Dienstag, 16. April 2024

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Starkregen in Westdeutschland
Wie ist das Jahrhundert-Ereignis entstanden?

Soviel Regen innerhalb von 48 Stunden wie zuletzt im Westen Deutschlands fällt laut Deutschem Wetterdienst nur alle 100 Jahre. Grundlage dafür ist eine für Starkregen berüchtigte Wetterlage, die eigentlich selten ist - aber häufiger wird. Und der Klimawandel? Hat auch seine Finger im Spiel.

Von Volker Mrasek | 15.07.2021
Mehrere Autos stecken nach Starkregen auf einer überfluteten Straße fest. Der Bach Vicht war über die Ufer getreten, das Gelände war überschwemmt.
Das Unwetter hat vor allem in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz vielerorts Hochwasser und schwäre Schäden hinterlassen (picture alliance/dpa/dmp Press | Ralf Roeger)
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Was haben wir da erlebt?

Auf jeden Fall war es ein äußerst seltenes Ereignis. Beim Deutschen Wetterdienst hat man die gemessenen enormen Regenmengen ad hoc mit historischen Zeitreihen verglichen und getwittert: Es war ein Unwetter mit einer Wiederkehrzeit von mehr als 100 Jahren (bezogen auf die Regenmengen innerhalb von 48 Stunden). Das bedeutet: Statistisch und im Vergleich zur Wetterhistorie hat man solche Niederschläge also nur einmal alle 100 Jahre oder sogar noch etwas seltener.
Der Ortskern von Gelsdorf (Kreis Ahrweiler)ist nach dem Starkregen überflutet. Tief Bernd bringt Regen über Eifel und Hunsrück, die Hochwassergefahr steigt.
Forscher zu Unwetter-Katastrophe - "Risiko für solche Ereignisse eigentlich für jeden Standort in Deutschland"
Das Risiko für Ereignisse wie das aktuelle Unwetter werde im Zuge des Klimawandels zunehmen, sagte Jürgen Jensen vom Institut Wasser und Umwelt im Dlf.
In Rheinbach bei Bonn sind fast 160 Liter pro Quadratmeter gefallen, im Kölner Stadtteil Stammheim 154 Liter, in Sistig in der Eifel etwa 145 Liter - und das innerhalb von 24 Stunden. Wobei die höchsten Mengen laut Wetterdienst sogar in noch kürzerer Zeit niedergeprasselt sind.
Wie ist es zu dieser extremen Wettersituation gekommen?
Hier sind drei Komponenten zusammen gekommen: Erstens gab es sehr feuchte Luftmassen über Westdeutschland, zweitens ein sehr träges Tief, das sich kaum von der Stelle bewegt hat und drittens so genannte "Konvektion". Sie ist typisch für diese Jahreszeit: Warme Luft steigt auf, und wenn sie zugleich sehr feucht ist, fällt als Folge dieser Hebung Niederschlag.
Diese feucht-warme Luft ist aus dem Mittelmeerraum herangeführt worden. Und trotz der milden Temperaturen, die derzeit herrschen, ist kein Wolkenwasser in der Atmosphäre verdunstet, was normalerweise passiert. Ein Meteorologe des Deutschen Wetterdienstes sagte: Die Wetterschicht sei praktisch bis zur Dachkante feucht gewesen, bis in Höhen von zehn Kilometern, da habe einfach nichts verdunsten können.
Das auf der Stelle tretende Tief kam zustande durch eine Wetterlage, die dafür berüchtigt ist, dass sie Starkregen bringt. Diese Wetterlage nennt sich "Tief Mitteleuropa". Normalerweise würde dieses Tief mit der Westwindströmung vom Atlantik recht schnell nach Osten weitergetrieben - aber über Skandinavien saß ein ortsfestes stabiles Hochdruckgebiet und blockierte diese Strömung, so dass sich das Tief kaum von der Stelle bewegte
Wie häufig ist so eine Wetterlage?
Im Prinzip ist sie nicht so häufig. Aber offenbar nimmt sie zu - es gibt dazu eine Auswertung des Deutschen Wetterdienstes vor wenigen Jahren. Demnach kam das Tief Mitteleuropa früher, also um 1950 herum, acht bis zehnmal im Jahr vor, heute aber zehn bis zwölfmal (Daten aus dem Jahr 2011). Die Untersuchung zeigt: Das Risiko für ein solches Unwetter ist gestiegen.
Mit dem Tief Mitteleuropa stehen außerdem in Verbindung:
  • Das "Jahrhundert-Hochwasser" an der Elbe 2002 *
  • Die Extremniederschläge in Münster 2014
  • Die Sturzbäche, die 2016 Verwüstungen in Simbach am Inn anrichteten und im baden-württembergischen Braunsbach
Welchen Anteil hat der Klimawandel?
Der Klimawandel spielt definitiv eine Rolle. Allein dadurch, dass eine wärmere Atmosphäre in der Lage ist, mehr Wasser aufzunehmen - und auch wieder auszuschütten in Form stärkerer Niederschläge. Es steht natürlich auch die Vermutung im Raum, dass der Klimawandel der Grund sein könnte, dass wir das Tief Mitteleuropa inzwischen häufiger erleben. Das ist aber unklar, es fehlen die wissenschaftlichen Belege.
Was man aber sagen kann: Nicht nur die Wetterlagen verändern sich in ihrer Häufigkeit, sondern auch der Jetstream am Oberrand der Troposphäre, also der Wetterschicht - der starke Höhenwind, der Flüge von Westen nach Osten beschleunigt - er strömt um die ganze Nordhalbkugel, in großen Schleifen. In diesen Schleifen sitzen die Hoch- und Tiefdruckgebiete. Es gibt Beobachtungen, dass sich der Jetstream verlangsamt und weniger von der Stelle bewegt - wie eine Ziehharmonika, die sich nicht mehr bewegt. Wenn die Schleifen unverändert bleiben, bleiben auch die Hoch- und Tiefdruckgebiete stehen. Das ist eine spannende Forschungsfrage: Steckt dahinter die globale Erwärmung?
Die mit einer Drohne gefertigte Aufnahme zeigt die Verwüstungen die das Hochwasser der Ahr in dem Eifel-Ort angerichtet hat. 
Hochwasserkompetenzzentrum: Nie in überflutete Bereiche gehen
Auf keinen Fall in die überfluteten Bereiche hineingehen, mahnt Jutta Lenz, stellvertretende Geschäftsführerin vom deutschlandweit agierenden Hochwasserkompetenzzentrum. Die Wassermassen würden von vielen Menschen einfach unterschätzt – und das könne tödlich sein.
* Im Beitrag wurde eine Jahreszahl-Angabe korrigiert.