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Startbereit in Reihe Zwei

Sie sind die nächste Politikergeneration, schon voll im Körperkontakt mit den Bürgern, dennoch lernfähig und machtbewusst genug, um geduldig die Politkarriere-Leiter zu erklimmen. Sie kommen aus relativ jungen Parteien wie Die Linke und noch-etablierten wie der FDP: Sie sind um die 30 und kümmern sich um Probleme jener, die oft viel älter - und ratloser sind als sie.

Von Gudula Geuther, Wolfgang Labuhn und Jacqueline Boysen |
    "Jetzt ist Schluss, ich will arbeiten, ich will mein Geld selbst verdienen ... "

    Sprechstunde im Wahlkreisbüro der Linken in Dresden Neustadt. Steffen Seiffert, Anfang fünfzig, hat sich schon oft hilfesuchend an die Bundestagsabgeordnete Katja Kipping gewandt. Katja sei die einzige, die ihm helfe, meint der Langzeitarbeitslose.

    "Auch bei Kosten der Unterkunft warst Du schon mal so weit zu sagen, nee, es reicht jetzt. Und der beständige Kampf hat sich am Ende gelohnt, jetzt werden die Kosten der Unterkunft erstmal gezahlt ... Seiffert: Ausziehen tu ich maximal wenn mich einer erschlagen hat, oder der Leichenwagen, kein anderer! ... Katja: Jetzt wird's wieder drastisch, ich finde es ja immer bewundernswert, der Einsatz mit dem um's eigene Recht gekämpft wird. Aber ich würd' gern für mich noch mal die Fakten klar ziehen ... "

    Arbeit kann die dreißigjährige Profi-Politikerin auch nicht beschaffen, aber zuhören und Rat geben.

    "Da muss es vielleicht doch mal einen Moment geben, wo man sich mal zurücknimmt."

    Die stellvertretende Parteivorsitzende der Linken lächelt. Dass sie sich charmant zurücknehmen kann, ist eine unter Politikern seltene Tugend. Der rasante Aufstieg der jungen, zierlichen Genossin belegt, dass sie sich durchaus auch durchzusetzen weiß. Vor zehn Jahren trat Katja Kipping in die damalige PDS ein, bereits ein Jahr später, mit Anfang zwanzig saß sie für ihre Partei im Stadtrat von Dresden und im Sächsischen Landtag.

    "Das fing halt in der Schule damit an irgendwie, dass ich gedacht habe, das ist mir halt nicht egal, ob's eine Schülerinnenvertretung gibt. Dann habe ich eine Umweltgruppe gegründet, und habe gesagt, ich will, dass die Elbwiesen erhalten bleiben. So und als ich dann mit Studieren angefangen hab, wollt ich halt verhindern, dass die Gelder gekürzt werden für die Universitäten. Und die Leitidee dahinter war, Politik beeinflusst mein eignes Leben und das will ich nicht einfach irgendwie anderen überlassen, das zu gestalten."

    Während sie auf kommunaler und Landesebene "gestalterisch" tätig war, bewies sie Ambition und Talent gleichermaßen. Dass die Jungpolitikerin innerhalb ihrer überalterten Partei eine steile Karriere machte, hinderte sie nicht, gleichzeitig ein Studium der Slawistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften erfolgreich abzuschließen. Katja Kipping fällt auf: nicht nur wegen der roten Haare, ihrer talkshowtauglichen Eloquenz oder der kleinen Provokationen, die sie bisweilen fallen lässt - jüngst warf sie in der Debatte um die Bundespräsidentenwahl die Frage auf, ob das Amt nicht verzichtbar sei, das Staatsoberhaupt diene doch ohnehin nur als eine Art Königsersatz. Frech vertritt Katja Kipping auch Positionen, die sich nicht mit dem populistischen Mainstream ihrer inzwischen zur Linken mutierten Partei decken. Vor allem scheut sich die Stellvertreterin von Oskar Lafontaine und Lothar Bisky nicht, den Patriarchen der Partei bisweilen zu widersprechen. Nach außen gibt sie sich loyal und verteidigt die Altherrenriege, der angeblich die Erfolge der Linken im Westen zu verdanken seien. Zugleich aber gibt Katja Kipping zu bedenken, dass die Partei sich nicht auf Protest beschränken und sich nicht auf einzelne Führungspersonen fixieren sollte.

    "Das zeigt ja auch die Geschichte der PDS, dass es ganz problematisch ist und zwar sowohl für die Partei, als auch dann für die Person, es ist ja auch eine Zumutung der Person gegenüber, wenn man sagt, wenn du jetzt irgendwann beschließt, aufzuhören, ist diese Partei am Ende. Und das ist gegenüber der Person eine Grausamkeit, aber es ist auch für die Partei problematisch."

    Die Partei der Dunkelroten hielt sich lange Zeit zugute, dass sie auch jungen Genossen den Aufstieg in höhere Parteiämter erlaube. Für das Image der Partei als "Neue Linke" ist es indes nicht eben förderlich, dass die Mitglieder im Durchschnitt deutlich älter als 60 Jahre sind - ein Umstand, an dem auch die Neueintritte in Westdeutschland wenig ändern.

    "Insofern ist natürlich jeder junge Mensch, der zur Partei stößt und sich hier engagieren möchte, herzlich willkommen und wird natürlich auch ein bisschen mit Samthandschuhen angefasst."

    … so Diana Golze. Wie Katja Kipping sitzt auch die dreiunddreißigjährige Sozialpädagogin aus dem brandenburgischen Schwedt für die Linke im Deutschen Bundestag. Die zweifache Mutter ist derzeit Vorsitzende der Kinderkommission des Parlaments. Als solche spürt sie einerseits eine demonstrative Offenheit gegenüber dem politischen Nachwuchs, andererseits erlebt sie, wie ihre frisch erworbene Fachkompetenz auf die Altväterlichkeit lang gedienter Mandatsträger prallt.

    "Weil eben jeder meint, das ist ein Thema, wo er mitreden kann, da sind wir alle Profis. Wo ich mir nie anmaßen würde bei der Energiepolitik, da bin ich jetzt Profi, nur weil ich zuhause einen Stromanschluss habe."

    Diana Golze war in den 90er Jahren im Jugendverband der PDS, der AG Junge Genossinnen, engagiert, ohne Parteimitglied zu sein, demonstrierte gegen die Verschärfung von Asyl- und Abtreibungsrecht. Die Frage, ob sie nicht im Landesvorstand mitarbeiten wolle, beantwortete sie mit dem Eintritt in die Partei, die sie dann auch gleich zur Stellvertretenden Landesvorsitzenden wählte, obgleich Frau Golze wenig Erfahrung oder etwa eine familiäre Prägung mitbrachte.

    "Ich komm aus einem Drei-Weiber-Haushalt, Oma, Mama, icke, und parteilich überhaupt nicht organisiert. Es kam wirklich nur durch eine Freundin, die mich mitgeschleppt hat."

    In der alten PDS konnte sich eine ganze Generation von jungen Politikern aus Ost und West profilieren. Ihr Aufstieg war nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass Jüngere oder auch Westdeutsche in den Nachwendejahren als unbelastet gelten konnten. Figuren wie der einstige Parteipunk Angela Marquardt sollten aller Welt beweisen, dass die Nachfolgerin der Staatspartei SED sich zu einer wahrhaft "Bunten Truppe" gemausert hatte. Angela Marquardt ist inzwischen Mitglied der SPD und im Büro der sozialdemokratischen Vizevorsitzenden Andrea Nahles beschäftigt. Die meisten der einstigen Nachwuchskader der PDS halten auch in der Linken sichere Posten in der zweiten Reihe - ganz jung aber sind sie heute nicht mehr. Doch solange das Führungstrio Lafontaine, Gysi und Bisky die wichtigsten Ämter in der Partei blockiert, wird sich das Personaltableau auf Bundesebene nicht verändern - da mögen noch so erfolgreiche und begabte Nachwuchskräfte mit den Füßen scharren. Kein Wunder also, dass Diana Golze ihre Zukunft langfristig ebenso wenig in der Bundespolitik sieht, wie ihre achtundzwanzigjährige Kollegin Nele Hirsch, seit 2005 in der Partei und im Bundestag

    "Das ging wirklich sehr sehr schnell, das ist richtig, also gucken auch manche Leute ein bisschen mit großen Augen, so wie kann den so was sein? Aber ich sehe das ja auch teilweise hier im Bundestag, wenn wirklich Leute da schon jahrelang in diesem Parlament sitzen, das finde ich, ist 'ne schwierige Perspektive und das würde ich mir auf jeden Fall für meine Zukunft so nicht vorstellen."

    Die Junglinke stammt aus Stuttgart und hat in Jena studiert. So kam sie als Vertreterin des Studentenflügels ihrer Partei über die Thüringer Landesliste in den Bundestag. Damit hat sie wie selbstverständlich einen Weg quer durch die Republik und direkt in die Bundespolitik genommen, wie er bei den anderen Parteien eher ungewöhnlich ist. Das gilt auch für die Bündnis/Grünen und für die FDP.

    Ein höchst erfolgreicher Landespolitiker, der in seiner Partei schon mit 30 Jahren Spitzenämter bekleidete, den es aber dennoch nicht in die Bundespolitik zieht - das ist Philipp Rösler, immer noch erst 35 Jahre alt, FDP-Landesvorsitzender in Niedersachsen, FDP-Fraktionschef im Landtag von Hannover und Mitglied des FDP-Präsidiums. Sein politisches Engagement reicht bis in die Schulzeit zurück. Auf dem Gymnasium in Hannover erlebte er, wie der Vertrauenslehrer seiner Schule für die Republikaner in den Stadtrat gewählt wurde:

    "Das fand ich gefährlich, wenn jemand sympathisch ist für die Republikaner, also aus meiner Sicht einer rechtsradikalen Partei, dann Stimmung macht und die im Prinzip pro-fähig macht. Dann habe ich gesagt, den möchte ich loswerden, bin dann in die Schülervertretung gegangen, hab mich da rein wählen lassen und wollte den Lehrer dann loswerden. Es ist leider nie gelungen, der Lehrer ist bis zu seiner Pension an der Schule geblieben, hat dann später die Partei gewechselt. Aber so habe ich meine ersten Erfahrungen gemacht, wie schwierig es manchmal ist, in der Demokratie das ein oder andere Ziel durchzusetzen."

    Die Erfahrung schreckte Rösler nicht ab, im Gegenteil. Über ein anderes Mitglied der Schülervertretung entstand zufällig ein Kontakt zu den Jungliberalen.

    "Zeitgleich hatte ich in der Schule die Zeit der Aufklärung im Deutsch- und Geschichtsunterricht, jeweils aus anderen Blickwinkeln und das fand ich faszinierend. Keine Autorität per se einfach nur zu akzeptieren, sondern Mut zu haben, alles in Frage zu stellen, zu hinterfragen. Und weil das ganz gut gepasst hat, die Philosophie der Aufklärung mit dem Liberalismus und auch die Leute, da bin ich dabei geblieben."

    Die vergleichsweise kleine FDP gilt generell als gute Adresse für steile Karrieren in der deutschen Politik, doch selbst bei den Liberalen stieg in den zurückliegenden Jahren kaum jemand so rasch auf wie Philip Rösler, der nach dem Abitur zunächst Sanitätsoffizier bei der Bundeswehr wurde. Parallel dazu übernahm der ausgebildete Augenarzt 1994 den Kreisvorsitz der Jungliberalen in Hannover und zwei Jahre später den niedersächsischen Landesvorsitz, zog in den FDP-Landesvorstand ein und wurde im Jahre 2000 ehrenamtlicher FDP-Generalsekretär. Als die rot-grüne Landesregierung 2003 abgewählt und von der schwarz-gelben Koalition unter Christian Wulff abgelöst wurde, errang Rösler nicht nur ein Landtagsmandat, sondern wurde mit 30 Jahren auch einstimmig zum FDP-Fraktionsvorsitzenden gewählt - eine beispiellose Karriere für den gebürtigen Vietnamesen, der 1973 im Alter von neun Monaten als Waisenkind von einer deutschen Familie adoptiert worden war. Seinen politischen Aufstieg bezeichnet er als Verkettung günstiger Umstände:

    "Ich glaub politische Karrieren kann man in der Form so nicht planen, man kann ja nicht auf Bundeskanzler lernen, das gibt's nicht, merkt man auch manchmal, aber wir hatten einfach auch Glück, also mit "wir" meine ich meine Generation. 1982 hat die FDP viele Mitglieder verloren, ein Viertel, manche sagen sogar ein Drittel, der Mitglieder sind weggegangen. Entweder innere Emigration oder aber zu anderen Parteien. Das heißt, die Generation der jetzt 45 bis vielleicht 65-Jährigen, die fehlt ein bisschen und das war dann für die nachfolgende Generation eine Chance, weil dort niemand war, dann relativ früh an Verantwortung zu kommen. Aber als ich da angefangen hatte, da war mir das überhaupt nicht so bekannt, insofern hat sich das durch Zufall ergeben."

    Daheim in Niedersachsen will Rösler nicht nur für den Erhalt der Koalition mit der CDU arbeiten:

    "Gleichzeitig ist mein Ziel weiter auch ein bisschen daran mitzuarbeiten, dass das Ansehen der FDP noch besser wird. Vielleicht auch durch den ein oder anderen programmatischen Ansatz, der manchmal vergessen schien. Vielleicht auch grade weil damals ´82 nicht nur viele Mitglieder unsere Partei verlassen haben, sondern auch ein Stück weit eine Geisteshaltung, die uns an der ein oder anderen Stelle fehlt."

    Weiter möchte Rösler öffentlich nicht gehen, doch jeder weiß, was gemeint ist. Rösler hält seine Partei für programmatisch zu eingeengt, zu sehr festgelegt auf neoliberale Wirtschaftspolitik. Dafür steht die jetzige Parteiführung unter Guido Westerwelle, doch Kritik an ihm vermeidet Rösler. Untypisch genug in der deutschen Politik - es war nach seinem eigenen Eindruck ein Aufstieg ohne Widerstände, ohne Neider, ohne Intrigen:

    "Überraschenderweise vielleicht in der Politik überhaupt nie. Es gab eigentlich immer nur Förderer, die gesagt haben: jawohl, den wollen wir fördern. Vielleicht auch die Generation, das weiß ich nicht genau. Aber es gab eigentlich immer nur Unterstützung. Bei vielen Dingen, wenn man mal Fehler gemacht hat, dann wurden die mit getragen, die wurden nie gegen einen verwandt. Also es war schon sehr familiär, dass man sich im wahrsten Sinne des Wortes seinen Nachwuchs heran gezogen hat und den Eindruck hatte ich und ich versuche den an meine nachfolgende Generation weiter zu geben."

    Und noch etwas ist ungewöhnlich an diesem Jungstar der Liberalen. Schon vor Jahren gab er seine Absicht bekannt, im Alter von 45 Jahren aus der aktiven Politik auszuscheiden - und will daran auch jetzt noch festhalten, da ihm - auch in der Bundespolitik - alle Türen offenstehen:

    "Ich glaube, Politik verändert die Menschen. Man wird zwangsläufig misstrauischer und ich glaube, man muss dann den richtigen Zeitpunkt für den Absprung finden. Und wenn man den selbst für sich klar festlegt, definiert, auch nach außen trägt, dann ist man quasi gezwungen, dann auch mit 45 wirklich zu gehen, aber dann hat man eben auch die Freiheit zu sagen: ok, ich mach das eine Zeit lang, aber muss das nicht mein Leben lang machen und hat dann aber auch noch genügend Zeit etwas neues anzufangen."

    Bei den Bündnisgrünen können sich Karrieren manchmal noch schneller entwickeln als bei der FDP. Auf dem Parteitag im Dezember 2006 entschloss sich die 27-jährige Julia Seeliger spontan zur Kandidatur in den Parteirat. Die frühere Schatzmeisterin der Grünen Jugend, bis dahin auch den Delegierten weitgehend unbekannt, schimpfte auf "die Funktionäre" in der Partei. Mit betont jugendlich-unkonformistischer Kleidung und Sprache warb sie für ein Gegenmodell in der etablierten Parteienlandschaft; und die Basis demonstrierte nach den disziplinierteren Regierungsjahren mit ihrer Wahl ihre Macht und ihren Wunsch nach frischem Wind. - Ohne dass die Kandidatin auf eine Hausmacht, ohne dass sie auf die Unterstützung eines Parteiflügels oder auch nur der Grünen Jugend hätte bauen können. Das sind die Unberechenbarkeiten der Grünen, typisch sind solche Quereinstiege auch bei ihnen nicht. Allerdings sagt auch Malte Spitz, 24, seit eineinhalb Jahren jüngstes Mitglied des Bundesvorstandes: Hausmacht muss man sich zumindest nicht unbedingt im Ortsverband erarbeiten:

    "Ich glaube, das ist bei den Grünen deutlich weniger als bei den anderen Parteien, diese Frage der Regionalmacht und dieses quasi Vor-Ort-Hocharbeiten; und dann wird man Kreisvorsitzender und dann wird man irgendwie Bezirksvorsitzender und so. - Das ist bei den Grünen glaube ich nicht so."

    Stattdessen hat Malte Spitz früh angefangen, sich über Themen zu vernetzen. Der heutige Volkswirtschaftsstudent gründete vor sechs Jahren das Fachforum Wirtschaft der Grünen Jugend, arbeitete früh auch in Bundesarbeitsgemeinschaften der Partei mit, als politischer Geschäftsführer der Jugendorganisation leitete er deren Wahlkampfteam für die Bundestagswahl. Die Arbeit an einzelnen Themen habe ihn auch in die Politik gebracht, sagt er, ein echtes Schlüsselerlebnis aber fällt ihm nicht ein. In einem Austauschjahr in den USA 2001 habe ihn der Wahlkampf zwischen George Bush und Al Gore politisiert, sagt er.

    "Auch dann kurz anschließend war also nachdem ich hier war der 11. September, da quasi schon ein Engagement, sich auch parteipolitisch einzubringen. Aber natürlich kulturell waren die Grünen schon vorher da, durch meine Mutter zum Teil und durch Mithilfe in Wahlkämpfen schon, Plakatieren, Zeitungen verteilen. Dass man dort eine gewisse Nähe zu den Grünen hatte war dort, und letztendlich war dann der Sprung zur Grünen Jugend auch nicht mehr so groß."

    Dem landläufigen Bild von den rebellischen Jungen, die aus Protest gegen das konservative Elternhaus zur Partei kamen, entspricht auch der frisch gekürte Hamburger Justizsenator Till Steffen nicht. Er selbst kannte die Grünen gut - von seiner Schwester. Durch sie kam er von der Auseinandersetzung über die Startbahn West zu Themen wie Abfallwirtschaft und kommunaler Verkehrspolitik. Die Entscheidung für gerade diese politische Richtung sei keine Rebellion gewesen, so der 35-Jährige über seine Generation der aktuellen politischen Hoffnungsträger der Partei, im Gegenteil.

    "Es war seinerzeit tatsächlich so, dass einfach die Grünen die dominierende Partei unter Abiturienten gewesen sind. Also, das war das Naheliegendste für ganz viele. Und das kann man auch nicht so interpretieren, dass das ein Protest gegen den Mainstream gewesen ist."

    Allerdings sei damit ein Generationenkonflikt ganz eigener Art entstanden.

    "Wo dann manchmal manch junges Parteimitglied in die Versammlung kommt und seine eigenen Lehrer trifft, das war damals die typische Situation."

    Lehrer, die dem Nachwuchs dann auch noch vorwarfen, in dem Alter seien sie selbst auf der Straße gewesen, statt in Gremien herumzusitzen. Weitere Folge dieses asymmetrischen Generationenkonfliktes war, dass es lange Zeit keine Jugendorganisation gab - die Grünen seien insgesamt so jung, dass das nicht nötig sei, so damals die vorherrschende Meinung bei den Älteren. Die Netzwerke der wirklich jungen, die damals im Widerspruch entstanden seien, so Till Steffen, trügen heute noch. Einige von ihnen, sagt Steffen in gewissem Widerspruch zu Malte Spitz, hätten seitdem kontinuierlich in den verschiedenen Ebenen der Partei gearbeitet. In seinem, Steffens, Fall - neben Jurastudium und Kanzleigründung - in der Wiesbadener Stadtverordnetenversammlung, im ersten Bundesvorstand der Grünen Jugend, im Landesvorstand der GAL Hamburg, der Eimsbütteler Bezirksversammlung als Fraktionsvorsitzender und schließlich in der Hamburger Bürgerschaft.

    "Was es natürlich schon gibt ist, dass es mittlerweile bei den Grünen eine ganze Menge jüngerer Leute gibt, die eben mit Anfang oder Mitte dreißig schon auf deutlich über zehn Jahre Erfahrung verweisen können in den verschiedensten Gremien der Partei. Und das ist auch das, was ja manche dann verblüfft, dass dann Leute mit Mitte dreißig in der Lage sind, tatsächlich zum Beispiel den ganzen Instrumentenkasten des Parlaments professionell zu bedienen."

    Auf seine Jugend wird Till Steffen denn auch nicht mehr angesprochen, zumindest nicht innerhalb der Grünen. Dafür wäre er auch als eines der ganz wenigen Regierungsmitglieder, die die Partei stellt, zu etabliert. Beim 24-jährigen Malte Spitz ist das naturgemäß anders. Einen besonderen Bonus für Jugend habe er nicht festgestellt.

    "Ich glaube die Partei macht das auch nicht aus irgendeinem Pseudo-Gedanken: Wir brauchen ein junges Gesicht. Dafür sind die Jobs dann doch zu wichtig, um sie einfach so abzugeben. Aber ich glaube, es ist schon ein Verständnis dafür da, zu schauen, dass man einen gesunden Mix hat."

    Die persönlichen Pläne und Perspektiven derer, die es erst einmal auf die hohen Ebenen geschafft haben, sind naturgemäß so unterschiedlich wie die Personen selbst. Till Steffen weist Fragen nach der Zukunft erstaunt zurück - schließlich hat er gerade erst angefangen mit der Regierungsarbeit. Die Unabhängigkeit allerdings, im Zweifel in die eigene Kanzlei zurückkehren zu können, ist ihm wichtig. Auch Malte Spitz will erst einmal weitermachen. Mit der Politik, dort freut er sich auf die nächsten Wahlkämpfe, außerdem will er Parteipolitik und Bürgerbewegungen besser vernetzen. Und - soweit er dazu kommt - studiert er weiter. Und dann? Vielleicht Politik.

    "Aber vielleicht sage ich auch, ich geh zu einer NGO und sage: Ich möchte jetzt Mal diese Diskussion um die Zukunft der Bürgerrechte im digitalen Zeitalter mal jetzt nicht aus einer Parteisicht, sondern viel breiter aus einer zivilgesellschaftlichen Sicht voranbringen. Also da kann ich mir dann schon vieles vorstellen."

    Vorbilder gibt es auch dafür. Wie Anna Lührmann, Jahrgang 1983 und 2002 mit 19 Jahren jüngste Bundestagsabgeordnete aller Zeiten. Sie überraschte vor wenigen Wochen damit, dass sie ihre frühren Ankündigungen tatsächlich wahr machen will. Nach zwei Legislaturperioden, mit dann 26, verlässt sie das Parlament. Mit ihrem Mann, der Botschafter wird und der gerade geborenen Tochter geht sie in den Sudan, vielleicht zu EU oder UN. Sie wolle kein Apparatschik werden, sagt sie im Interview. Leute, die sie kennen, zweifeln daran, dass das ein endgültiger Abschied ist. Mit dem Blick auf eigene Erfahrungen sagt denn auch der parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion der Linken, Ulrich Maurer, über solcherlei Ansagen - in allen Parteien:

    "Das schaun' mer mal. Das hab ich damals auch gesagt und manchmal kommt das anders."