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Stammzellen ersetzen Tierversuche

Biologie. - Ob Therapien mit embryonalen Stammzellen noch in weiter Ferne sind oder nicht und ob die Forschung diesbezüglich zu große Versprechen gemacht hat, darüber ist in der Bioethik-Debatte viel gestritten worden. Weniger bekannt ist, dass Stammzellen schon heute Tierversuche in der chemischen Industrie ersetzen könnten. Eine kleine Kölner Firma, derzeit noch in einem Provisorium im Universitäts-Viertel untergebracht, schickt sich derzeit an, ihre Testsysteme mit embryonalen Stammzellen der Maus an den Markt zu bringen.

Von Grit Kienzlen | 11.10.2004
    Das ist jetzt sozusagen das Zellkulturlabor, man sieht hier die unterschiedlichen Werkbänke, vier Stück insgesamt, und dann haben wir hier die Brutschränke, wo die Zellen aufbewahrt werden. Die Zellen werden hier kultiviert und auch die toxikologischen Tests werden hier in diesem Raum durchgeführt.

    Das, erklärt Biologin Silke Schwengberg, ist das Kernstück der jungen Firma Axiogenesis. Sie ist im zweiten Stock eines Containergebäudes auf dem Kölner Universitätsgelände untergebracht - in einem halben Dutzend dünnwandiger Räume. Stammzellen der Maus entwickeln sich hier zu Herzmuskelzellen. An diesen Herzmuskelzellen lässt sich einerseits die herzschädigende Wirkung von Medikamenten etwa gegen Krebs untersuchen. Noch wichtiger erscheinen Geschäftsführer Heribert Bohlen aber die Möglichkeiten, mit Tests an Stammzellen Entwicklungsschäden vorherzusagen. Der Mediziner hat mit seinen Mitarbeitern dafür einen Test entwickelt, der anzeigt, wann sich eine Stammzelle bis zur Herzmuskelzelle differenziert hat. Nun kann er untersuchen, welche Auswirkungen verschiedene chemische Substanzen auf den Entwicklungsprozess haben, also ob sie dadurch langsamer oder in kleineren Mengen zu Herzzellen werden.

    Und wenn man beides dann mit dem Tierversuch vergleicht, dann sieht man bei allen stark und mittelstark aktiven, embryotoxischen Substanzen - etwa Contergan als prominentestes Beispiel - Effekte. Das heißt, wir können vorhersagen, ob eine Substanz sich embryotoxisch verhält oder nicht.

    Schwach embryotoxische Wirkungen hat er so zu 90 Prozent gefunden, sagt Herbert Bohlen, starke Effekte wie beim Contergan-Wirkstoff Thalidomid sogar zu 100 Prozent. Das ist insofern erstaunlich, als sich die schweren Thalidomid-Nebenwirkungen im Tierversuch mit Mäusen nicht zeigen - ein Grund dafür, warum der Stoff in den frühen 60er Jahren als ungefährlich erachtet wurde. Warum sollte die fruchtschädigende Wirkung nun also bei Mauszellen sichtbar werden?
    Das ist relativ viel Spekulation, wieso wir etwas in Mauszellen sehen, wo man im fertigen Tier nichts sieht. Man muss aber betrachten, dass das Tier selbst ein extrem komplexes Etwas ist und hier vielleicht negative Effekte auch abgefangen werden können.

    Die Kölner Firma betont auch, dass sie entwicklungsbremsende Wirkungen von Substanzen zwar erkennen, aber nicht vorhersagen kann, an welchen Organen und wie deutlich diese schließlich zu Tage treten würden. Von Tests an embryonalen Stammzellen des Menschen, die noch sicherere Vorhersagen ermöglichen dürften, sieht Heribert Bohlen ab. Denn bislang erlaubt das deutsche Gesetz deren Import nur für Forschungsvorhaben, nicht für die kommerzielle Nutzung.

    Wir für uns haben entschieden, dass das einfach ein viel zu großes Risiko ist, mit humanen embryonalen Stammzellen zu forschen und dann hinterher gesagt zu bekommen: Nein, unsere Entscheidung steht auch weiterhin, die Daten, die ihr gewonnen habt, sind zwar schön, aber ihr dürft sie nicht geschäftlich einsetzen.

    Von allen chemischen Substanzen, die derzeit im Umlauf sind, sind nur etwa fünf Prozent auf ihre Giftwirkungen getestet. 30.000 Stoffe sollten nach der EU-Chemikalienverordnung noch untersucht werden, was nach Meinung der Industrie etwa drei Milliarden Euro und einige Millionen Tierleben kostet. Ein Testsystem an Stammzellen müssten die Industrievertreter insofern begrüßen, doch nach Erfahrung von Heribert Bohlen, der seine Firma nun durch Aufträge finanzieren muss, nutzt die Industrie das Kostenargument lieber, um sich ganz um die Nachtestung zu drücken.

    Und da gehen sie einfach davon aus, dass no news good news sind. Und da liegt unser Problem. Wir könnten innerhalb kürzester Zeit Antworten geben, wo Problembereiche sind, aber die Gefahr für die chemische Industrie, eventuell ein gut laufendes Produkt zu verlieren, ist natürlich auch gegeben und so richtig embryotoxisch, also in dem Bereich von Contergan, wird nichts mehr auftauchen. Das hätten Sie schon längst gesehen in den letzten 30 Jahren. Es werden sehr moderate Effekte sein, die man erst über Generationen beim Menschen sieht und die wir vielleicht aufdecken können.