestellt werden dürfen, weil die zu gefährlich sind. Hat der ehemalige McKinsey-Chef Henzler recht, der sagt - jetzt zitiere ich einmal -: Die Erfahrungen mit früherem Bürokratieabbau zeigen, dass nach kurzer Zeit das Unkraut wieder nachwächst. Ein aussichtsloser Kampf, der da gegen Bürokratie geführt wird?

    Landsberg: Also, ich hoffe nicht, dass er aussichtslos ist. Aber es ist vieles dran. Es hat noch keine Bundesregierung gegeben, wo Sie in der Regierungserklärung oder in den entsprechenden Koalitionsverträgen nicht das Bekenntnis zum Bürokratieabbau fanden. Und deswegen glaube ich, müssen wir bei Gesetzgebung auch in Zukunft - es werden ja immer wieder neue Gesetze gemacht - anders damit umgehen. Wir müssen fragen: Was kostet das Gesetz? Was erzeugt es an Bürokratie? Wie wirkt es sich zum Beispiel auf Arbeitsplätze und Arbeitsmarkt aus? Und wir sollten viel mehr bei diesem Gesetzes-TÜV auch auf Befristung setzen. Warum muss jedes Gesetz eigentlich immer gleich unbeschränkt gelten? Denn wenn es befristet ist, wird man nach einigen Jahren sagen, brauchen wir das eigentlich noch? So findet eigentlich eine Kontrolle eher zufällig statt, und ich denke, da ist ein Umdenken notwendig.

    Meurer: Bei der Finanzknappheit der Kommunen, wird die Kinderbetreuung auf der Strecke bleiben?

    Landsberg: Die Kinderbetreuung findet ja in großem Umfang auf kommunale Kosten statt. Wir haben 13 Milliarden, die wir pro Jahr ausgeben. Die Bundesregierung hat in der Koalitionsvereinbarung ja die Erwartung ausgesprochen, die Kinderbetreuung auszubauen. Das gilt insbesondere für unter Dreijährige. Das ist politisch wünschenswert, nur man muss fragen, wo soll dauerhaft das Geld dafür herkommen? Die Frage muss beantwortet werden. Kinderbetreuung ist auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Das ist nicht nur die Kommune, das sind nicht nur Bund und Länder, das sind Gewerkschaften und Arbeitgeber, das sind auch öffentlich Beschäftigte, die sich um diese Frage mit kümmern müssen. Und ich sage, bei den nächsten Kindergelderhöhungen, die ja irgendwann diskutiert werden, wird es besser sein, das Geld in Infrastruktur zu investieren, als weiter zum Beispiel die finanziellen Leistungen zu erhöhen. Und ich habe das ein bisschen bedauert, ich fand es gut, dass die Koalitionsvereinbarung sagt, wir müssen sparen, wir versprechen dem Bürger nichts, was wir nicht halten können. In dem Punkt ist die Koalitionsvereinbarung allerdings etwas darüber hinaus gegangen und hat gesagt, wir wollen auch, dass das Kindergartenjahr, also das letzte, demnächst kostenfrei ist. Aus kommunaler Sicht ist das zwar wünschenswert, aber finanziell illusorisch . . .

    Meurer: Sie sind auch gegen das Elterngeld, habe ich gelesen. Sie sind dagegen, dass die steuerliche Absetzbarkeit von Kinderbetreuung verbessert wird. Sie waren gegen den Rechtsanspruch für einen Kindergartenplatz. Nehmen Sie ein bisschen wenig Rücksicht auf die Interessen der Eltern?

    Landsberg: Nein, also da verstehen Sie uns miss. Ich finde das alles prima, ich finde das Elterngeld gut, ich finde auch die Absetzbarkeit der Betreuungskosten gut, nur ich frage mich, wo das Geld dafür herkommt und wenn es da ist, ob es nicht an anderer Stelle besser für die Familie eingesetzt wird. Wir haben doch das Problem, dass gerade sozial schwache Schichten darunter leiden, dass wir keine geschlossene Kinderbetreuung haben. Und das muss Vorrang haben. Das heißt nicht, dass die anderen Maßnahmen, die auch jetzt ja noch einmal bestätigt worden sind in Genshagen, die sind durchaus gut und das begrüßen wir. Aber wir sagen, das reicht nicht. Wir brauchen eine funktionsfähige, dauerhaft finanzierte Infrastruktur. Und wir sagen auch: Wir Kommunen schaffen das nicht aus eigener Kraft. Und darauf muss Politik eine Antwort finden.

    Meurer: Geht, Herr Landsberg, Ihrer Meinung nach in den Städten und Gemeinden eine Schere auseinander - im Vergleich zur Vergangenheit - zwischen wohlhabenden Stadtteilen und weniger wohlhabenden Stadtteilen?

    Landsberg: Also, das würde ich generell nicht so sagen. In einzelnen Städten haben wir eine solche Entwicklung, aber ich glaube nicht, dass das eine generelle Tendenz ist.

    Meurer: Haben wir keine Ghettobildung, in denen Stadtteile besonders viele Ausländer und Arbeitslose aufweisen?

    Landsberg: Selbstverständlich haben wir das. Also, wenn Sie das Beispiel Berlin nehmen, da finden Sie das. Das ist allerdings nicht zu vergleichen mit der Situation, die ja in Frankreich jetzt in den letzten Monaten des letzten Jahres eskaliert ist. Aber wir müssen sehr wohl darauf achten, dass wir hier gegensteuern. Wir müssen verhindern , dass solche Ghettos, ich nenne das mal: kippen. Die wird es in gewisser Weise immer geben. Das lässt sich nicht vermeiden. Aber das muss ein Schwerpunkt von Jugendarbeit, von Sozialarbeit sein. Und das muss auch ein Schwerpunkt sein, wo man versucht, Arbeitsplätze im Bezirk zu schaffen, um das letztlich aufzulösen oder wenigstens aufzulockern. Das ist übrigens ein Fehler, den aus meiner Sicht auch die Franzosen gemacht haben. Man hat diese Ghettos sich bilden lassen, hat ab und zu ein bisschen Geld hinein geschoben, aber hat die eigentliche Sozial- und Jugendarbeit eher immer weiter zurückgefahren und deswegen ist es auch explodiert.

    Meurer: Bei der sozialen Jugendarbeit wird auch gespart in den Kommunen. Wie groß ist die Gefahr, dass wir uns französischen Verhältnissen annähern?

    Landsberg: Also, ich würde sagen, im Moment ist die Gefahr noch nicht so groß, weil wir eben ein anderes Sozialsystem haben, weil wir eine andere Situation bei der Jugendarbeitslosigkeit haben. Trotzdem müssen wir für die Zukunft gewappnet sein und wir müssen mehr für diese Viertel und insbesondere natürlich nicht für, sondern mit den Menschen tun. Das ist aus meiner Sicht das ganz Entscheidende. Wir müssen diese Leute mitnehmen, und es kann nicht sein, dass in bestimmten Gruppen eine Arbeitslosenquote entsteht, die dann möglicherweise irgendwann ähnlich wie in Frankreich bei 30, 40, 45 Prozent liegt.

    Meurer: Beobachten Sie nicht doch, dass es eine Entwicklung gibt, eine Entmischung eben, dass Stadtteile von Mittelschichtbürgern verlassen werden und damit die Probleme eines bestimmten Stadtteils größer werden?

    Landsberg: Das gibt es dann, wenn keine ausreichende Stadtteilarbeit stattfindet. Es gibt auch gegenteilige Entwicklungen, wo durch geschicktes Management, das sind ja teilweise die städtischen Wohnungsbauunternehmen, es gelingt, wieder Bürger oder auch Familien dort hin zu bringen. Aber die Gefahr besteht unzweifelhaft, nur sie hängt eben immer wieder mit unserem Hauptproblem zusammen, wenn die Leute Arbeit hätten, würde sich das anders entwickeln. Das zeigt ja auch die Geschichte. Deutschland hat ja über lange Jahre sehr viele Zuwanderer gehabt, auch Italiener und andere. Die sind ganz prima integriert worden. Also, wir haben durchaus Erfolge gehabt. Aber die hängen natürlich auch immer mit der Arbeitsmarktsituation zusammen.