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Archiv


Stasi-Dokument zu Renate Stecher

Im Frühjahr 2011 hatte es eine heftige öffentliche Debatte gegeben um die Aufnahme von Sprint-Olympiasiegerin Renate Stecher in die "Hall of Fame" des deutschen Sports gegeben, da sie unter Dopingverdacht steht. Nun belegen Dokumente aus dem Weinheimer Dopingarchiv, dass einerseits die Athletin Injektionen mit Dopingmitteln erhalten hat, sie andererseits aber Doping-Spritzen abgelehnt hat.

Von Thomas Purschke | 28.08.2011
    1973 lief Renate Stecher als erste Frau der Welt die 100 Meter unter elf Sekunden. Mit drei Gold, zwei Silber und einer Bronzemedaille ist sie die erfolgreichste deutsche Leichtathletin bei Olympischen Spielen. Ihre Berufung in die Ruhmeshalle des deutschen Sports war umstritten, weil bekannt war, dass sie in das staatliche Dopingsystem der DDR eingebunden war. DDR-Dopingopfer protestierten mit Hinweis darauf, dass sie strikt schweige und nichts zur Aufklärung des Doping-Missbrauchs beitrage.
    Einen Beleg für das frühe Dopen von Stecher, die damals noch ihren Mädchennamen Meißner trug, ist aus 1970 in Akten der DDR-Staatssicherheit erhalten. Darin teilte der führende DDR-Sportmediziner Manfred Höppner zum Anabolika-Einsatz in der Leichtathletik dem Geheimdienst unter anderem mit:

    " ... So hat zum Beispiel Dr. Johannes Roth in der Bezirksleitung Gera der SED zum Ausdruck gebracht, dass die Renate Meissner und Wolfgang Nordwig nicht solche Leistungen vollbracht hätten, wenn nicht er diese mit den entsprechenden Medikamenten versorgt hätte. .."

    Inzwischen sind die Recherchen weitergegangen. Seit dem Frühjahr hat der Dopingopferhilfe-Verein in Weinheim bei Heidelberg ein Archiv mit Doping-Dokumenten und Akten zu Doping-Prozessen eingerichtet. Dort fand sich jetzt ein Bericht des 2000 vom Landgericht Berlin verurteilten DDR-Sportmediziners Manfred Höppner, der unter dem Decknamen "IM Technik" Mitarbeiter der Staatssicherheit war. Daraus geht hervor, dass die Erfolgsläuferin Renate Stecher mit Dopingkuren versorgt worden war. Danach aber hat sie diese medizinische Manipulation für sich abgelehnt.
    Wörtlich notierte ein Stasi-Offizier aus der für die Überwachung des Sports zuständigen Hauptabteilung XX/3 am 11. September 1974 nach einem sogenannten Treffgespräch mit Höppner zu Problemen des verabreichten Dopings mit Testosteron:

    "Eine generelle Ablehnung gab es seitens der Sprungtrainer, welche jedoch nach den eingetretenen Misserfolgen diesen Schritt bereuten. Einige andere Sportler zogen nach den ersten Injektionen ihre weitere Bereitschaft zurück, da anfangs negative Auswirkungen im Trainingsprozess eintraten, jedoch nur vorübergehender Natur waren, wie sich später herausstellte. Unter anderem lehnten ab Klaus, Pollack, Drehmel und Stecher mit dem Bemerken eventuell in Vorbereitung auf die nächsten Olympischen Sommerspiele ihre Bereitschaft zu geben, um noch einmal Gold zu holen."

    Bei den im Stasi-Dokument genannten Leichtathleten handelt es sich neben Renate Stecher um den Weitsprung-Europameister von 1971, Max Klauß, um den Dreispringer und Olympiazweiten von München 72, Jörg Drehmel, sowie um die Mehrkämpferin Burglinde Pollak, die Olympia-Bronze in München 1972 und in Montreal 1976 gewann.

    Für die Würdigung des Falles Stecher ist damit der Beweis geführt, dass die Athletin Doping-Mitmacherin, zumindest Doping-Mitwisserin war. Denn offensichtlich hat sie die Nebenwirkungen der Anabolikaeinnahme an sich selbst wahrgenommen. Danach hat sie sich dann gegen die Verabreichung von Testosteron-Spritzen ausgesprochen, - was dem DDR-Geheimdienst nicht verborgen blieb. Ob dem Wunsch von Renate Stecher und den anderen entsprochen wurde, künftig auf Doping-Spritzen verzichten zu können, ist nicht dokumentiert.

    Bei den Europameisterschaften 1974 in Rom gab es zum ersten Mal bei einem internationalen großen Wettkampf offizielle Dopingkontrollen. Anabolika wie das DDR-Präparat "Oral Turinabol" vom Volkseigenen Betrieb Jenapharm konnten zum damaligen Zeitpunkt labortechnisch nachgewiesen werden, nicht jedoch die zu injizierenden Testosteron-Verbindungen. Deshalb setzten laut Stasiakten die DDR-Sportmediziner bereits vor Rom 1974 bei den Athletinnen und Athleten verstärkt Testosteron-Kuren ein.

    Bis heute hat Renate Stecher, die im Studentenwerk Thüringen in der Ausbildungsförderung tätig ist, öffentlich nicht Stellung bezogen, wie das staatlich organisierte und überwachte Doping in der DDR damals konkret bei ihr ablief. Auf neuerliche Anfrage des Deutschlandfunks erklärte die 61-jährige Stecher nur, dass ihr Ehemann schwer erkrankt sei und sie sich jetzt nicht zu ihrer sportlichen Vergangenheit äußern werde.

    Der Sporthistoriker Giselher Spitzer von der Humboldt-Universität Berlin prüft derzeit im Auftrag der Deutschen Sporthilfe die neuen Mitglieder der "Hall of Fame" auf Stasi-und Dopingverstrickungen. Sollten nachträglich erhebliche Belastungen ans Tageslicht kommen, so werde die Aufnahme in die Sport-Ruhmeshalle wieder rückgängig gemacht, hat die Sporthilfe in einer Erklärung versichert.

    Mit Blick auf Neu-Mitglied Renate Stecher hat der Historiker Spitzer in einem Deutschlandfunk-Beitrag im vergangenen Monat Juli geäußert, die Öffentlichkeit habe das Recht auf eine klare Stellungnahme. "Bei allem Verständnis für die schwierige Situation der Rekordläuferin" stellt er die Frage: "Kann Renate Stecher der Jugend und dem Anti-Dopingkampf Impulse geben, oder versteckt sie sich gleichsam gegenüber den Belegen über ihre unter Anabolika-Einwirkung erzielten Leistungen?"