Montag, 06. Mai 2024

Archiv


Standortbestimmung für den Geist

Der Wissenschaftsrat hat seine Empfehlungen zur Situation der Geisteswissenschaften vorgestellt. Zwar sind die wissenschaftliche Qualität und das internationale Ansehen hervorragend. Trotzdem sind die Bedingungen für Forschung und Lehre verbesserungswürdig.

Von Mareike Knoke | 30.01.2006
    Über zwei Jahre hat die Arbeitsgruppe des Wissenschaftsrates die deutschen Geisteswissenschaftler zappeln lassen. Jetzt mahnen die Experten: Als Heimat für die geisteswissenschaftliche Forschung und Lehre müssen die Universitäten deutlich gestärkt werden. Zum Beispiel durch Forschungskollegs. Auch die Arbeitsbedingungen müssen sich bessern, vor allem für den wissenschaftlichen Nachwuchs, sagt der Freiburger Historiker und Arbeitsgruppenleiter Ulrich Herbert:

    "Ganz sicherlich ist das Wichtigste davon die Problematik des Verhältnisses der Studierenden zu den Professoren. 1999 gab es 75 Studenten pro Professor, heute sind es fast 100, und damit fast doppelt so viele wie im Durchschnitt aller Fächer. Das heißt: Ein erheblicher Teil der neu zugewachsenen Studentenzahlen werden in die Geisteswissenschaften hineingestopft. Mit einer Relation von 1 zu 100 wird das deutsche Universitätswesen im Bereich der Geisteswissenschaften nicht reüssieren, sondern immer weiter verwahrlosen."

    Die Hochschulen brauchen mehr Lehrpersonal, also mehr finanzielle Mittel. Auch die Zwölfjahres-Befristung für wissenschaftliche Mitarbeiter ist in der Kritik. Sie trifft die Geisteswissenschaftler besonders hart, weil sie kaum Jobalternativen in der freien Wirtschaft finden. Denn wer innerhalb der Frist keine Professorenstelle ergattert, darf nicht weiterforschen. Deshalb soll die Befristung aus dem Hochschulgesetz verschwinden, fordert Ulrich Herbert. Bevor sich die klugen Köpfe endgültig aus Deutschland verabschieden:
    "Das hat zu einem unglaublichen Brain Drain ins Ausland geführt, weil zum Teil höchstqualifizierte Leute dann, weil sie hier nicht mehr arbeiten dürfen, obwohl das Geld da ist für sie, nach England oder nach Norwegen gehen, um dort Stellen einzunehmen."

    Mit Spannung haben auch die sechs Geisteswissenschaftlichen Zentren auf das Urteil des Wissenschaftsrates gewartet. 1996 wurden sie als außeruniversitäre Institute aus der Konkursmasse der DDR-Akademie gegründet. Ende 2007 läuft die Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft aus. Fast alle Institute haben die Begutachtung als Musterschüler bestanden, nur das Forschungszentrum Europäische Aufklärung in Potsdam fiel durch. Bestnoten bekam das Zentrum Moderner Orient (ZMO) in Berlin. Islamwissenschaftler, Ethnologen, Historiker und Politologen erforschen hier gemeinsam die islamischen Gesellschaften zwischen Nordafrika und Südostasien. Die Zentren sollen ihre neue Heimat nun an Universitäten oder bei Forschungsgemeinschaften finden. Das ZMO könnte der Freien Universität Berlin angliedert werden. Institutsdirektorin Ulrike Freitag allerdings hält nicht viel davon:

    "Es stand dort, dass wir gut an die FU passen würden, weil es ja dort den Schwerpunkt Vorderer Orient gibt. Das heißt: An der Freien Universität behandeln wir nicht die muslimischen Teile Afrikas, Indiens, Pakistan, Bangladesch oder gar Südostasien. Und das ist ja eine der ganz großen Besonderheiten des Zentrums Moderner Orient, dass wir hier auch insbesondere auf Querverbindungen zwischen den verschiedenen Regionen achten, dass wir darüber arbeiten."

    Sie möchte, dass ihr Institut unabhängig von universitärer Einflussnahme bleibt.

    "Im Prinzip ist ja vorgesehen, schon institutionell eigenständige Forschungskollegs zu schaffen. Aber es sind dann doch Kollegs, die immer wieder abhängig sind von der immer sehr zeitaufwändigen Kooperation mit universitären Partnern, die natürlich alle ihre Eigeninteressen haben."

    Am liebsten würde Ulrike Freitag deshalb unter das stabile Dach der Max-Planck-Gesellschaft schlüpfen. Auch für den wissenschaftlichen Nachwuchs sei dies eine Garantie, um weiterhin interdisziplinär arbeiten zu können. Die zukünftige Doktorandin Britta Frede meint:

    "Ich habe zum Beispiel Islamwissenschaften studiert und afrikanische Geschichte. Gerade auch durch die Fächeraufteilung in Berlin, wo die Afrikawissenschaft an der Humboldt-Universität sitzt und die Islamwissenschaft mit Schwerpunkt Arabisch an der Freien Universität, ist es sehr schwierig, diese Bereiche miteinander zu verbinden. Und da gibt das Zentrum Moderner Orient eine gute Basis."

    Die Max-Planck-Gesellschaft hat sich noch nicht dazu geäußert. Der Wissenschaftsrat zumindest hätte gegen ein weiteres Institut in Berlin nichts einzuwenden.