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Starke Frauen, eitle Männer

So unterschiedlich die Sujets der Geschichten im georgischen Erzählband "Techno der Jaguare" auch sein mögen, eines ist ihnen gemeinsam: die radikal weibliche Perspektive. Selbstbewusst hinterfragen die Autorinnen sowohl die traditionellen wie die postsowjetischen Rollenklischees.

Von Simone Hamm | 16.10.2013
    Die ewig wartende Geliebte eines verheirateten Mannes, aus deren Kopf über Nacht ein Buch wächst. Eine Killerin, die kühl so agiert, als stamme sie aus einem amerikanischen Film der 40er-Jahre. Eine Journalistin, deren Körper von einem offenbar blinden Bildhauer ganz langsam abgetastet wird. Eine Dolmetscherin, die im Hotel einer erbärmlichen Stadt die Minibar leer trinkt, während sie überlegt, ob sie sich auf die Avancen eines schönen Asiaten einlassen soll. Eine Under-Cover-Agentin im Jaguarkostüm auf einem Halloweenfest, die dem DJ aus dem Baumstamm näher kommt. Eine Suchende auf dem Weg zu neun Hütten, in denen sie die Wahrheit zu finden hofft. Eine Sterbende in der Welt aus Glas, die eine erbitterte Fehde mit ihrer Tochter austrägt.

    Das sind die Hauptfiguren aus dem Erzählband "Techno der Jaguare - neue Erzählerinnen aus Georgien". "Neu" können eigentlich nur Erzählungen, nicht Erzählerinnen sein - soviel zur sprachlichen Sorgfalt. Es sind Erzählungen von Frauen über Frauen, genauer, fünf Erzählungen, ein Ausschnitt aus einem Roman und ein Dramolett.

    Zwei georgische Autorinnen haben in den letzten Jahren aufhorchen lassen. Tamta Melaschwilli mit ihrem kurzen Roman "Abzählen". Fast ausschließlich in wörtlicher Rede erzählt sie von drei Tagen im Leben zweier dreizehnjähriger Mädchen während des georgisch-russischen Krieges. Ihre Sprache ist atemlos, stakkatohaft, kühn. Und Nino Haratischwili mit ihrem Roman "Mein sanfter Zwilling", einer tragisch - tödlichen Geschichte von Liebe, Schuld und Sühne zwischen Hamburg und Tiflis. Ein Roman voller Kraft und Wucht.

    Das lässt neugierig werden auf den Erzählband "Techno der Jaguare", in dem die Autorinnen beide vertreten sind: Tamta Melaschwilli mit der kurzen Erzählung "Killer's Job" über eine Berufskillerin, die aber nicht immer das tut, was ihre Auftraggeber wollen.

    Ich habe mich noch nicht entscheiden, wen ich umbringen würde, ihn oder den "alten Mann", wie er seinen Geschäftspartner nannte. "Noch einen Expresso, einen doppelten diesmal", sagte ich zum Ober.

    Tamta Melaschwilli spielt mit dem Sujet Detektivroman der 40er-Jahre. Doch das aufregend Neue, so ganz andere, das "Abzählen" zu einem so starken Debut gemacht hat, fehlt in dieser Geschichte. Der Plot ist vorhersehbar. Und das gilt auch für die anderen Erzählungen. Sie sind allesamt sehr konventionell, auf einen Höhepunkt hingeschrieben.

    Ganz stark beginnt Ekateriene Tongonidzes "W-E-G". Ein Spiel von Sehen und Fühlen und Erahnen, so scheint es zunächst. Eine junge Journalist darf einen Bildhauer besuchen, der völlig zurückgezogen lebt und normalerweise keine Interviews gibt. Die Kunstwelt glaubt, er sei blind. Doch das gibt er nur vor. Die beiden kommen sich näher. Wie weit wird sie gehen für ihre Story?

    Sie steht ihm Modell, er berührt ihren Körper. Eine Liebesaffäre fängt an. Sie hat nicht den geringsten Zweifel an seiner Blindheit. Er glaubt sich von ihr durchschaut, glaubt, sie werde sein Geheimnis in die Welt schreien. Er rächt sich grausam für den vermeintlichen Verrat. So könnte eine Roald-Dahl-Geschichte enden.

    "Techno der Jaguare" hat eine ungewöhnliche Aufmachung. Unter der Überschrift einer jeden Erzählung ist ein Foto der Autorin zu sehen. Die meisten sind auf einem Barhocker fotografiert worden. Selbstbewusstsein strahlen sie aus. Lässig stützt sich Maka Mikeladze auf den Hocker. Ihre Erzählung "Eine mit Buch und ihre erlesene Leserschaft" mutet surrealistisch an. Dass aber jeder auf den Seiten dieses Buches liest, was er daraus lesen will, die eine eine seichte Liebesgeschichte, der andere eine Excell-Tabelle, dass der Protagonistin auf einer Party andere Leute begegnen, denen Bücher aus dem Kopf wachsen und Webcams und Monitore, ist dann doch allzu durchsichtig.

    Die auf Deutsch schreibende Nino Haratischwili hat ein kleines Theaterstück für drei Schauspielerinnen geschrieben. Tochter Agnes lebt in diesem Haus aus Glas und geht auf Scherben. Und hasst die Mutter für ihre Kälte:

    "Ich habe immer gedacht, wenn ich ein Messer in sie ramme, dann wird sie gar nicht bluten, so hart ist sie, hart wie Stahl. Ich habe mir immer vorgestellt, wenn ich sie anfasse, wenn ich sie kneife, ganz fest, so fest, dass ich meine ganzen Muskeln dabei anspannen muss, dann wird sie sich nicht rühren. Sie wird nichts empfinden, während ich rot anlaufe vor lauter Anspannung und Krampf und anfange zu schwitzen. Und ich gebe mir die Blöße, und sie bleibt so, wie sie immer war, ätherisch, abweisend, unnahbar."

    Kühl plant die schwerkranke Mutter über ihren Tod hinaus, lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen, durch keine Provokation der Tochter, kein schlechtes Benehmen ihres Mannes. Ihre Haushaltshilfe, eine Frau aus dem Osten, soll ihre Nachfolgerin werden, die zweite Frau.

    "Ich sterbe und du übernimmst meinen Platz, an diesen gottverlassenen, verseuchten, zerfallenen Ort wirst du zu - mir. Du kriegst eine gestörte Tochter und einen 'rumhurenden Mann als Mitgift."

    Der 'rumhurende Mann hat einen tödlichen Unfall. Doch die dem Tod geweihte Frau lässt sich nur kurz aus der Ruhe bringen. Schließlich hat sie etwas anderes geplant. Und dieser Plan wird aufgehen.

    Nino Haratischwili lässt Mutter und Tochter ihr Innerstes nach außen kehren. Abstand wahrt nur die Haushaltshilfe. Durch diesen Kunstgriff wirken die Verletzungen, die sich Laura und Agnes antun, noch schärfer.

    "Techno der Jaguare" ist ein Ausschnitt aus dem gleichnamigen Roman und spielt zunächst in New York: auf Vernissagen, in Cafés, auf Partys. Nene Kwinikadze lässt eine ihrer Protagonistinnen sattsam bekannte Vorurteile herunter rattern:

    Hier lebt jeder allein. Die Menschen hier kommen aus aller Welt und konkurrieren miteinander. Die ist ein Land von Ledigen, an Familiengründung denkt niemand.

    Nach Europa zurückgekehrt arbeitet Gogona für eine Antiterror-Schule. Sie soll beobachten, berichten und so helfen, Attentate zu verhindern. Und obwohl sie das Geräusch der Käfer im Tisch des Nachbarn hören kann, ist sie eine schlechte Beobachterin.

    Eka Tchilawa kehrt mit ihrer Protagonistin zurück in die Kindheit. "In den neun Hütten" heißt ihre Erzählung. Die Hütte des Vaters ist durchtränkt von dem Geruch, den Adna so liebt, dem Geruch des Vaters. In der leeren Hütte krümmt sie sich vor Schmerzen. In der Fischhütte flüstert ein dicker Mann mit borstigen Zähnen ihr zu, sie gehöre nur ihm allein.

    Der Mann öffnet gierig seine Hosenknöpfe...Unzählige dünne Fädchen in seinen Augen...der stechende Schmerz und der schnelle Atem des Mannes flirten durch ihr Bewusstsein...Sie dachte, der Tod riecht nach Fisch.

    Erst in der neunten Hütte hat Adna die Traumata der Kindheit überwunden. Hier fühlt sie sich frei. Auch in dieser Erzählung ist alles überdeutlich, kein Raum für Interpretationen. Nichts wird offengelassen.

    Anna Kordzaina-Samadaschwilis schreibt umgangssprachlich- schnoddrig, selbstironisch. Ihre Erzählung beginnt mit den Worten: "Meine Heldin war eine recht gebildete Frau." Dadurch schafft sie eine wohltuende Distanz zu den Protagonisten. Diese Heldin in "Das historische Gedächtnis" schüttet sich trotzig einen Whiskey nach dem anderen ein. Sie gefällt den Männern, aber der, der ihr gefällt, ist verheiratet und kommt nur auf einen Sprung herein.

    Ihr könnt mich mal! Ich werde es schon noch schaffen, das Leben zu genießen, jung zu sterben und einen schönen Körper zu hinterlassen. Nur, dass ich das Leben nicht mehr so richtig genießen kann, von Jugendfrische auch keine Rede mehr ist und von Schönheit ebenso wenig.

    Die Männer in den georgischen Erzählungen sind unzuverlässig und selbstgefällig, eitle, unverständige Liebhaber. Die Frauen stehen zwar auf eigenen Beinen, haben aber Sehnsüchte, die nichts und niemand erfüllen kann.

    Die Erzählungen mögen gelungen oder weniger gelungen ein, und gewiss geben sie einen interessanten Einblick in das Leben georgischer Frauen - aber sie reichen an die großartigen Romane "Abzählen" von Tamta Melaschwilli und Nino Haratischwilis " Mein sanfter Zwilling" nicht heran.

    "Techno der Jaguare - neue Erzählerinnen aus Georgien"
    Aus dem Georgischen von Maia Tabukaschwilli, Maka Kandelki, Anastasia Kamarauli, Mariam Kamarauli, Irma Schiolaschwilli und Susanne Schmidt.
    Frankfurter Verlagsanstalt. 256 Seiten 19,90 Euro