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Stammzellen für das Herz

Entwicklungsbiologie. - Die umstrittenen Stammzellen, die aus Embryonen gewonnen werden, gelten als Alleskönner, die sich in alle Zelltypen eines Menschen verwandeln können. Für Menschen-Versuche ist es allerdings viel zu früh. Adulte Stammzellen, wie die Blutstammzellen aus dem Knochenmark, werden hingegen inzwischen auch als Reparatur-Zellen nach einem Herzinfarkt eingesetzt. Dabei ist ihre Wandlungsfähigkeit in der Wissenschaft zunehmend umstritten. Entsprechende Stammzellen-Studien an Herz-Patienten sorgen bei einem internationalen Symposium von Stammzellen-Experten in Heidelberg deshalb für Diskussionen.

Von Michael Lange |
    Die Herzspezialisten und Chirurgen von der Universitätsklinik Rostock sind Pioniere auf dem Gebiet der Stammzellen-Verpflanzung. Sie haben in den letzten zwei Jahren viel Erfahrung gesammelt bei der Behandlung von Herzinfarkt-Patienten mit Blutstammzellen. Der Chirurg Christof Stamm spritzt die Stammzellen direkt in den Herzmuskel. Als zusätzliche Behandlung, wenn die Patienten nach überstandenem Herzinfarkt, ohnehin eine Bypass-Operation durchmachen müssen.

    Das Herz steht still. Die Bypässe werden angelegt. Nach dem Anlegen der Bypässe injizieren wir diese Zellen in die Grenzzone des Infarktes. Zehn Injektionen mit jeweils 0,2 Milliliter einer Lösung, die Nährmedium enthält und die Stammzellen.

    Nicht mal ein Tropfen Flüssigkeit. Darin enthalten: Millionen eigene Blutstammzellen aus dem Knochenmark des Kranken. In der ersten Phase einer Studie mit 15 Patienten ging es um die Sicherheit der Methode, die Suche nach unerwünschten Nebenwirkungen. Zwar gab es vereinzelt Komplikationen. Das sei jedoch nicht zu vermeiden bei derart schweren Bypass-Operationen, so Christof Stamm.

    Es ist nichts dabei, was uns als Herzchirurgen irgendwie überrascht hätte. Wir sehen keine neuen Entzündungen bei den Patienten, und wir sehen keine Herzrhythmusstörungen mit diesen Zellen. Das ist ganz wichtig, denke ich.

    Mittlerweile gibt es fast ein Dutzend Kliniken, vor allem in Deutschland, die diese oder ähnliche Stammzellen-Behandlungen in Studien erproben. In Rostock beginnt nun die zweite Phase mit etwa hundert Patienten. Sie soll die Wirksamkeit des Verfahrens belegen. Dabei ist die ursprüngliche Theorie hinter der Methode ins Wanken geraten. Die Idee war, dass sich die Blutstammzellen im Herz in Muskelzellen verwandeln. Sie sollten so defektes Herzgewebe reparieren. Aber seit einem Jahr mehren sich die Zweifel, dass die Blutstammzellen zu einer solchen Verwandlung überhaupt fähig sind. Mehr Grundlagenforschung wird gebraucht. Das fordert auch der Zell-Spezialist Werner Franke vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg.

    Man weiß entsetzlich wenig und fängt eigentlich erst jetzt an, Lücken zu füllen. Da muss man eigentlich eines fordern: Und das ist die saubere, systematische Erarbeitung dessen, was abläuft.

    Mehrere Zellforscher haben in den letzten Monaten zeigen können, dass verpflanzte Stammzellen mit den Zellen des Empfängers fusionieren. Statt sich zu verwandeln und so Schäden zu reparieren, vereinigen sie sich zu Zellen mit mehreren Zellkernen. Es stellte sich heraus, es gibt viel mehr Fusion als irgend jemand angenommen hatte, so der amerikanische Stammzellen-Experte Darwin Prockop von der Universität Tulane-New Orleans.

    Es ist ganz klar, dass die Stammzellen, mit denen wir arbeiten, sich selbstständig entwickeln,

    so Darwin Prockop. Nicht geklärt ist damit allerdings die Frage, was die Stammzellen im Herz der Patienten machen, und welche Auswirkungen das hat. Stamm:

    Es wird immer unwahrscheinlicher, dass wir tatsächlich neuen Muskel herstellen. Wahrscheinlich stellen wir neue Blutgefäße her, und können damit schlafendes, aber noch lebendes Herzmuskelgewebe zu Leben erwecken.

    Der Chirurg Christof Stamm und seine Kollegen sind mit der neuen Stammzellen-Behandlung ein Risiko eingegangen. Das steht außer Frage. Ihre Theorie hat große Lücken. Ob sie dieses Wagnis zum Nutzen oder Schaden ihrer Patienten eingegangen sind, diese Frage kann die Grundlagenforschung nicht beantworten.