Freitag, 03. Mai 2024

Archiv


Starke Zeichen, keine Botschaft

Das Fehlen junger Dramatiker, zu viel grell-ironisches Theater, zu viel Kürzungen in klassischen Stücken und zu wenig große politische Themen wie Krieg oder Migration - im Laufe des 44. Berliner Theatertreffens wurde schon so manche Kritik laut. Viel Lob gab es dagegen für die schauspielerischen Leistungen. Gestern wurde Julischka Eichel als beste Nachwuchsdarstellerin in Ferdinand Bruckners "Krankheit der Jugend" ausgezeichnet.

Von Karin Fischer | 21.05.2007
    Das Berliner Theatertreffen - die 100 Prozent Auslastung bestätigen es - ist eine Veranstaltung für eine treue Fangemeinde von Theaterenthusiasten, Profiguckern und Sympathisanten. Dass sich das Treffen mit Stückemarkt, internationalem Forum, Festivalzeitung und Talentetreffen Ableger und damit den eigenen Nachwuchs schafft, dass es via 3sat-Kooperation die attraktivsten Inszenierungen im Fernsehen einem größeren Publikum verfügbar macht, ist kein Widerspruch. Auch da ist man "unter Freunden", wie das diesjährige Motto verhieß.

    Die Idee, die "bemerkenswertesten Inszenierungen der Saison" - ein Kriterium, das noch in jeder Jury bemerkenswert uneinheitlich ausgelegt wird - in einem zweiwöchigen Theater-Marathon in der Hauptstadt zur Diskussion zu stellen, mutet in Zeiten umfassender Koproduktionen ohnehin altmodisch charmant an, wie die Beschwörung alter Zeiten, als die besten Kräfte - Leopold Jeßner, Gustav Gründgens, Bertolt Brecht - aus der Provinz kamen, sich aber in der Hauptstadt bewähren mussten. Heute kommt die Salzburger Festspiel-Produktion sehr schnell nach München, Hamburg oder Berlin und wird dann noch weiter gereicht an die Festivals in Wien oder Paris.

    Gleichzeitig wird der Transfer von immer deutlicher auf ein lokales Publikum zugeschnittenen Stadttheaterproduktionen in die Hauptstadt schwieriger - ein Grund, weshalb es nach wie vor nur die großen Bühnen ins Theatertreffen-Ranking schaffen.

    Trotzdem war die Auswahl stark, stark vor allem in den Zeichen, in den Räumen: Die minutenlange Konfetti-Kanonade in Gotscheffs "Tartuffe", die Blutschlacht der Thalheimerschen "Orestie", die melancholische Poesie von Kriegenburgs Puppengesichtern in den "Drei Schwestern", das opulente Gastmahl in Nüblings "Dido und Aenes" nach Marlow und Purcell: Das war eine alle Sinne beanspruchende, irritierend mehrdeutige Inszenierung, die Oper und Theater, alten Mythos und moderne High Society, Barock und Bollywood spielerisch und spielend verschmolz.

    "Kulinarischste Saison seit langem; die Theater versuchen, das Publikum zurück zu verführen; dafür müssen wir uns nicht schämen,"

    sagt die Jurorin Barbara Burckhardt. Den ganz großen Wurf, die neue Handschrift gebe es derzeit nicht im deutschsprachigen Theater, sagt die Jury, das sich, sagt Günther Rühle, damit nicht als ein setzendes, sondern als ein suchendes präsentiert.

    Bunt und melancholisch, fröhlich und aggressiv; politisch an diesem Theater ist nur die Einsicht in die Unmöglichkeit der Wahl, die Unfähigkeit zu handeln, die Vergeblichkeit von Ideologie, der Unglaube an die Kraft der Vernunft. Siehe die "Orestie" ohne den dritten Teil, siehe "Ulrike Maria Stuart", siehe Bruckners "Krankheit der Jugend". Tilman Köhler hat aus dem expressionistischen Drama mit einem sehr jungen, erstklassigen Ensemble eine atemberaubende Choreographie der Körper und der Gefühle hingelegt, das mit Tocotronic-Songs den Nerv der Zeit exakt trifft.

    Eine Jugend mit Aussichten, aber ohne Hoffnung. "Verbürgerlichung oder Selbstmord" heißen im Stück die ausweglosen Alternativen. Die 26-jährige Julischka Eichel spielt die Lucy darin so ergreifend unmittelbar und facettenreich, dass sie die beste Wahl für den Alfred Kerr-Darsteller-Preis für Nachwuchsschauspieler war.

    Zum ersten Mal seit der Flucht ihres Vaters Alfred Kerr war die 83-jährige Schriftstellerin Judith Kerr aus Anlass dieser Preisverleihung nach Berlin gekommen. Vom Kritikervater, der 30 Jahre älter war als seine Frau, wusste sie nur, dass er berühmt war, nicht aber, weshalb. Denn eigentlich, so Judith Kerr gestern im Haus der Berliner Festspiele, schrieb er immer nur.

    Wir wissen, woran Alfred Kerr schrieb: an der Geschichte des Theaters, wie sie in der Kunst auf der Bühne statt findet und im Beitrag des Kritikers überliefert wird. Das Theatertreffen setzt in diesem Sinne ein Fähnchen fürs Zeitgenössischen im Meer der Kulturgeschichte. Mehr sollte man nicht verlangen.