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Stammzellen im Affentest

Medizin. - Biologen der Universität Essen wollen ergründen, ob sich die ethisch heftig diskutierten, embryonalen Stammzellen möglicherweise doch zu einem kompletten Embryo entwickeln können. Bislang war davon ausgegangen worden, dass solche sehr anpassungsfähige Jungzellen sich lediglich in eine Vielzahl verschiedener Spezialgewebe entwickeln können, nicht aber zu einem vollständigen Organismus. Anlässlich einer Pressekonferenz stellten die Forscher ihr Projekt heute der Öffentlichkeit vor.

    Embryonale Stammzellen gelten bislang als pluripotent: Die Eigenschaft, sich in nahezu jede beliebige Spezialzelle der unterschiedlichsten Gewebetypen - von der Leber über die Haut bis hin zum Gehirn - entwickeln zu können, macht sie zum Hoffnungsträger für einen universellen medizinischen Reparaturkit. Allerdings sind die noch unentschiedenen Zellen nicht totipotent, aus ihnen kann nicht ein ganzer Organismus neu geschaffen werden. So lautet zumindest das Credo der Mehrheit unter den Stammzellforschern, wenn der Import und die Arbeit mit den vielseitigen Wunderzellen diskutiert wird.

    Indes ist der Beweis für diese Einschränkung durchaus nicht erbracht, sagt Hans-Werner Denker, Professor für Tieranatomie und Entwicklungsbiologie an der Universität Essen. Um diesen kleinen, aber entscheidenden Unterschied zwischen Pluri- und Totipotenz dingfest zu machen, importierte Denker jetzt selbst embryonale Stammzellen von Affen aus den USA. "Wir untersuchen dabei vor allem, ob sich aus solchen Zellen in einer Nährlösung und ohne weiteres Zutun Embryonen bilden können", erläutert der Tieranatom. Wäre dies tatsächlich der Fall, wären die Konsequenzen fatal, denn damit fielen die biotechnologischen Hoffnungsträger mit einem Schlag hierzulande unter das Embryonenschutzgesetz.

    Ursprünglich hatte Hans-Werner Denker eigene Stammzelllinien für seine Experimente produzieren wollen, doch der Projektantrag bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft wurde abgelehnt mit der Begründung, der Ansatz sei wissenschaftlich nicht fundiert und zu teuer. Jetzt finanziert Professor Denker das Vorhaben über den institutseigenen Etat. Der Wissenschaftler greift dabei auf Erfahrungen zurück, die bereits der Stammzell-Pionier James Thomson in Madison, Wisconsin gemacht hatte. "Die Stammzellen der Weißbüscheläffchen bilden in Kultur spontan embryoähnliche Strukturen, bei denen es sich wahrscheinlich um prinzipiell lebensfähige Embryonen handelt", sagt Hans-Werner Denker. Seine Experimente werden aufklären, wozu embryonale Stammzellen fähig sind, wenn sie nicht künstlich in dem Stadium der Unbestimmtheit festgehalten werden.

    Bewahrheitet sich Denkers Theorie und embryonale Stammzellen sind tatsächlich totipotent, dann könnte dies die Pläne deutscher Stammzellforscher ruinieren, denn das Substrat ihrer Projekte fiele dann unter das Embryonenschutzgesetz. Allerdings werden die Ergebnisse in frühestens zwei Jahren vorliegen.

    [Quelle: Michael Lange]