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Stammzellen aus Leichen gewonnen

Medizin. - Ungeachtet aller Einwände gehen die Stammzellforscher auf ihrem Weg weiter, die vielseitigen Zellen für die Medizin nutzbar zu machen. In der aktuellen Ausgabe von "Nature" berichtet ein kalifornisches Wissenschaftlerteam, dass es gelungen ist, neuronale Stammzellen aus dem Gehirn von Verstorbenen zu isolieren und in Zellkultur zu kultivieren.

    Die Arbeitsgruppe von Fred Gage vom kalifornischen Salk-Forschungsinstitut hat zum einen neuronale Stammzellen aus dem Gehirn von Leichen kultiviert, zum anderen solches Material, das bei Hirnoperationen entnommen wurde. Besonders erstaunlich ist, dass einige der Toten, denen Stammzellen entnommen wurden, bereits mehr als 20 Stunden tot waren. Für Hirnzellen sind 20 Stunden ohne Sauerstoff oder Nährstoffe in der Regel zu lange. Sie sterben bereits früher ab. Oft sind schon 15 bis 20 Minuten Herzstillstand ausreichend, um einen Hirntod hervorzurufen, denn die Blut-Hirnschranke, die das Gehirn vor giftigen Stoffen und Erregern schützt, verhindert auch, dass größere Mengen an Sauerstoff und Glukose in das Hirn gelangen.

    An eine praktische Anwendung der in "Nature" dargelegten Methode ist allerdings noch lange nicht zu denken. Schließlich ist noch nicht einmal genau klar, welche Rolle neuronale Stammzellen im menschlichen Gehirn spielen. Fest steht allerdings, dass es sie gibt - auch im Erwachsenengehirn. Hans Georg Kuhn, Wissenschaftler an der Regensburger Uniklinik, der am Labor von Fred Gage gearbeitet und als erste diese Vorläuferzellen im Gehirn von Mäusen entdeckt hat: "Wir haben die Funktionen dieser Neubildungen noch nicht wirklich geklärt, ganz aus dem Bauch heraus vermuten wir, dass sie eine Rolle bei Lernprozessen spielen." Denn Lernen heißt auf Ebene der Neuronen, dass ein Netz von Verbindungen enger geknüpft wird - möglicherweise auch durch Bildung von zusätzlichen Nervenzellen.

    Für zahlreiche neurodegenerative Krankheiten wären neuronale Stammzellen eine viel versprechende Therapie. Die Zellen, die sich in viele verschiedene Nervenzellsorten ausdifferenzieren können, würden an den Hirnorten eingepflanzt, an denen die Krankheit das Nervenzellgeflecht zerstört hat, und dort die Lücken schließen. Doch die Idee klingt einfacher, als es die Realisierung ist. Versuche mit aus Embryonen gewonnenen Stammzellen, die in das Gehirn von Alzheimerpatienten eingesetzt wurden, verliefen ausgesprochen entmutigend. Das Gehirn der Kranken wurde mit der Frischzellenkur nicht fertig, statt einer Besserung mussten einige Patienten eine Verschlechterung ihrer Lage hinnehmen.

    [Quelle: Kristin Raabe]