Archiv


Stammzellen für das Affenherz

Biologie. - Vor zehn Jahren wurden im mittleren Westen der USA die ersten embryonalen Stammzellen des Menschen gezüchtet. Von Anfang an waren mit den embryonalen Stammzellen Hoffnungen verbunden. Manche sprachen von einer neuen Medizin, die mit diesen Zellen ermöglicht werden sollte. Zehn Jahre nach dem Startschuss für die embryonalen Stammzellen sind die Pioniere zurückhaltender.

Von Michael Lange |
    Die vierspurige University Avenue führt direkt zum Campus der Universität von Wisconsin, in Madison. Das ist der größte Universitäts-Campus im Mittleren Westen der USA. Hier hat der Zellbiologe und Primatenforscher James Thomson 1998 erstmals embryonale Stammzellen des Menschen im Labor vermehren können. Für Interviews steht Stammzellen-Pionier James Thomson allerdings nicht zur Verfügung.

    Stattdessen besuche ich im Nachbargebäude Thomsons Kooperationspartner Timothy Kamp. Der Mediziner und Herzspezialist arbeitet nach wie vor mit den Zellen, die sein Kollege Thomson von zehn Jahren gezüchtet hat. Wir gehen durch die langen Gänge des Universitäts-Instituts. Uns begegnen Laboranten in weißen Kitteln mit Mundschutz. Sie schieben Rollwägen vor sich her, die mit weißen Tüchern verhangen sind. Timothy Kamp führt mich in einen kleinen fensterlosen Raum – vollgestopft mit Technik. Kamp:

    "This is a tiny little glass electrode which has an opening with just one micron…"

    Es handelt sich um eine Patch-Clamp-Apparatur. Mit winzigen Glaselektroden – Durchmesser ein Tausendstel Millimeter - kann Kamp unter dem Mikroskop jede Zelle einzeln ansteuern und kleinste Mengen elektrischen Strom messen. Wenn Ladung von einer Zelle zur anderen fließt, heißt das, die Zellen haben Kontakt mit einander aufgenommen und schicken sich gegenseitig Signale. So kann der Forscher feststellen, ob sich embryonale Stammzellen tatsächlich zu einem Gewebe vereinigt haben und zu funktionierenden Herzmuskelzellen geworden sind.

    Die Zellen reagieren und bewegen sich wie normale Herzmuskelzellen. Auch unter dem Mikroskop kein Unterschied. Dennoch ist nicht geplant, die Zellen in nächster Zeit zur Behandlung von Patienten einzusetzen. Warum dauert es so lange, bis die Erkenntnisse aus dem Labor in der medizinischen Praxis am Patienten eingesetzt werden können, will ich wissen und ernte Kopfschütteln.

    "Eine Stammzelle, das sind zehntausende verschiedene Moleküle. Sie alle wirken irgendwie zusammen. Was im Körper passiert, wenn wir sie hinein spritzen, lässt sich kaum vorhersagen. Deshalb ist es so schwierig, die Zellen in die klinische Anwendung zu bringen."

    Da hilft nur eins: Ausprobieren. Aber Tierversuche mit Mäusen helfen nicht mehr weiter. Das Mäuseherz ist nicht größer als ein Stecknadelkopf. Die Herzwände dünner als Papier.

    "Einige der Versuche müssen mit größeren Tieren gemacht werden. Manchmal sind Schweine am besten, denn ihr Herz hat eine ähnliche Größe wie das Menschenherz. Auf der Ebene der Zellen und Moleküle ist die Ähnlichkeit zwischen Menschen und Affen am größten. Wir arbeiten jetzt auch mit embryonalen Stammzellen von Rhesusaffen."

    Erst wenn verschiedene Affenversuche ohne Probleme verlaufen sind, ist der Mensch an der Reihe, versichert Timothy Kamp. Erst dann gehe die Stammzellen-Revolution in die nächste Phase. Als uns erneut Laboranten mit verhangenen Einkaufswagen entgegen kommen, wird mir klar: Hinter den Tüchern befinden sich Versuchstiere. Wahrscheinlich Rhesusaffen. Im Dienste der Stammzellenforschung sollen sie verhindern, dass unangenehme Überraschungen auftreten, wenn erstmals Herzpatienten mit Zellen behandelt werden, die aus embryonalen Stammzellen hervorgegangen sind.