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Starre Ablehnung der etablierten Kunst

Kapitalistischer Realismus – unter diesem Begriff fassten vier Künstler um Gerhard Richter 1963 ihr Schaffen zusammen. Ziel war es, den von Konsum geprägten Kapitalismus der 50er- und 60er-Jahre ironisch zu entlarven. Die Düsseldorfer Kunsthalle widmet dieser Stilrichtung nun eine Ausstellung – indem sie eine frühere Schau rekonstruiert.

Von Georg Imdahl | 23.07.2013
    Fluxus nannte sich eine Strömung in den frühen 60er-Jahren, die Kunst, Realität und Leben ineinanderfließen ließ. So auch bei einem heute berühmten Festival in der Kunstakademie Düsseldorf im Februar 1963. Professoren, Galeristen, Sammler und nicht zuletzt die Studenten waren gefesselt von den neuen Ausdrucksformen wie Happening, Performance und Aktionskunst. Einige junge Maler im Publikum griffen die Impulse dieses "Festum Fluxorum Fluxus" begierig auf und münzten sie sofort in eigene Ideen um. Daraus entstand im Oktober 1963 ein denkwürdiger Auftritt zweier Künstler im Möbelhaus Berges in der Düsseldorfer Altstadt. "Leben mit Pop. Eine Demonstration des Kapitalistischen Realismus", nannten Konrad Lueg und Gerhard Richter ihre Performance in dem Möbelkaufhaus, mit der sie auf ihre Weise Kunst und Leben deckungsgleich machten.

    Im Obergeschoss durchquerte man ein "Wartezimmer" mit Zeitungen, einigen wenigen Gemälden der beiden Künstler sowie lebensgroßen Figuren aus Pappmaché etwa des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy. Dahinter hatten Lueg und Richter ein gutbürgerliches "Wohnzimmer" eingerichtet, in dem sie Couch, Sessel und Beistelltischchen auf flachen Sockeln platzierten und einen Fernseher mit der "Tagesschau" laufen ließen. Das Duo machte es sich in dem Wohnzimmer bequem und stellte sich somit selbst aus. Vierzehn Tage lang öffnete sich nachmittags die ungewöhnliche Ausstellung. Deren Einladungskarte war mit einem Luftballon nebst Gebrauchsanweisung versehen: "1. Aufblasen! 2. Platzen lassen! Geräusch beachten! Pop." Ein eigener Programmpunkt bestand in einer Künstlerführung durch die einzelnen Abteilungen des Kaufhauses. Am Ende war die Schau alles andere als ein Blockbuster. Sie zählte kaum mehr als 150 Besucher – und hat sich doch als Meilenstein der westdeutschen Kunstgeschichte und der Selbstfindung einer deutschen Pop-Art behauptet.

    In einer lohnenswerten Ausstellung rekonstruiert die Kunsthalle Düsseldorf nun die Geschichte jener Schau im "Haus der Möbel". Das Schlagwort vom "Kapitalistischen Realismus" lässt sich von der Biografie des Malers Gerhard Richter herleiten. Der gebürtige Dresdner war aus der DDR ins Rheinland gekommen und hatte den sozialistischen Realismus noch eigenhändig praktiziert.

    Anhand privater Briefe, Zeitungsartikel sowie wandgroßer Fotografien geht die Ausstellung der Vorgeschichte des "Kapitalistischen Realismus" und seinem kurzen Fortleben nach. Die ironische Vokabel wurde von den Künstlern 1966 bei einer Ausstellung in der Hannoveraner Galerie H zum letzten Mal verwendet. Ursprünglich verdankte sie sich einer kleinen Schau in einer leerstehenden Düsseldorfer Metzgerei im Mai 1963. An ihr waren neben Lueg und Richter auch Sigmar Polke und Manfred Kuttner beteiligt. Auf der Einladung ist auch von "imperialistischem" Kapitalismus die Rede, von "Antikunst", "Neuem Vulgarismus" und "Junk Culture". Auch diese Schau hatte kein Massenpublikum angezogen. Eine klar umrissene Kunstrichtung oder eine Künstlergruppe bezeichnet der "Kapitalistische Realismus" nicht. Er war offenbar eine spontane Wortschöpfung.

    Die Rekonstruktion einer Ausstellung wie jene in der Kunsthalle braucht Ideen. Plausibel ist es fraglos, die Archivalien durch Bilder der vier Maler thematisch zu ergänzen, die den grassierenden Konsum des Wirtschaftswunders widerspiegeln. Doch allein die Versicherungskosten für die Werke eines Gerhard Richter hätten die Möglichkeiten der Kunsthalle bei weitem überstiegen. So verzichtet man, gut begründet, auf Originale. Stattdessen aber hängen nun maßstabsgetreue Fotografien der Gemälde an den Wänden. Das ist sicherlich die denkbar langweiligste Lösung dieses Problems und eine vertane Chance für die Kunsthalle, kuratorischen Einfallsreichtum zu demonstrieren.