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Stammzellen fürs Knie

Biomedizin. - Leipziger Wissenschaftler arbeiten daran, Knorpelimplantate aus Stammzellen zu züchten. Beim Schaf hat die Methode bereits funktioniert. Nun müssen die Forscher in weiteren Studien neben der Wirksamkeit auch die Sicherheit der Therapie belegen. Die ersten Ergebnisse sind vielversprechend.

Von Anna-Lena Dohrmann | 03.08.2011
    Fußball, Handball und Skifahren – das sind Sportarten, bei denen das Knie besonders häufig verletzt wird. Oft bricht dabei ein Stück des Gelenkknorpels ab. Das ist nicht nur schmerzhaft, sondern kann auch langfristig zu Problemen führen. Deshalb müssen Ärzte in diesen Fällen operieren. Dr. Bastian Marquaß, Unfallchirurg an der Universitätsklinik Leipzig, kennt viele solcher Fälle.

    "In der Regel macht man es, dass man dasselbe Knie zweimal operiert. In einer ersten Operation werden Knorpelzellen entnommen, die werden dann ins Labor geschickt, werden dort vier Wochen etwa gezüchtet und werden in einer zweiten Operation dem Patienten wieder zurückimplantiert, in den Defektbereich hinein. Das ist eigentlich das modernste Verfahren, hat aber gewisse Nachteile. Zum Beispiel diese zwei Operationen. Sie schädigen eigentlich immer gesunden Knorpel, weil sie müssen ja irgendwo Knorpel entnehmen."
    Genau das soll durch eine neue Stammzelltherapie nicht mehr nötig sein. Daran arbeitet die Arbeitsgruppe um Bastian Marquaß und Ronny Schulz. Ihr Ziel: Anstatt gesunde Knorpelzellen zu entnehmen, wollen sie Knorpelgewebe aus Stammzellen züchten. Der Vorteil: Ärzte können körpereigene Stammzellen des Patienten aus dem Beckenknochen entnehmen. Das ist ein einfacher ambulanter Eingriff. Das Problem: Diese Stammzellen müssen sich dann noch zu Knorpelzellen entwickeln. Und das ist gar nicht so einfach, so Dr. Ronny Schulz, Biologe am Biotechnologisch-Biomedizinischen Zentrum in Leipzig:

    "Da muss man letzen Endes nur in die Entstehungsgeschichte des Knorpels schauen und da ist es eben so, dass Knorpelzellen aus ehemaligen Stammzellen entstanden sind, nur weil die Umgebungsbedingungen, also mechanische Belastung, die Gelenkflüssigkeit, also verschiedene Faktoren in der Gelenkflüssigkeit dafür sorgen, dass dieses Gebilde Knorpel entsteht."
    Und genau diese Umgebungsbedingungen ahmen die Forscher im Labor nach. Dazu werden die Stammzellen in ein Hydrogel eingesetzt und kommen in einen sogenannten Bioreaktor. Dieser Reaktor tut so, als sei er ein Kniegelenk im Wachstum. Dazu gehört vor allem auch Bewegung – und die steuert ein äußeres Magnetfeld. Dadurch ändern sich die Druckverhältnisse im Inneren des Bioreaktors so, dass die Stammzellen sich zu Knorpelzellen differenzieren.

    Der Bioreaktor hat ungefähr die Größe einer Tasse, um ihn herum stehen viele Gefäße mit verschiedenen Flüssigkeiten und Schläuchen. Alles zusammen befindet sich in einem Brutschrank und kann über einen Laptop gesteuert werden.

    "Da ist die ganze Messelektronik mit dran - also damit wir wissen, wie fest ist der Knorpel geworden, wie hat er sich entwickelt in den letzten Wochen, müssen wir vielleicht begasen zum Beispiel oder neues Medium zuführen et cetera. Also das ist so ein, wie wir sagen, Feedbacksystem. Und wir können das sozusagen jederzeit online nachverfolgen: Was passiert in diesem Bioreaktor, müssen wir eventuell sogar manuell eingreifen. Aber ansonsten funktioniert das ganze System so autark, dass wir also zu dem Zeitpunkt x nach einigen Wochen den Bioreaktor aufmachen und unser Transplantat entnehmen können."
    Und dieses Transplantat kann dann bei akuten Verletzungen eingesetzt werden. Für Verschleißerkrankungen wie Arthrose eignet sich die Therapie allerdings nicht. Denn bei dieser Erkrankung fehlt der gesunde Knorpel, so der Unfallchirurg Marquaß:

    "Diese Gele, die wir züchten, sind wie so Chips sozusagen. Und um diese Chips fest zu verankern im Kniegelenk, brauchen sie stabile Knorpelschultern. Und bei diesem lokalen Knorpelschaden, da haben sie praktisch ein weggeplatztes Knorpelfragment. Drumherum ist der Knorpel gesund und da können sie unsere Knorpelchips einbauen und die fördern dann zu einer Regeneration, da, wo der Knorpelschaden entstanden ist."
    Dass das wirklich funktioniert, konnte bisher in verschiedenen Tierversuchen bewiesen werden. Und bisher gibt es keine Anzeichen, dass die Stammzellen entarten oder sich falsch entwickeln. Deshalb ist das Team um Marquaß und Schulz auch überzeugt, in einigen Jahren die ersten klinischen Studien am Menschen durchführen zu können.