Dienstag, 19. März 2024

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Start bei Türkeirundfahrt
Radprofi Fabio Jakobsen nach schwerem Sturz zurück

Im August 2020 schwebte Fabio Jakobsen noch in Lebensgefahr. Ein Fahrfehler eines Rivalen und Sicherheitsmängel des Veranstalters der Polenrundfahrt führten zu einem schweren Sturz. Bei der Türkeirundfahrt ist Jakobsen jetzt wieder am Start. Der Sturz hat auch den Radsport verändert.

Vom Tom Mustroph | 11.04.2021
Der Gesamtführende nach der 1.Etappe Fabio Jakobsen NED - Deceuninck-Quick Step wartet auf dem Startschuss zur 2.Etappe der 46. Volta ao Algarve 2020 - Querformat - quer - horizontal - Event/Veranstaltung: 46. Volta ao Algarve - 2.Etappe//Stage 2: Sagres Vila do Bispo to Alto de Foia Monchique 183.9 km - Ort/Location: alto de Foia - Region: Algarve - Land/Country: Portugal - Europe - Europa - Datum/Date: 20.02.2020 *** The overall leader after the 1 stage Fabio Jakobsen NED Deceuninck Quick Step is waiting for the starting signal for the 2 stage of the 46 Volta ao Algarve 2020 Landscape horizontal Event Event Event 46 Volta ao Algarve 2 Stage Stage 2 Sagres Vila do Bispo to Alto de Foia Monchique 183 9 km Place Location alto de Foia Region Algarve Land Country Portugal Europe Europe Date Date 20 02 2020 Stiehl Photography
Fabio Jakobsen bei der Volta ao Algarve 2020 (IMAGO / Mario Stiehl)
Der Sturz vom 5. August 2020 wird vielen Beobachtern noch lange in Erinnerung bleiben: Räder krachen ineinander, Eisengitter fliegen weg. Mehrere Radprofis bleiben verletzt am Boden liegen. Über allem kreist der Hubschrauber des Fernsehens.
All das ereignet sich bei der 1. Etappe der Polenrundfahrt. Der niederländische Radprofi Dylan Groenewegen drängt im Zielsprint seinen Konkurrenten Fabio Jakobsen auf der linken Seite bei Tempo 80 in die Gitter. Zwei Mal fährt er den Ellenbogen aus. Jakobsen stürzt. Die Gitter halten der Kollision nicht stand. Jakobsen wird schwer verletzt und im Krankenhaus in ein künstliches Koma versetzt. Es war der schwerste Sturz der Radsportsaison 2020.
Sturzverursacher Groenewegen ist im Interview des niederländischen Fernsehens fassungslos über das Geschehene. "Man konnte sofort sehen, dass es sehr schlimm ist. Dann siehst du seine Teamkollegen um ihn herum stehen. Nun kann man nur auf das Beste hoffen. Ich möchte mich für meinen Fehler entschuldigen", sagt Groenewegen unter Tränen und gibt sein eigenes Fehlverhalten auch unumwunden zu: "Es ist ein Sprint, und es war mein Fehler, die Linie zu verlassen. Nun hoffe ich für Fabios schnelle Genesung."

Neuer Kiefer von Chirurgen gebaut

Schnell verläuft die Genesung nicht. Zu diesem Zeitpunkt ist nicht einmal sicher, ob Jakobsen überhaupt überleben wird. Wegen der Schwere der Verletzungen wird Jakobsen mehrere Tage in ein künstliches Koma versetzt. Eine ganze Serie von Operationen folgt. Sein Gesicht muss mit 130 Stichen geflickt werden. Der niederländische Radprofi verliert fast alle Zähne. Ein neuer Kiefer wird von den Chirurgen gebaut.
"Als ich aus Polen zurückkam, konnte ich mich nicht mal selbst duschen. Meine Freundin half mir. Sie half mir beim Essen. Ich war im Grunde behindert", blickt Jakobsen aus heutiger Sicht auf diese Zeit zurück. Jetzt, bei seinem Comeback in den Wettkampfsport, acht Monate nach dem Horrorsturz, macht der 24-Jährige einen ausgesprochen munteren Eindruck. Er ist bei der Pressekonferenz vor der Türkeirundfahrt sogar zu Scherzen aufgelegt.
Sturz bei der Polenrundfahrt 2020.
"Die UCI kannte die Kritik"
Der schwere Sturz auf der Polen-Rundfahrt war vorhersehbar, sagte Ex-Radprofi Fabian Wegmann im Dlf. Die Gefährlichkeit der Zielankunft werde seit Jahren kritisiert.
"Ich denke, ich habe mich nicht so viel verändert. Ich bin immer noch der alte Fabio, außer dass mir ein paar Zähne fehlen", sagt er, und präsentiert den Kameras seinen weiterhin zahnlosen Unterkiefer. Im Sommer sollen die Implantante eingesetzt werden. Und Jakobsen fährt bereits Rennen.
Vor dem Neustart ist er aufgeregt: "Ich fühle mich jetzt ein wenig wie ein Jungprofi. Ich höre in meinen Körper hinein, ich höre auf die sportlichen Leiter und versuche, jedem so gut zu helfen, wie mir das möglich ist. Aber anstatt viel zu helfen, muss ich vielleicht froh sein, es überhaupt bis ins Ziel zu schaffen."
Bei der am Sonntag begonnenen Türkeirundfahrt soll er zunächst als Anfahrer für Mark Cavendish agieren. Der Sprinter blickt aber auch schon weiter in die Zukunft. "Im Kopf habe ich bereits Rennen gewonnen. Jetzt muss nur noch mein Körper mitmachen." Sollte er das Gefühl haben, sogar selbst wieder um Siege mitfahren zu können, will er seine Ansprüche beim Team anmelden.

Bergab führende Zielankunft verboten

Jakobsens schlimmer Sturz hat den Radsport verändert. Dylan Groenewegen erhielt eine neunmonatige Sperre vom Weltradsportverband UCI. Er wird erst im Mai wieder Rennen bestreiten. Die riskante, weil bergab führende Zielankunft in Katowice wurde verboten.
Und die UCI erließ neue Sicherheitsregeln. Rennveranstalter müssen jetzt sicherere Absperrgitter aufstellen und die Tore für die Kilometermarkierungen jenseits der Absperrungen fixieren. Es gibt auch strengere Auflagen für Begleitfahrzeuge. Fabio Jakobsen begrüßt die Änderungen, die sein Sturz ausgelöst hat. "Wir betreiben einen Sport, in dem Unfälle geschehen können. Sie sollten nicht geschehen. Aber wenn die Sicherheitsmaßnahmen zu 100% stimmen, werden die Schäden für Fahrer oder Zuschauer geringer sein. Deshalb sind die neuen Sicherheitsregeln keine schlechte Sache."
Aber auch in die neuen, stabileren Gitter will der wieder hergestellte Radprofi lieber nicht fliegen, sagte er noch.