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Starker Mann für Kiew

Am nächsten Sonntag finden in der Ukraine Bürgermeister- und Parlamentswahlen statt. Viele Ukrainer sind enttäuscht über die Versäumnisse der orangenen Revolution – und setzen auf Kandidaten, die mit Politik bisher nicht allzu viel zu tun hatten: auf Vitali Klitschko zum Beispiel, den es in das Amt des Bürgermeisters von Kiew drängt. Von dort berichtet Florian Kellermann.

    Groß, stark, ehrlich – mit diesem Image will Vitalij Klitschko Bürgermeister von Kiew werden. Ein Kampf vor heimischem Publikum für den ehemaligen Boxweltmeister: Die Klitschko-Brüder wuchsen in der ukrainischen Hauptstadt auf.

    Klitschkos größtes Pfund ist seine weiße Weste. Denn die Kiewer Stadtverwaltung ist berüchtigt – als Hort der Korruption. Ein Beispiel aus den vergangenen Wochen: Eine angebliche Wohnungsbaufirma betrog Tausende Kiewer um ihr Erspartes, indem sie jeden Quadratmeter viermal verkaufte. Die Behörden der Stadt schauten tatenlos zu. Einige Beamte, so munkelt man, hätte dabei kräftig mitverdient.

    Deshalb will die 22-jährige Studentin Lyuba Swarytsch für Klitschko stimmen.

    "Er wird frischen Wind in unsere Politik bringen. Er ist ein ehrlicher Mensch, das sieht man. Dass er noch kein Politprofi ist, das macht nichts. Das lernt er schon. Jedenfalls vertraue ich ihm viel mehr als den alten Kadern aus der Sowjetunion, die unser seit der Unabhängigkeit regieren."

    Im Ring boxte Vitalij Klitschko vor einem Millionenpublikum. Heute macht er sich auf die Ochsentour durch die Kiewer Stadtviertel. Drei Termine pro Tag – selten kommen mehr als 200 Menschen.

    Auch abends um sieben noch, an einer U-Bahn-Station, gibt Vitalij sein Bestes.

    "In der Kiewer Stadtverwaltung gibt es viele, die ihre Stellung dazu ausnutzen, sich zu bereichern. Gegen einige von ihnen läuft ein Strafverfahren, gegen manche sogar zwei, drei oder vier. Und trotzdem arbeiten sie weiter, als ob nichts gewesen wäre."

    Der 34-Jährige, der das Boxen nach mehreren Verletzungen aufgab, meint es ernst mit der Politik. Er kandidiert nicht nur für den Bürgermeistersessel, sondern auch für das Parlament. Dafür hat er sich der kleinen Partei Pora angeschlossen, die aus einer Bürgerbewegung entstand. Sie unterstützt zwar grundsätzlich Präsident Viktor Juschtschenko, fordert aber mehr demokratische Reformen.

    Korruption ist für Vitalij Klitschko die Wurzel aller Übel. Sie sei der Grund für die niedrigen Gehälter in der Ukraine und die hohen Preise.

    "Heute wir haben eine verrückte Situation. Keiner will am Tisch landen bei einem hungrigen Chirurgen. Chirurg bekommt 100 Dollar pro Monat. Und die Preise – ich bitte sie, gehen sie in den Markt und versuchen sie etwas zu kaufen – ist zweimal teurer als in Deutschland. Die Wohnung in Kiew zu kaufen, ist die Preise viel teurer als in Berlin, als in Hamburg."

    Beim Reden wirkt Klitschko ein bisschen steif. Die meisten Stimmen gewinnt er anders – durchs Autogramm-Geben. Vor allem junge Damen drängen sich nach seinen Auftritten um den Star. Meistens dauert es eine Stunde, bis der Boxer sich zu seinem schwarzen Jeep durchgekämpft hat.

    Jemand scheint wirklich Angst zu haben vor Klitschkos Feldzug gegen die Korruption. Gefälschte Flugblätter von ihm sind im Umlauf. Eine alte Kirche in Kiew wurde von oben bis unten mit Parolen beschmiert, die ihn angeblich von seiner Partei stammen.

    Diese schwarze PR, wie man in der Ukraine sagt, zeigt Wirkung. Viele glauben dem Boxer nicht. Auch der 26-jährige Programmierer Andrij Schewtschuk nicht, der den Abend mit Freunden in einer U-Bahn-Passage verbringt.

    "Vitalij Klitschko ist ein Held der Ukraine, keine Frage. Aber er soll sich aus der Politik raushalten. Er will nur Macht haben, genauso wie alle andern. Klitschko sollte seinen guten Namen nicht aufs Spiel setzen."

    Die Gerüchte, dass er als Bürgermeister nur sein Geschäfte absichern will, weist der Boxer weit von sich. Auch die Diskothek, die ihm viele Kiewer zuschreiben, gehöre ihm nicht.

    "Arena-Bar, das gehört meinem Freund. Er hat mich gefragt, das ist eine Sportbar, kann er meine Bilder benutzen. Selbstverständlich habe ich ihm meine Bilder gegeben. Wissen Sie was: Wir sind sehr populär. Wenn werde ich einfach zufällig in eine Baustelle sein, die nächste Tag die Baustelle und die Gebäude gehört dann mir – solche Gerüchte! Ich habe keine Geschäfte in der Ukraine."

    Trotz der üblen Nachrede: Die Chancen, dass Klitschko tatsächlich Bürgermeister wird, stehen nicht schlecht. Die Umfragen sehen ihn bei etwa 20 Prozent der Stimmen – auf Platz zwei, nur knapp hinter dem Amtsinhaber.