Beatrix Novy: Und im Studio sitzt mein Kollege Denis Scheck aus der Literaturredaktion. Auch Sie, Herr Scheck, haben ja Stanislaw Lem selbst kennen gelernt und zwar sehr, sehr früh.
Denis Scheck: Genau. Das war nämlich der Schriftsteller, mit dem ich mein aller erstes Interview führte, damals im zarten Alter von 13 Jahren, es war also schon sehr, sehr lange her. Damals gab ich so ein Science-Fiction-Fanzine heraus und da war natürlich Stanislaw Lem einer der Großautoren. Ich möchte anknüpfen an das, was Radek Knapp gesagt hat, tatsächlich hat er bewiesen, dass ein Mensch die Zwänge eines Systems überwinden kann. Er war in dieser Begegnung damals, in den siebziger Jahren, ein unglaublich heiß laufendes Ideen-Kraftwerk, er war eigentlich eingeladen zu einer Lesung in einer Stuttgarter Buchhandlung, aber von Lesungen hielt er gar nicht so viel, sondern er jonglierte wie ein Akrobat im Zirkus tatsächlich mit so faszinierenden Ideen, dass sich diese Begegnung mit Stanislaw Lem mir doch ziemlich unvergesslich eingeprägt hat.
Novy: Und welcher Art waren diese Ideen? Vielleicht kann man dazu gleich auf sein Werk kommen?
Scheck: Von Saul Bellow stammt die Formulierung es gäbe zwei Arten von Literatur. Während sich die normale Literatur mit dem individuellen Schicksal von Menschen beschäftigt, gäbe es noch eine Superliteratur, und diese Superliteratur, die behandle die letzten Fragen, woher kommt die Menschheit, wohin geht sie, was für einen Sinn hat unser Dasein und in diesem Sinne hat Stanislaw Lem von Beginn an immer Superliteratur geschrieben, nämlich Literatur, die eben beispielsweise die Fragestellungen des Kalten Krieges überwindet, deshalb, und nicht so sehr nur um diesem Systemzwang zu entgehen, schrieb er eben Science-Fiction-Literatur. Denn im Herz seines Werkes sehe ich eigentlich eine Bemühung, eine Brücke herzustellen zwischen dieser Dichotomie der Kulturen, wie sie C.P. Snow einmal im zwanzigsten Jahrhundert formulierte, also diese ganz klare Trennung zwischen auf der eine Seite einer wissenschaftlich technischen Intelligenz und auf der andern Seite einer humanistisch geisteswissenschaftlich denkenden Elite, wie sie ja durchaus etwa auch das Programm des Deutschlandfunks bis heute abbildet. Lem ist da ein evolutionäres Bindeglied zwischen diesen beiden, sonst so strikt getrennten Welten.
Novy: Trotzdem waren seine frühen Werke wahrscheinlich immer nur veröffentlicht in solchen Fanzines, von denen Sie eben gesprochen haben, weil die Science Fiction-Literatur noch als Heftliteratur galt in der früheren Zeit.
Scheck: Ja, im Englischen sagt man don´t judge a book by its cover, man soll ein Buch nicht nach seinem Schutzumschlag beurteilen, und da ist Lem wirklich das lehrreichste Beispiel dafür, denn seine ersten Veröffentlichungen in Deutschland waren nicht etwa im Suhrkamp Verlag, der hat diesen Autor nicht entdeckt, sondern die ersten Veröffentlichungen waren wirklich triviale Groschenhefte der erschienenen Heftreihen wie Terra Astra und so weiter. Horrible gekürzt mitunter in schauderhaften Übersetzungen. Aber es genügte um deutlich zu machen, den Lesern dieser Heftreihen, hier ist ein ganz besonderer Autor am Werk, der wunderbar Ideen in Literatur umsetzen konnte. Seine Stärke war ganz gewiss nicht die Schilderung von Liebesbeziehungen, daran ist er auch meistens ... dem ist er ausgewichen, sondern was er, etwa in den Geschichten um den herrlichen Piloten Pirks so schön machen kann, das sind Geschichten, wie, was ist, wenn ein Roboter, der zum Bergbau konstruiert ist und irgendwo auf einem Mond rumfahren muss in unserem Sonnensystem, was ist, wenn der seine Liebe zum Bergsteigen entdeckt und deshalb die Maschine rätselhaft abstürzt. Überhaupt, das Verhältnis Mensch und Roboter, das ist so ein Hauptstrang in seinem Werk und daran knüpfen sich natürlich die tollsten und heute auch relevantesten philosophischen Fragestellungen.
Novy: Wie hat er denn reagiert auf das immer wirklicher werden der fließenden Übergänge zwischen Mensch und Technik?
Scheck: Ich glaube, er durfte sich bestätigt sehen, in vielem was er visionär vorausgedacht hat. Es gibt ja neben dem erzählenden Werk der Sterntagebücher dem Roman Solaris, den viele wahrscheinlich aus den Kinoverfilmungen kennen, gibt es noch ein philosophisches Hauptwerk, ein Buch das im Grunde zwischen alle Kategorie rutscht, die man sich überhaupt ausdenken kann, ich habe mal eine Vergleich in einem literaturwissenschaftlichen Nachschlagewerk gelesen, da wird dieses Werk verglichen mit Kants Kritik der reinen Vernunft, dieses Werk trägt einen lateinischen Titel, Summa technologiae, und ist ein Versuch, die Evolution des Menschen parallel zu denken mit der Technikevolution. Haben wir, wenn wir einen Staubsauger, so heißt es auf den ersten Seiten, vor uns sehen, im Grunde so was vor uns, wie den ersten Einzeller in der Ursuppe? Sehr spannend, auch heute noch zu lesen. Lem ...
Novy: Ähnlich schwierig wie Kant?
Scheck: Nein, würde ich nicht sagen. Lem ist eine Gestalt im zwanzigsten Jahrhundert, die einen selber an die Grenzen führt, an die Grenzen der eigenen Vorstellungskraft als Leser mitunter auch in Abgründe blicken lässt, weil er, durchaus ein erotisches, so ist meine Interpretation, Verhältnis zur Technik hatte, vielleicht auch eine Kompensation, das [es] würde sich eine psychoanalytische Deutung vieler seiner Werke wohl anbieten, aber er ist eben dieser Solitär und er hat das, und da hat wiederum Radek Knapp sehr Recht, er hat es mit Humor gemacht, dieser Humor, dieser Witz, Esprit seines Werkes absolut ansteckend auch heute noch, wenn man diese wunderbaren Kurzgeschichten allein sich wieder mal vornimmt.
Novy: Sagen Sie doch nur noch ein oder zwei oder auch drei Titel, die Sie als ihre Lieblingsschriften bezeichnen würden.
Scheck: Also, wie gesagt, ganz in den Vordergrund rücken, möchte ich dieses philosophische Werk Summa technologiae, das in Deutschland jedenfalls unterschätz ist, dann seine Leistung für den Kriminalroman, vielleicht die schönste Travestie auf den Kriminalroman, Der Schnupfen, auch da sind Science-Fiction-Elemente enthalten, es geht um eine rätselhafte Mordserie in Süditalien, auch das sind sicherlich Werke, die bleiben werden. Definitiv Solaris, der Roman und die Robotermärchen und die Sterntagebücher. Also, so viel Lem muss sein.
Novy: Vielen Dank, Denis Scheck. Denis Scheck war das zum Tode von Stanislaw Lem, der heute in Krakau gestorben ist.
Denis Scheck: Genau. Das war nämlich der Schriftsteller, mit dem ich mein aller erstes Interview führte, damals im zarten Alter von 13 Jahren, es war also schon sehr, sehr lange her. Damals gab ich so ein Science-Fiction-Fanzine heraus und da war natürlich Stanislaw Lem einer der Großautoren. Ich möchte anknüpfen an das, was Radek Knapp gesagt hat, tatsächlich hat er bewiesen, dass ein Mensch die Zwänge eines Systems überwinden kann. Er war in dieser Begegnung damals, in den siebziger Jahren, ein unglaublich heiß laufendes Ideen-Kraftwerk, er war eigentlich eingeladen zu einer Lesung in einer Stuttgarter Buchhandlung, aber von Lesungen hielt er gar nicht so viel, sondern er jonglierte wie ein Akrobat im Zirkus tatsächlich mit so faszinierenden Ideen, dass sich diese Begegnung mit Stanislaw Lem mir doch ziemlich unvergesslich eingeprägt hat.
Novy: Und welcher Art waren diese Ideen? Vielleicht kann man dazu gleich auf sein Werk kommen?
Scheck: Von Saul Bellow stammt die Formulierung es gäbe zwei Arten von Literatur. Während sich die normale Literatur mit dem individuellen Schicksal von Menschen beschäftigt, gäbe es noch eine Superliteratur, und diese Superliteratur, die behandle die letzten Fragen, woher kommt die Menschheit, wohin geht sie, was für einen Sinn hat unser Dasein und in diesem Sinne hat Stanislaw Lem von Beginn an immer Superliteratur geschrieben, nämlich Literatur, die eben beispielsweise die Fragestellungen des Kalten Krieges überwindet, deshalb, und nicht so sehr nur um diesem Systemzwang zu entgehen, schrieb er eben Science-Fiction-Literatur. Denn im Herz seines Werkes sehe ich eigentlich eine Bemühung, eine Brücke herzustellen zwischen dieser Dichotomie der Kulturen, wie sie C.P. Snow einmal im zwanzigsten Jahrhundert formulierte, also diese ganz klare Trennung zwischen auf der eine Seite einer wissenschaftlich technischen Intelligenz und auf der andern Seite einer humanistisch geisteswissenschaftlich denkenden Elite, wie sie ja durchaus etwa auch das Programm des Deutschlandfunks bis heute abbildet. Lem ist da ein evolutionäres Bindeglied zwischen diesen beiden, sonst so strikt getrennten Welten.
Novy: Trotzdem waren seine frühen Werke wahrscheinlich immer nur veröffentlicht in solchen Fanzines, von denen Sie eben gesprochen haben, weil die Science Fiction-Literatur noch als Heftliteratur galt in der früheren Zeit.
Scheck: Ja, im Englischen sagt man don´t judge a book by its cover, man soll ein Buch nicht nach seinem Schutzumschlag beurteilen, und da ist Lem wirklich das lehrreichste Beispiel dafür, denn seine ersten Veröffentlichungen in Deutschland waren nicht etwa im Suhrkamp Verlag, der hat diesen Autor nicht entdeckt, sondern die ersten Veröffentlichungen waren wirklich triviale Groschenhefte der erschienenen Heftreihen wie Terra Astra und so weiter. Horrible gekürzt mitunter in schauderhaften Übersetzungen. Aber es genügte um deutlich zu machen, den Lesern dieser Heftreihen, hier ist ein ganz besonderer Autor am Werk, der wunderbar Ideen in Literatur umsetzen konnte. Seine Stärke war ganz gewiss nicht die Schilderung von Liebesbeziehungen, daran ist er auch meistens ... dem ist er ausgewichen, sondern was er, etwa in den Geschichten um den herrlichen Piloten Pirks so schön machen kann, das sind Geschichten, wie, was ist, wenn ein Roboter, der zum Bergbau konstruiert ist und irgendwo auf einem Mond rumfahren muss in unserem Sonnensystem, was ist, wenn der seine Liebe zum Bergsteigen entdeckt und deshalb die Maschine rätselhaft abstürzt. Überhaupt, das Verhältnis Mensch und Roboter, das ist so ein Hauptstrang in seinem Werk und daran knüpfen sich natürlich die tollsten und heute auch relevantesten philosophischen Fragestellungen.
Novy: Wie hat er denn reagiert auf das immer wirklicher werden der fließenden Übergänge zwischen Mensch und Technik?
Scheck: Ich glaube, er durfte sich bestätigt sehen, in vielem was er visionär vorausgedacht hat. Es gibt ja neben dem erzählenden Werk der Sterntagebücher dem Roman Solaris, den viele wahrscheinlich aus den Kinoverfilmungen kennen, gibt es noch ein philosophisches Hauptwerk, ein Buch das im Grunde zwischen alle Kategorie rutscht, die man sich überhaupt ausdenken kann, ich habe mal eine Vergleich in einem literaturwissenschaftlichen Nachschlagewerk gelesen, da wird dieses Werk verglichen mit Kants Kritik der reinen Vernunft, dieses Werk trägt einen lateinischen Titel, Summa technologiae, und ist ein Versuch, die Evolution des Menschen parallel zu denken mit der Technikevolution. Haben wir, wenn wir einen Staubsauger, so heißt es auf den ersten Seiten, vor uns sehen, im Grunde so was vor uns, wie den ersten Einzeller in der Ursuppe? Sehr spannend, auch heute noch zu lesen. Lem ...
Novy: Ähnlich schwierig wie Kant?
Scheck: Nein, würde ich nicht sagen. Lem ist eine Gestalt im zwanzigsten Jahrhundert, die einen selber an die Grenzen führt, an die Grenzen der eigenen Vorstellungskraft als Leser mitunter auch in Abgründe blicken lässt, weil er, durchaus ein erotisches, so ist meine Interpretation, Verhältnis zur Technik hatte, vielleicht auch eine Kompensation, das [es] würde sich eine psychoanalytische Deutung vieler seiner Werke wohl anbieten, aber er ist eben dieser Solitär und er hat das, und da hat wiederum Radek Knapp sehr Recht, er hat es mit Humor gemacht, dieser Humor, dieser Witz, Esprit seines Werkes absolut ansteckend auch heute noch, wenn man diese wunderbaren Kurzgeschichten allein sich wieder mal vornimmt.
Novy: Sagen Sie doch nur noch ein oder zwei oder auch drei Titel, die Sie als ihre Lieblingsschriften bezeichnen würden.
Scheck: Also, wie gesagt, ganz in den Vordergrund rücken, möchte ich dieses philosophische Werk Summa technologiae, das in Deutschland jedenfalls unterschätz ist, dann seine Leistung für den Kriminalroman, vielleicht die schönste Travestie auf den Kriminalroman, Der Schnupfen, auch da sind Science-Fiction-Elemente enthalten, es geht um eine rätselhafte Mordserie in Süditalien, auch das sind sicherlich Werke, die bleiben werden. Definitiv Solaris, der Roman und die Robotermärchen und die Sterntagebücher. Also, so viel Lem muss sein.
Novy: Vielen Dank, Denis Scheck. Denis Scheck war das zum Tode von Stanislaw Lem, der heute in Krakau gestorben ist.