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Starke Bilder und wenig Dialoge

Der Kurzfilm ist noch immer ein Genre, das vor allem als Experimentierfeld verstanden wird. Viele ambitionierte Filmemacher nutzen ihn als Möglichkeit, die eigenen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Die besten werden in diesen Tagen in Berlin ausgezeichnet.

Von Bernd Sobolla |
    "Anscheinend entscheidet sich der junge Mann jetzt das Fahrrad zurückzulassen und sich auf eigene Faust zurückzuschlagen. Auftritt des Gegenspielers. Der Musik nach zu urteilen handelt es sich hierbei um einen echten Bösewicht: Brille, Schnauzer, Klemmbrett. Die Horrorgestalt des Verwaltungsbeamten. Stimmungswechsel: Weiches Licht, ruhige Musik. Die Filmschönheit macht sich ausgehfertig. Man fragt sich: Wofür um 13.00 nachmittags?"

    "In diesem Film sehen sie Folgendes", treffender hätte man den Film von Erik Schmitt und Stephan Müller nicht nennen können. Denn die Krimigeschichte mit Protagonist und Bösewicht, Schönheit und wartender Oma stellt alle Vorstellungen des klassischen Erzählkinos auf den Kopf, indem der Erzähler all das schildert, was wir ohnehin sehen würden oder vielleicht gar nicht wissen möchten. Ein wildes Spiel mit der Erwartungshaltung des Zuschauers, das großes Unterhaltungspotenzial in sich trägt und Erik Schmitt eine Filmpreisnominierung eingebracht hat.

    "Was wir hier treiben mit dem Kurzfilm ist folgendes: Dass wir einen Erzähler haben, der die Position ändert. Der sitzt manchmal neben uns und denkt das laut, was wir uns unterbewusst denken. Manchmal weist er uns auf Sachen hin, die uns aus der Geschichte rausbringen, wie z.B. dass man das Filmteam irgendwo sieht. ... Und manchmal verwirrt er uns oder er bringt uns tatsächlich irgendwie voran. … Also alles macht keinen Sinn, aber der Erzähler hält es zusammen."

    Die meisten anderen nominierten Filme schlagen eine ernstere Grundhaltung an. Auffällig vor allem, dass viele Werke über ein Leben oder zumindest einen Lebensabschnitt reflektieren. In "Leben lassen" zum Beispiel führt Felix Charin einen dementen, pflegebedürftigen, alten Mann - einen ehemaligen SS-Offizier - und eine russische Altenpflegerin zusammen. Als sie seine SS-Tätowierung sieht, seine Vergangenheit erahnt, beginnt sie russische Lieder auf dem Akkordeon zu spielen, teils um sich zu beruhigen, teils um den alten Mann anzugreifen.

    "Hör auf damit"

    Der Filmemacher Bjorn Melhus zeigt in seinem Experimentalfilm "I´m not the Enemy" wie ein deutscher Kriegsheimkehrer in seiner Familie lebt, die ihm weder Halt noch Orientierung geben kann, weil alle die immer gleichen Sätze wiederholen. Die wiederum hat der Regisseur aus amerikanischen Veteranen-Filmen entnommen und zu einer skurrilen Soundcollage montiert.

    "A lot of men go after war. They just don´t come back the same. / Men come home crazy and broken and cold."

    Gebrochene Charaktere gibt es aber auch ohne Krieg: In dem Film "Synkope" versucht der etwa 45-jährige Matthias vor seiner Tochter und ihrem Freund sowie seiner Ex-Frau und ihrem Partner, sein verpfuschtes Leben durch Prahlerei zu überspielen. Doch das neue Haus ist leer, und das Zimmer für seine Tochter überflüssig. Sie will heiraten und ins Ausland gehen. Zielsicher führt die Regisseurin Nora Fingscheidt ihren Protagonisten zum Zusammenbruch - in die Synkope. Doch nicht nur um Niedergang und verpasste Chancen geht es den Kurzfilmregisseuren: Philip Widman zum Beispiel schildert in "Die Frau des Fotografen" ein erfülltes Leben. In dem Dokumentarfilm montierte er einige Tausend Fotos, die ein Hobbyfotograf von seiner Frau in rund 40 Jahren geschossen hatte, zu einem Lebenslauf voll schöner Momente, Ausgelassenheit und Erotik.

    "Dieser Mann hat mich ein ganzes Leben lang beschäftigt, in Trapp gehalten und durch die Fotografie zu verstehen gegeben, dass er mich hübsch findet und begehrenswert als Frau. Und ich meine, dass das nicht jede Frau am Ende ihres Lebens sagen kann."

    Ob Spiel-, Dokumentar- oder Experimentalfilme, die diesjährigen nominierten Filmemacher überzeugen mit ihrem Mut, alltägliche Dinge auf vielfältige, ungewöhnliche und spannende Weise zu erzählen. Wobei auffällt, dass die meisten Werke auf ihre visuelle Kraft setzen und mit wenigen Dialogen auskommen.

    Mehr zum Thema:
    Deutscher Kurzfilmpreis 2011