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Stammbaum oder -busch

Paläoanthropologie. - Der Mensch erschien im Miozän - oder anders: vor sechs oder sieben Millionen Jahren. Damals tauchten in Afrika die ersten gewohnheitsmäßig auf zwei Beinen herumlaufenden Wesen auf. Darüber, wie sich die ersten Hominiden aus ihrem mit den Schimpansen gemeinsamen Ahnen heraus entwickelt haben, darüber tobt ein heftiger Streit. Nun liefern Fossilien, die in der Wüste am Nordende des Ostafrikanischen Grabens gefunden worden sind, neue Argumente.

Von Dagmar Röhrlich |
    Vor knapp sechs Millionen Jahren erstreckte sich in der zentral-äthiopischen Awash-Ebene ein dichter Wald, in dem Affen turnten und durch den Elefanten, primitive Wasserbüffel und Antilopen zogen. Damals lebte dort ein früher Ahn des Menschen: Ardipithecus kadabba. Der Knochen eines Zehs beweist, dass er zur Fortbewegung das Laufen auf zwei Beinen bevorzugt har. Seine besondere Bedeutung bekommt er durch eine Handvoll Zähne. Yohannes Haile-Selassie vom Cleveland Naturkundemuseum:

    Zwei dieser Zähne sind für die Evolution der Zähne bei den frühen Menschen sehr interessant, und zwar der obere Eckzahn und der erste untere Vorbackenzahn. Der lange Eckzahn sieht dem eines Affen sehr ähnlich und er zeigt Spuren, als ob er am ersten Vorderbackenzahn geschliffen und so geschärft worden ist. Das ist eine für Affen typische Verhaltensweisen. Wenn die Zähne von Ardipithecus kadabba solche Schleifspuren zeigen, könnte er noch wie die Affen seine Eckzähne geschärft haben.

    Rund zwei Dutzend Zähne haben die Paläoanthropologen an der Fundstelle in der Awash-Ebene entdeckt. Den Zähnen zufolge steht Ardipithecus kadabba im Stammbaum sehr nah an der Verzweigung, die zu Schimpansen und Menschen führte:

    Je weiter wir den Stammbaum der Menschen zurückverfolgen, um so mehr sollten sich affentypische mit menschentypischen Merkmalen mischen. Genau das sehen wir bei Ardipithecus kadabba. Wir erkennen in den Zähnen ganz eindeutig menschenartige Merkmale und direkt daneben affenartige.

    Ardipithecus kadabba ist einer von drei frühen Hominiden, die sich an in Afrika drei Orten entwickelt haben. Der älteste - Sahelanthropus tschadensis - wurde weiter westlich im Tschad gefunden. Dann folgt Orrorin aus Kenia, und der dritte im Bunde ist nun der äthiopische Ardipithecus kadabba. Haben sich diese drei frühen Hominiden gleichzeitig, aber unabhängig voneinander an mehreren Stellen entwickelt, und sind sie jeweils selbständig? Oder sind sie trotz Tausender Kilometer Entfernung voneinander stammesgeschichtlich eng miteinander verwandt? Für Yohannes Haile-Selassie ist letzteres der Fall:

    Die Beziehung zwischen diesen frühen Hominidenarten aus den drei Ländern sehen wir am besten, wenn wir die Fossilien vergleichen. Bei den Zähnen sehen wir, dass die von Orrorin aus Kenia zwar etwas primitiver sind als die unseres Ardipithecus, aber das bleibt innerhalb der normalen Variationsbreite, die man annehmen muss. Wir schlagen also vor, dass diese drei frühen Hominiden miteinander eng verwandt sind und sie zu Ardipithecus gehören.

    Aber: Die Form der Zähne hat mehr mit der Anpassung an die Nahrung zu tun als mit der stammesgeschichtlichen Entwicklung. Trotzdem macht Yohannes Haile-Selassie sie zu Kronzeugen seiner Theorie zu den Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den frühen Hominiden: Denn er hat nur diese Zähne und keinen Schädel sowie kaum andere Knochen. Und weil die Tierfossilien aus der Fundstelle verraten, dass dort zu Lebzeiten von Ardipithecus kadabba ein dichter Wald gewachsen ist, greift der Forscher eine gängige Theorie an: Nach der lernte der Urahn aller Menschen auf zwei Beinen zu laufen, als sich durch die Klimaverschlechterung auf dem Weg zu den Eiszeiten die Urwälder zurückzogen:

    Als Ardipithecus kadabba durch diese Gegend lief, war es dort feucht und ein dichter Wald wuchs. Aber er lief auf zwei Beinen, und das widerspricht der Theorie, dass die Hominiden in den Savannen zweibeinig wurden. Nach dieser Theorie soll er den aufrechten Gang erfunden haben, weil er in der Savanne nicht mehr von Baum zu Baum hangeln konnte. Wir finden aber frühe Hominiden in einem dichten Wald - und das zeigt, dass ihr Zweibeinigkeit nicht in einer Savanne entstanden ist.

    Wo wir das zweibeinige Laufen gelernt haben und wie die Verwandtschaft zwischen den frühen Hominiden aussieht, lässt sich ohne neue Fossilfunde nicht abschließend klären. Aber die Grabungen gehen ja weiter.