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Start-Up-Szene in Molenbeek
Das Silicon Valley von Brüssel

Programmieren, Netzwerken, Unternehmen gründen: Im Brüssler Viertel Molenbeek will ein Start-Up Jugendlichen Perspektiven bieten - und deradikalisierend wirken. Ein willkommenes Projekt. Denn der Stadtteil will gegen sein Image als Hort des Terrorismus ankämpfen.

Von Mathias von Lieben | 23.02.2018
    Eine Panoramaansicht des Stadtviertels Molenbeek in der belgischen Stadt Brüssel, hinter einer Straße ist ein Kanal und dahinter Häuser zu sehen.
    Weltweite Bekannheit errang Molenbeek im Zusammenhang mit Terrorismus - es gilt als Keimzelle des belgischen Islamismus (imago / Marie Van den Meersschaut)
    Im Backsteingebäude eines Hinterhofs im Brüsseler Stadtteil Molenbeek steht Ibrahim Ouassari und zwirbelt an seinem langen, schwarzen Bart. Er schaut auf einen Schriftzug: "Change the future", hat jemand inmitten bunter Graffitis an die Wand gesprayt. Er grinst:
    "Unser Ziel ist es, hier in Brüssel ein Silicon Valley zu erschaffen - ein Silicon Valley ohne die schlechten Eigenschaften."
    Kurse und Austausch für Jugendliche
    Ibrahim Ouassari ist einer der Gründer des Start-Ups Molengeek in Molenbeek, dem Stadtteil im Brüsseler Norden, dem auch zwei Jahre nach den Paris-Attentaten noch das Stigma anhaftet, ein Hort des Terrorismus zu sein. Hier haben die Hauptverdächtigen des Anschlags gewohnt - hier sind sie aufgewachsen. Molengeek soll das Bild zurecht rücken, sagt Ouassari.
    "Wir wissen um das Potenzial der jungen Menschen in Molenbeek. Wir kennen Molenbeek wirklich gut. Das ist kein Ort des Terrorismus."
    Molengeek ist ein gemeinnütziges Tech-Start-Up, das Ouassari Ende 2015 gemeinsam mit der Französin Julie Foulon gegründet hat. Arbeitslose Jugendliche zwischen 18 und 25 Jahren können hier in sechsmonatigen Kursen das Programmieren lernen. Molengeek ist aber auch ein Co-Working-Space, der jedem offen steht - zum Austausch, Netzwerken, Gründen oder einfach, um das kostenlose Internet zu nutzen. Wer schon eine konkrete Projektidee mitbringt, dem wird ein Mentor zugeteilt, der Kontakte zur Wirtschaft knüpft. Ouassari unterstützt mit seiner Expertise - genau wie Julie Foulon.
    "Molengeek hat die Mission, neue Technologien und Unternehmensgründungen für jeden möglich und zugänglich machen."
    Viele Arbeitslose
    Mehr Vielfalt in die privilegierte Start-Up-Szene bringen und jungen Menschen digitale Kompetenzen vermitteln. Keiner könnte für dieses Ziel geeigneter sein als Ibrahim Ouassari. 39 Jahre alt, in Molenbeek geboren, die Eltern: Marokkaner. Mit 13 hat er die Schule abgebrochen, sich dann mit Gelegenheitsjobs durchgeschlagen: Gärtner, Elektriker, Mechaniker, Friseur, Busfahrer. Mit 16 wird er Sozialarbeiter in Molenbeek, arbeitet zwei Jahre lang mit Jugendlichen aus dem Viertel. Dann lernt er Programmieren, gründet eine eigene Firma: Flyer entwerfen, kleine Websites erstellen. Es läuft. Heute hat er insgesamt vier Firmen.
    Sein Weg kann Vorbild sein für Jugendliche - nicht nur, aber besonders für die aus Molenbeek. Jeder Vierte lebt hier von staatlicher Hilfe, die Arbeitslosenquote liegt bei knapp 40 Prozent. Der Anteil von Muslimen liegt - weit über dem Brüsseler Durchschnitt - bei ebenfalls rund 40 Prozent.
    "Möglichkeiten aufzeigen und Perspektiven bieten - das ist sehr gut, um den Menschen Alternativen zur Radikalisierung zu bieten. Also: Anti-Radikalisierung ist ein Neben-Aspekt unseres Projektes. Aber wir können nicht sagen: Okay, jetzt deradikalisieren wir zehn Menschen. Hier geht es um Unternehmensgründung, Programmieren, Training. Aber wenn Deradikalisierung damit einhergeht, ist das gut für Molenbeek."
    Zum Beispiel für Elouas, 22 Jahre alt, in Molenbeek geboren und aufgewachsen, die Eltern Marokkaner. Seinen vollen Namen möchte er nicht im Radio hören. Er hat die sechsmonatige Programmier-Schulung bei Molengeek absolviert und entwickelt mit zwei Freunden jetzt "Molen-IT". Eine Software, mit der lokale Unternehmen ihre eigenen Internetseiten erstellen können. Er ist begeistert:
    "Es ist eine tolle Gemeinschaft, alle Leute hier sind freundlich. Es ist perfekt."
    Gegen das Image als Hort des Terrors
    Gleich nebenan sitzt Amelia. Sie ist 26 Jahre alt und kommt aus Brüssel-Kokelberg, ein Nachbar-Stadtteil Molenbeeks. Sie hat eine App für Veranstaltungen in Brüssel entwickelt. Ein weiteres Beispiel für ein Molenbeek fernab von islamistischem Terror.
    "Ich finde, dass Molenbeek nicht mit solchen Begriffen verbunden werden sollte. Vielleicht ist es ja an der Zeit, mit diesem Klischee jetzt mal zu brechen."
    Der Erfolg von Molengeek hat sich mittlerweile rumgesprochen. Kommunalpolitiker und der belgische Vizepremier sind schon vorbeigekommen. Auch Google und Samsung, die als Partner in Molengeek investieren, wollen vom positiven Image profitieren - ohne inhaltlichen Einfluss zu nehmen, versichern die Molengeek-Gründer. In der italienischen Stadt Padua haben kürzlich drei junge Gründer mit EU-Unterstützung eine Tech-Station nach Molengeek-Vorbild gestartet. Damit hätten sie nie gerechnet, sagt Gründer Ibrahim Ouassari.
    "Wir haben immer davon geträumt, mit Molengeek ein europäisches oder sogar weltweites Netzwerk aufzubauen. Jetzt ist der Traum wahr geworden und das ist wirklich großartig."