Hütet euch vor den Alten - denn sie haben nichts mehr zu verlieren. So donnerte einst Walter Jens, und die Darmstädter Akademie für Sprache und Dichtung folgte ihm jetzt mit ihrer alljährlichen Tagung. Ist das vermeintliche Privileg der Jugend, die Rebellion, durch die Generationen gewandert und nun bei den Alten angekommen? Ein wenig Trost gab es vom ältesten Teilnehmer, dem 95-jährigen Schriftsteller Hans Keilson:
Keilson: " Ich glaube, dass die Radikalität nicht etwas ist, das man mit dem Alter verbinden muss. Im Gegenteil, ich frage mich: wer im Alter radikal ist, der war es auch schon früher."
Doch trotz dieser Versicherung zog sich die These, Alte seien radikaler als andere durch den ersten Tag dieser Tagung. Es gab auch sachliche Analysen, etwa von Margarete Mitscherlich. Sie fragte sich, was denn die Radikalität alter Frauen von denen der Männer unterscheide - sie richte sich mehr nach innen und sei dem eigenen Leben zugewandt, so meinte sie. Aber der Philosoph Odo Marquard war für grundsätzliche Erkenntnisse zuständig und verteilte sie auch reichlich. So ist das hohe Lebensalter seiner Meinung nach eben keine Zeit der Abspannung und der verklärten Rückschau, sozusagen ein Abschnitt der Verwaltung dessen, was in einem Leben erreicht und erarbeitet wurde, sondern im Gegenteil eine besonders theoriefreudige und offene Zeit:
Marquard: " Man kann ungehemmt merken und reden und schreiben und dabei das eigene Taktbedürfnis einschläfern und dadurch zuweilen schamlos offen sein. Auch das radikalisiert die Theoriefähigkeit des Alters. Meine Mitmenschen nämlich, denen ich das zumute, brauchen dafür jetzt keine kommunikativen Nehmerqualitäten mehr, sondern nur noch ein wenig Geduld - denn binnen kurzem sind sie mich los. "
Der Altersdurchschnitt des Podiums überschritt locker die achtzig und hätte jünger nicht sein dürfen. Gut gelaunt, originell, voll schöner Formulierungen und Einsichten präsentierten sich die Teilnehmer. Natürlich kamen auch Gebrechen und körperliche Misslichkeiten zur Sprache. Odo Marquard beklagte den Verlust von Illusionen und natürlich der Zukunft, Margarete Mitscherlich sprach darüber, wie sie in ihren Träumen immer unbeschwert laufe und spazieren gehe - was ihr in der Realität nicht mehr möglich ist. Doch trotz alledem ging es vor allem um die Vorteile, die ein hohes Lebensalter mit sich bringen kann. Der schwedische Schriftsteller Lars Gustafsson beschrieb einige von ihnen:
Gustafsson: " Ist man, ähnlich wie der Verfasser dieser Zeilen, Poet und verfügt man über mindestens einen schönen Anzug und das Vermögen einen Schritt so symmetrisch wie möglich zu binden, so wird man irgendwann zwischen sechzig und siebzig sozusagen automatisch eine Kulturpersönlichkeit. "
Auch neue Wörter hatte Gustafsson nach Darmstadt mitgebracht. Er sprach freundlich von Revoltiergreisen und einer Schandmaulkompetenz, die die älteren Mitbürger auszeichne. Wer sich noch an zynische Begriffe wie Rentnerschwemme, sozialverträgliches Frühableben oder andere Beleidigungen und Diffamieren der älteren Generation erinnerte, erlebte hier eine Gegenveranstaltung der besonderen Art. Humorvoll, abgeklärt, so zornig wie weise unterhielten die Redner ihr Publikum. Es war nicht nur eine Freude, ihnen zu lauschen. Es wurde auch deutlich, dass Radikalität nicht notwendig eine politische Position bezeichnet. Ebensogut kann es eine Lebenseinstellung sein. Mut und durchaus auch undiplomatische Offenheit gehören dazu, und vor allem die Gewissheit, wenn es um die Wahrheit geht, auf niemanden mehr Rücksicht nehmen zu müssen.
Keilson: " Ich glaube, dass die Radikalität nicht etwas ist, das man mit dem Alter verbinden muss. Im Gegenteil, ich frage mich: wer im Alter radikal ist, der war es auch schon früher."
Doch trotz dieser Versicherung zog sich die These, Alte seien radikaler als andere durch den ersten Tag dieser Tagung. Es gab auch sachliche Analysen, etwa von Margarete Mitscherlich. Sie fragte sich, was denn die Radikalität alter Frauen von denen der Männer unterscheide - sie richte sich mehr nach innen und sei dem eigenen Leben zugewandt, so meinte sie. Aber der Philosoph Odo Marquard war für grundsätzliche Erkenntnisse zuständig und verteilte sie auch reichlich. So ist das hohe Lebensalter seiner Meinung nach eben keine Zeit der Abspannung und der verklärten Rückschau, sozusagen ein Abschnitt der Verwaltung dessen, was in einem Leben erreicht und erarbeitet wurde, sondern im Gegenteil eine besonders theoriefreudige und offene Zeit:
Marquard: " Man kann ungehemmt merken und reden und schreiben und dabei das eigene Taktbedürfnis einschläfern und dadurch zuweilen schamlos offen sein. Auch das radikalisiert die Theoriefähigkeit des Alters. Meine Mitmenschen nämlich, denen ich das zumute, brauchen dafür jetzt keine kommunikativen Nehmerqualitäten mehr, sondern nur noch ein wenig Geduld - denn binnen kurzem sind sie mich los. "
Der Altersdurchschnitt des Podiums überschritt locker die achtzig und hätte jünger nicht sein dürfen. Gut gelaunt, originell, voll schöner Formulierungen und Einsichten präsentierten sich die Teilnehmer. Natürlich kamen auch Gebrechen und körperliche Misslichkeiten zur Sprache. Odo Marquard beklagte den Verlust von Illusionen und natürlich der Zukunft, Margarete Mitscherlich sprach darüber, wie sie in ihren Träumen immer unbeschwert laufe und spazieren gehe - was ihr in der Realität nicht mehr möglich ist. Doch trotz alledem ging es vor allem um die Vorteile, die ein hohes Lebensalter mit sich bringen kann. Der schwedische Schriftsteller Lars Gustafsson beschrieb einige von ihnen:
Gustafsson: " Ist man, ähnlich wie der Verfasser dieser Zeilen, Poet und verfügt man über mindestens einen schönen Anzug und das Vermögen einen Schritt so symmetrisch wie möglich zu binden, so wird man irgendwann zwischen sechzig und siebzig sozusagen automatisch eine Kulturpersönlichkeit. "
Auch neue Wörter hatte Gustafsson nach Darmstadt mitgebracht. Er sprach freundlich von Revoltiergreisen und einer Schandmaulkompetenz, die die älteren Mitbürger auszeichne. Wer sich noch an zynische Begriffe wie Rentnerschwemme, sozialverträgliches Frühableben oder andere Beleidigungen und Diffamieren der älteren Generation erinnerte, erlebte hier eine Gegenveranstaltung der besonderen Art. Humorvoll, abgeklärt, so zornig wie weise unterhielten die Redner ihr Publikum. Es war nicht nur eine Freude, ihnen zu lauschen. Es wurde auch deutlich, dass Radikalität nicht notwendig eine politische Position bezeichnet. Ebensogut kann es eine Lebenseinstellung sein. Mut und durchaus auch undiplomatische Offenheit gehören dazu, und vor allem die Gewissheit, wenn es um die Wahrheit geht, auf niemanden mehr Rücksicht nehmen zu müssen.