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Stammzellen für die Augen

Meist sind es Unfälle die zu Verätzungen oder Verbrennungen an der Hornhaut des Auges führen. Für Betroffene gab es lange keine Hilfe. Ein neues Stammzellverfahren kann geschädigte Hornhaut wieder regenerieren.

Von Michael Engel | 21.09.2012
    Ein feiner Saum am Rand der Hornhaut des Auges - der sogenannte "Limbus" – ist unersetzlich für das Sehen. Hier wachsen die Stammzellen heran, die in die Hornhaut wandern und deren Gewebe erneuern. Durch diese ständige Regeneration bleibt die Hornhaut lichtdurchlässig. Werden die "limbalen Stammzellen" etwa durch Unfälle wie Verbrennungen oder Verätzungen zerstört, geht die Hornhaut allmählich zugrunde. Die Betroffenen erblinden, sagt Prof. Daniel Meller, leitender Oberarzt der Augen-Universitätsklinik Essen.

    "Eine Funktion der Stammzelle der Hornhaut ist die Regeneration der Hornhaut. Die andere Funktion ist eine Barrierefunktion. Die Stammzellen der Hornhaut halten die Bindehautzellen auf. Und gehen diese verloren, wachsen diese ungehindert auf die Hornhaut. Sie überwuchern die Hornhaut und führen dann zu einer relativ schnellen Eintrübung der Hornhautoberfläche."

    Im Jahre 2003 entwickelte der Facharzt für Augenheilkunde ein neuartiges Verfahren, um den Unfallopfern zu helfen. Wenn nur ein Auge betroffen ist, entnimmt der Mediziner dem anderen, gesunden Auge ein zwei Quadratmillimeter großes Gewebestück mit Stammzellen. Die entnommenen Stammzellen werden dann in einem Brutschrank vermehrt – auf einer Membran aus Fruchtblasengewebe, das von der Frauenklinik der Uni Essen mit Zustimmung der Gebärenden zur Verfügung gestellt wird. Nur so, erklärt Daniel Meller, bleiben die Stammzellen aktiv

    "Dieses Kultursubstrat, das wir benutzen, ist Amnionmembran – so heißt es – das ist die innerste Schicht der Fruchtblase. Diese Amnionmembran hat biologische Eigenschaften, die für uns Augenkliniker sehr wichtig sind. Wir können hiermit die sogenannte Stammzellnische imitieren. Man muss wissen, dass nicht nur die Stammzellen wichtig sind, sondern auch ihre Nische, da wo sie wohnen. Und gerade die Amnionmembran besitzt die Fähigkeit, eine solche Nische zu imitieren, und das nutzen wir in unserem Zellkultursystem."

    Rund 14 Tage vermehren sich die Stammzellen im Brutschrank, dann werden sie auf das kranke Auge übertragen. Schon wenige Wochen später nimmt die Trübung der Hornhaut sichtbar ab. Eine vollständige Heilung wird mit dem Verfahren aber nicht erreicht. Im besten Fall konnten einige Patienten 40 Prozent ihrer ursprünglichen Sehkraft zurückgewinnen

    "Das erste Ziel ist die Rekonstruktion der Augenoberfläche. Wir haben eine trübe Hornhaut, und wir wollen dem Patienten wieder eine klare Hornhaut geben. Wenn wir das schaffen, geben wir dem Patienten die Grundlage für besseres Sehen. Das zweite Ziel zeigt sich dann auch in der Sehverbesserung, die unsere Patienten im Langzeitverlauf gezeigt haben."

    An die 100 Patienten wurden mit der Stammzell-Methode schon behandelt. In 75 Prozent erfolgreich, die Hornhauttrübung ging zurück: Patienten konnten allerdings nur eingeschränkt wieder sehen. Bei den anderen 25 Prozent brachte die Therapie noch keinen Erfolg, weil die Stammzellen nicht anwuchsen. Die Heilungsrate wird noch geringer, wenn die Stammzellen von fremden Spendern, zum Beispiel Angehörigen, stammen. Dies ist immer dann der Fall, wenn beide Augen eines Patienten verätzt sind und keine eigenen Stammzellen zur Verfügung stehen. Der Wissenschaftler will nun die Kulturbedingungen für die Stammzellen weiter optimieren – für bessere Ergebnisse. Essen ist die einzige Klinik, die das Verfahren in Deutschland anbietet. Und das wird wohl auch so bleiben, so das Urteil vieler Augenexperten. Prof. Frank Holz zum Beispiel leitet die Augenuniversitätsklinik in Bonn:

    "Das sind Verfahren, wo es sicherlich sinnvoll ist, dass es spezialisierten Zentren vorbehalten bleibt. Es gibt auch in der Augenheilkunde viele Hochspezialisierungen, und da ist es durchaus üblich, dass sich ein Zentrum – auch wir in Bonn haben unsere Hochspezialisierungen in gewissen Richtungen – spezialisiert, weil auch die Zahlen der betroffenen Patienten relativ gering sind mit der Indikation für eine Stammzelltherapie. Und dann ist die Expertise gebündelt an einem Ort."