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"Stand by" - Beziehungskomödie über Erwachsene in "Mindestbereitschaft"

Wer "stand by" geschaltet ist, der ist sofort betriebsbereit. Er muss nicht mehr ein-, sondern nur noch angeschaltet werden. Immer bereit, immer leistungswillig, immer auf der Suche nach der Tätigkeit ihres Lebens, das sind die Mittdreißiger in Oliver Bukowskis neuem Stück. In Michael Schweighöfers Inszenierung, für die man die Kammerspiele des Deutschen Theaters zum Werkraum verkleinert und das Publikum auf die Bühne gesetzt hat, sind Bukowskis Figuren von Anfang an aufgedreht. Im privaten Bereich jedenfalls, denn da sind sie von Anfang an voll da. Im Beruf sind sie noch nicht angekommen. Da jobben sie sich, ohne Erfolg, so durch ihre Hoffnungen. Sie wollen sich als Schriftsteller verwirklichen oder möchten Projekte gestalten, müssen sich aber eher als Fahrradkurier durchschlagen. Die Beziehungen sind notgedrungen das wahre Leben. Und den skurrilen Beziehungskämpfen und -krämpfen widmen sich Autor und Regisseur vor allem. Selbstverwirklichungssehnsucht und stand-by-Apathie sind gesetzt, gespielt aber wird die Beziehungskomödie.

Von Harmut Krug |
    Die locker verbundenen Szenen könnten auch im Chat spielen, schreibt der Autor. Der Regisseur gibt ihnen lieber pralle Wirklichkeit. Da tobt sich der von seiner Freundin verlassene Könich gleich zu Anfang mit Körper und Dartpfeilen an einer Sex-Gummipuppe aus, und das ihn betütelnde Paar Schrammek und Nickel bringt sich mit Geschick als Beziehungs-Gagfolge ein. Die Marotte des Autors, seine Figuren nur mit Nachnamen nennen zu lassen und sie zugleich gelegentlich mit stotternden Sprachschwierigkeiten auszustatten, lassen deren Probleme zwischen Entfremdung und Uneigentlichkeit auch für den verschlafensten Zuschauer überdeutlich werden.

    Das Problem des Stückes ist, dass der für die Figuren in der Gesellschaft eingeforderte Lebenssinn und -kern auch dem Stück fehlt. Es geht darum, dass den Mittdreißigern keine Leistung abverlangt wird. Also reden sie unentwegt von Selbstverwirklichung jenseits jeden Leistungsdrucks. Was natürlich nur eine Notlüge ist. Was Bukowskis Stücke sonst so spannend gemacht hat, sind deren klare Situationen und einfach komplizierte Figuren, die sich an ihren Schwierigkeiten abarbeiten. In "stand by", einem Auftragswerk für das Deutsche Theater, arbeiten sich der Autor und seine Figuren an einer These ab. Situationen, Konflikte, Kontraste entstehen nicht daraus. Bukowski witzelt sich so mit mäßigem Dialoggeschick um seine Figuren herum, und Regisseur Schweighöfer lässt sich mit seinen lockeren Schauspielern manch bewegte Spielsituation einfallen. Doch Funken sprühen nicht, da mag der schmale weiße Spielkasten von Bühnenbildnerin Mareile Krettek noch so sehr mit Musik, Licht und heftiger Aktion belebt werden: es bleibt langweilig.
    Schlimmer: Das Stück wirkt unordentlich verläppert. Die Szenen besitzen weder eine klare Stringenz noch eine absichtliche Beiläufigkeit. Das rattert auf der Suche nach genitalen Anspielungen und genialen Witzchen so dahin und wirkt dabei, als sei es allzu schnell hingeschrieben. Es gibt keine spannenden Situationen, sondern nur Floskeln.

    Aber alles wird natürlich mit Lust kritisch ausgestellt. Eine WG-Situation zeigt drei Männer und eine Frau im gleichen Bett, alle nackt, aber alle nur mit der Sinnfrage beschäftigt. Der Kasten öffnet sich und der eigentliche Zuschauerraum wird mehr besessen denn bespielt: Das macht Wirkung, aber wenig Sinn, wie es neudeutsch unschön heißt. Unschön und albern ist dann die Szene, in der sich ein Jüngling der Mittdreißiger-Riege in Latzhose und weniger zu Ballettposen hinreißen lässt, um eine Wohnung zu bekommen. Die Schauspieler sind durchaus spielfreudig und einfallsreich, jeder hat sein festes Rollenmuster zwischen cool und locker gefunden. Und dass unter der Oberfläche, hinter dem stand-by, die Verzweiflung lauert, das ist ohnehin klar. Also gammelt man seinen Frust als Möchtegern-Poet heraus, oder man tobt mit Wort und Tat schrill und schräg so dahin. Das ganze wirkt so zeitgeistig, dass es schon ärgerlich ist. Witzig ist es leider nur selten. Wohin bloß sind dem begnadeten Dialogschreiber Oliver Bukowski die Dialoge und die realistische Komik verschwunden?

    Dafür gibt es beiläufige Tragik. Wenn nämlich die ältere Frau Gawlik-LaRibera ins schaukelnde Beziehungsgeflecht der sich mit munteren Sprüchen über Wasser haltenden Mittdreißiger gerät, dann zerfällt dieses. Denn die Frau würde in dieser Zeit, in der die Stand-by-Menschen leben, nicht mehr jung sein wollen. Ein irgendwie bedeutsamer Satz mit Folgen. Denn bald springt ein junges Paar vom Hochhaus, es sieht keine Hoffnung, nirgends mehr.

    Ich habe seit langem keine Aufführung mehr gesehen, in der Regisseur und Darsteller sich so munter gebärdeten und dabei durchaus szenische und schauspielerische Phantasie einsetzten, - und bei der doch nicht mehr als eine müde Behauptung heraus kam. Bukowskis neues Stück, es gibt einfach nicht mehr her.