Archiv


Standby im Kopf

Psychologie. - Unser Gehirn verbraucht rund 20 Prozent des Energiehaushaltes, aber wiederum nur ein Prozent davon entfällt auf Reaktionen auf externe Reize. Wie sehr unser Denkapparat wirklich mit sich selbst beschäftigt ist, untersuchten jetzt Forscher im Experiment.

Von Jan Lublinski |
    Es ist ein absichtlich besonders langweiliges Experiment, das derzeit unter Neurowissenschaftlern intensiv diskutiert wird: Man lege eine Versuchsperson in einen Kernspintomographen, ein Gerät also, mit dem Forscher unter anderem messen können, an welchen Stellen im Gehirn die Neuronen besonders intensiv arbeiten. Normalerweise werden die Versuchspersonen dann gebeten, bestimmte Aufgaben zu lösen – bei diesem besonders langweiligen Experiment aber geschieht nichts der gleichen.

    "Die Probanden haben keine klare Anweisung, irgendetwas zu tun, sondern nur, die Augen zu schließen, sich ruhig zu verhalten, sich nicht zu bewegen, wegen der Technik. Aber sie dürfen an alles denken, in Erinnerungen schwelgen oder an die Einkaufsliste denken - es wird ihnen völlig freigestellt, das zu tun, was sie möchten,"

    erklärt Guido Hesselman. Er arbeitet im NeuroSpin-Labor im Forschungszentrum CEA südlich von Paris. Während die Versuchspersonen also was auch immer denken, registrieren die Magneten, dass die Neuronen in verschiedenen Bereichen des Gehirns mal mehr, mal weniger aktiv sind: Die so genannte spontane Hirnaktivität. In diesem Standbymodus des Gehirns messen die Wissenschaftler besonders starke Ausschläge oder Amplituden der Neuronenaktvität, die zehn Sekunden und länger anhalten können. Das Gehirn verbraucht dabei genau so viel Energie, wie wenn es auf einen Reiz von außen reagiert, zum Beispiel, wenn man ein Bild betrachtet.

    "Das ist der Ausgangspunkt zu sagen: Haben diese Amplituden irgendeine Bedeutung? Gibt es einen Effekt dieser Schwankungen auf die Wahrnehmung oder auf das Verhalten?"

    Neuere Studien verschiedener US-amerikanischer Forschergruppen haben gezeigt, dass das Bewusstsein für die Standby-Aktivität des Hirns nicht wichtig ist: auch im Fall einer Narkose zeigt das Gehirn nach wie vor seine spontane Aktivität. Dafür können Tagträume eine wichtige Rolle spielen. Sie werden von einer ausgeprägteren spontanen Hirnaktivität begleitet. Gut möglich, dass es sich also um unbewusste Prozesse handelt. Das Erlebte muss ja abgespeichert und so weiterverarbeitet werden, damit das Gehirn beim nächsten Ereignis möglichst optimal reagieren kann. Das zumindest vermutet eine wachsende Zahl von Wissenschaftlern. Skeptiker wiederum meinen, die spontane Hirnaktivität enthalte nur "Housekeeping", also Prozesse, die eine Art Grundordnung schaffen zwischen den grauen Zellen. Völlig irrelevant für die Wahrnehmung ist dieser Standby-Betrieb des Hirns aber keineswegs. Das zeigt auch die neue Publikation von Guido Hesselmann und seinen Kollegen in der aktuellen Ausgabe des Fachblatts Proceedings of the National Academy of Sciences.

    "Unsere Studie ist in der Reihe der ersten Studien zu sehen, die zeigen, dass diese Schwankungen, die wir im Gehirn sehen, die spontan auftreten, dass diese offensichtlich die Wahrnehmung in ganz bestimmten experimentellen Settings beeinflussen können."

    Hesselmanns Experiment hierzu ist wiederum absichtlich langweilig: Er zeigt den Versuchspersonen im Kernspintomographen nach einer längeren Pause ein so genanntes Kipp-Bild. Also ein Bild, auf dem man entweder eine helle Vase oder zwei dunkle Gesichter erkennt. Die Versuchspersonen sehen das Bild nur für kurze Zeit, nehmen also nur eine der beiden Möglichkeiten wahr. Dabei misst er sehr genau, welche Bereiche im Gehirn gerade aktiv waren, kurz bevor das Kippbild erschien. Zum Beispiel gibt es ein Hirn-Areal das auf das Erkennen von Gesichtern spezialisiert ist.

    "Mal wird dieser Bereich aktiver, mal der andere. Und wir schauen einfach: Macht es einen Unterschied, wenn der Stimulus auf das Gehirn trifft, in welchem Zustand die Aktivierungen gerade sind. Also gibt es ein Muster an Aktivierungen, das dann dazu führt, dass bevorzug die Vase wahrgenommen wird. Im Gegensatz zur Wahrnehmung der Gesichter."

    Und tatsächlich: Wenn die Gesichtserkennungs-Areale im Hirn zufällig aktiv waren, als das Kippbild gezeigt wurde, so erkannten die Versuchspersonen in den meisten Fällen die Gesichter und nicht die Vase. Das heißt: Die spontane Hirnaktivität beeinflusst unsere Wahrnehmung. Noch wissen Hesselmann und Kollegen nicht, wie weitreichend dieser Einfluss der Hirnaktivität auf das ist, was wir sehen, hören, riechen, fühlen oder schmecken. Fest steht nur: Die Neurowissenschaftler müssen bei zukünftigen Wahrnehmungs-Experimenten darüber nachdenken, ob die spontane Hirnaktivität ihnen möglicherweise einen Streich spielt.