Archiv


Stalin als Opernheld

Ein neu aufgefundenes Stück von Stanislaw Lem, dem vor zwei Jahren verstorbenen Meister der Science-Fiction, hat in Polen für Furore gesorgt. Es handelt sich um eine Art Opernlibretto über Stalin. Laut Martin Sander ist das Werk eine "ätzende, beißende Satire auf den Sozialismus Stalin'scher Prägung" und zeichnet den Autor als Menschen mit einer tiefen Abneigung gegenüber Ideologien aller Art aus.

Martin Sander im Gespräch mit Beatrix Novy |
    Stanislaw Lem: In der Musik bin ich vollkommen blind, aber in den schönen anderen Künsten zum Beispiel, ich mag sehr Vermeer besonders. Ich weiß nicht, warum. Auch Goya, weil der sich vor der Grausamkeit des Lebens nicht fürchtete.

    Beatrix Novy: Er liebte Vermeer und Goya und die Grausamkeit des Lebens kannte Stanislaw Lem, der vor zweieinhalb Jahren gestorben ist. Er war der große Meister der Science-Fiction, hier ist das wörtlich zu nehmen, der wissenschaftlichen Fiktion. Ein umfangreiches Werk hat er hinterlassen, aber etwas fehlte noch. Das wusste man nur gar nicht. Es ist nun gefunden worden, ein Libretto. Das wäre schon eine Überraschung, aber es kommt noch mehr. Die Oper handelt von Stalin oder sollte von Stalin handeln. Verfasst hat Lem diesen Text Ende der 40er-Jahre, auf dem Höhepunkt des Stalinismus in Polen. Was kann man von so einer Oper erwarten? Lem hat dieses Stück jedenfalls immer sehr gut versteckt. Nun ist es gefunden worden, und die polnische Tageszeitung "Gazeta Wyborcza" hat es heute veröffentlicht. Aber mein Kollege Martin Sander in Berlin weiß mehr darüber. Guten Abend, Herr Sander!

    Sander: Guten Abend!

    Novy: Herr Sander, unter welchen Umständen ist denn dieses Libretto gefunden worden?

    Sander: Na ja, kurz gesagt, dieses Libretto oder dieser Text war zu gut verborgen. Man hat ihn in einer Kladde gefunden, wo Lem eigentlich das Manuskript für einen Kriminalroman im Stil von Chandler erst in den späten 50er-Jahren oder noch später, den hat er in dieser Zeit geschrieben. Und dort, in dieser Kladde, hat er dann auch dieses Libretto oder diesen Text zu einer Oper über Stalin versteckt. Es gab allemal Grund, ihn zu verstecken, denn dieses Werk ist eine ätzende, beißende Satire auf den Sozialismus Stalin'scher Prägung, der sich ja gerade im Jahre 1948/49 in Polen durchgesetzt hat, endgültig. Die ersten Jahren waren ja noch Zeiten einer gewissen Offenheit mit beschränktem Maß. Und in 1949 setzt dann der Personenkult ein und das ist eben eine ätzende Satire auf diesen Personenkult. Um es kurz zu sagen, ich würde sagen, es ist alles in allem eine recht holzschnittartige Satire auf eine natürlich sehr grobschlächtige Ideologie.

    Novy: Ist es ein Entwurf oder tatsächlich ein Libretto mit verteilten Rollen?

    Sander: Ich habe mich auch gefragt, wie hier das Wort Oper überhaupt hereinkam. Vielleicht auf dieses melodramatische des Stalin'schen Gegenstands. Ganz sicher ist das nicht. Das ist einfach ein Text, ein kurzer Text in mehreren Akten, in dem sich einige wirklich kranke Anhänger des Stalinismus, zum Teil auch Zweifler treffen und ihre Dinge verhandeln. Stanislaw Lem hat dieses Stück im kleinen Kreis von vertrauenswürdigen Freunden vorgetragen, heißt es. Ich weiß selber nicht, ob er auch dabei gesungen hat. Aber Zeitzeugen zufolge soll er das sehr, sehr gut aufgeführt haben, und zwar jahrelang, damit ist auch die Funktion dieses Stückes für ihn benannt. Das war doch ganz klar offensichtlich auch so ein Ventil für ihn, um mal in einem kleinen Kreis einfach zu sagen, was er über diese Wirklichkeit dachte, über die er eigentlich wirklich ehrlich kaum ein Wort schreiben konnte in dieser Zeit. Diese Zeit, das heißt dann die Jahre von 1949 bis 53 oder 56. Erst 1956 setzt ja dann in Polen das Tauwetter ein, die Liberalisierung des kommunistischen Systems bis zu einem gewissen Grade.

    Novy: Nun ist es ja schon oft vorgekommen, dass man wiederum hoch geschätzte Dichter von heute irgendwelcher Jubelgedichte auf Stalin überführen konnte, sie in der Zeit der Diktatur geschrieben haben.

    Sander: Keine Chance.

    Novy: Das muss man jetzt von Stanislaw Lem nicht mehr erwarten. Er ist wie einzuordnen in der Riege seiner Zeitgenossen?

    Sander: Er ist einzuordnen als ein grundlegend aufrichtiger bürgerlicher Mensch mit einem großen Pragmatismus, Interesse für technische Frage und einer ganz, ganz tiefsitzenden Abneigung gegenüber Ideologien. Das ist ja auch etwas, was aus seinem Science-Fiction-Werk, was man ja gar nicht so als Science-Fiction nur bezeichnen kann, seinem großen literarischen Werk immer wieder hervorgeht. Der lässt sich nicht beeindrucken von schwammigen Ideen, zumal von erfolglosen. Er ist ein Skeptiker durch und durch, auch natürlich ein Naturwissenschaftler. Das kommt vielleicht auch noch hinzu. Und insofern wundert einen das nicht. Nein, es gibt keine Fehltritte von Stanislaw Lem im Stalinismus, wie es hier etwa von anderen großen polnischen Autoren gegeben hat. Man denke nur an Wislawa Szymborska, die Nobelpreisträgerin, oder auch der mit dem Kommunismus lange Zeit liebäugelnden Czeslaw Milosz, auch ein polnischer Literatur-Nobelpreisträger, und vielen anderen, die in den Jahren 1949 bis 1956 begeistert mitgemacht haben, um sich dann allerdings danach um so vehementer gegen dieses System zur Wehr zu setzen. Es ist vielleicht innerhalb der polnischen Nachkriegsliteratur sogar eine kleinere Gruppe von Schriftstellern, die auf so eine feine Distanz gehalten haben zu dem, was sie da erlebt haben und von dem sie ja auch massiv bedroht wurden. Da gibt es noch einige andere zu nenne, zum Beispiel Zbigniew Herbert, den großen Lyriker. Und zu dieser Gruppe, dieser unbeirrbaren, gehört eben, und das wissen wir nicht erst seit heute, aber heute hat es sich noch mal bestätigt durch diesen Fund, Stanislaw Lem.

    Novy: Vielen Dank, Martin Sander! Das war ein Bericht über das neu aufgefundene Stück von Stanislaw Lem, von dem man nichts wusste, eine Art Opernlibretto aus der Stalinzeit.