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Stasis Akten

Nun scheint es dem Westen an den Kragen, pardon, an den Spitzel zu gehen. Siehe Wallraff. Dank der Dateien aus den USA mit dem romantischen Namen Rosenholz könnten alle aufgeklärt werden. Und am 17.9. vor dem Berliner Verwaltungsgericht will Marianne Birthler, oberste Hüterin dieser Akten, die Herausgabe der von Altbundeskanzler Kohl für Journalisten und die Forschung durchsetzen. Bis auf die privaten Stellen. Wie es bei Personen der Zeitgeschichte einmal vorgesehen war - von Kohl per Gericht aber verhindert worden ist. Im letzten Jahr. Diese Akten scheinen als unsichtbarer Bumerang durch die Medienlandschaft zu schwirren, ab und zu wird einer getroffen und schreit empört auf.(Gerade hieß der eine Günter Wallraff. Der will absolut kein DDR-Spion oder Spitzel gewesen sein. Was er auch nicht war. Der DDR-Geheimdienst hatte eben ein flexibleres und differenzierteres Tätigkeitsfeld als Geheimdienste üblicherweise. Vor allem lockten sie nicht vorrangig mit Geld. Die Stasi hat Wallraff auch keinen Text geschrieben. Seine Leistung bleibt. Doch der Autor spürt, dass ihm das MfS das beschädigte, worauf er großen Wert legt: seine absolute Unabhängigkeit. Die verliert man im Kontakt mit einem Netz, das nur eines herstellen will: Abhängigkeiten. (Um die Feinde besser zu zerstören und die Freunde besser an sich zu binden.) Das Lagerdenken, er räumt es heute selbstkritisch ein. Hätte er publizistisch verwertbares Material von einem verwendet, der nach CIA gerochen hätte?)Was Geheimdienste in die Öffentlichkeit lancieren ist nicht immer falsch, nur der Falschheit verdächtig, weil solche Dienste nicht für eine Öffentlichkeit gemacht sind. Und damit sind wir beim Problem, bevor alle abwinken und das ganze Thema einfach als ekelhaft und anstrengend abtun. Es reicht nicht, über ständig neue Überprüfungen auf Stasitätigkeit zu diskutieren. In bestimm ten öffentlichen Bereichen sollten die in Ost wie West selbstverständlich sein, natürlich im Laufe der Zeit mit abnehmender Tendenz. Eine geheime Prüfung löst nicht das Erbe der DDR auf. Wichtiger als die Zahl der echten und so genannten IM im Westen ist, was sie wirklich an Beeinflussungen durch die DDR zuließen, an was sie passiv oder aktiv mitwirkten. Wie viel DDR steckte denn drin in der Bundesrepublik? Über das berichten die schriftlichen Hinterlassenschaften des Ministeriums für Staatssicherheit präzise. In aller Verschwommenheit und gleichzeitiger Exaktheit eines bürokratisch durchregelten Fanatismus. Diese Akten sind das eigentliche Weltkulturerbe der DDR, 200 km (soviel sind erhalten) handeln vom Kampf für die Kontrolle über die ablaufende Zeit. In den Akten offenbaren sich die Innereien einer Macht, die sie nie preisgeben wollten. Sowjetische Systemvorgabe und preußisch durchherrschter Verschriftungsgeist. (Kein anderer Geheimdienst der Welt hat ein Wortwerk fabriziert, das mit diesen Akten wirklich zu vergleichen wäre.) Das DDR-System entblößt sich zu einer ihm eigenen ganz spezifischen Kenntlichkeit. (Kein Nachbau einer Mauer oder der Grenzanlagen kann die erreichen. Auch Kontrollen barscher Grenzer (eine ABM-Maßnahme für arbeitslose Schauspieler) können nicht jene Ungewissheit erzeugen, die zu Zeiten der Block-Konfrontation an so einer Grenze herrschte.) Der Urteilsspruch vor dem Verwaltungsgericht entscheidet nun, ob eine großzügige Offenlegung ein Auswerten dieser Akten ermöglicht. Oder ob sich Marianne Birthler so lange im Geflecht der verschärften Zugangsregeln zurechtfinden muss, bis sie nur noch eine Hüterin wieder verschlossener Archive ist. (Ihre Angst, etwas falsch zu machen, produziert jetzt schon Unsicherheiten. )Und Helmut Kohl setzt sich für eine Überprüfung Westdeutscher anhand der Rosenholz-Dateien ein. Und will seine Akten weiter strikt unter Verschluss halten. Er will nicht begreifen, dass gerade die Details der Akten so öffentlich auswertbar wie nur irgend möglich bleiben müssen. Alles andere verlängert die Mysterien eines Systems, das über die DDR hinaus als Beispiel dienen kann. Offene und jeder Forschung zugänglichen Stasi-Akten als Weltkulturerbe im Interesse einer Diktaturprävention! Das sollte ein Helmut Kohl begreifen, bevor aus dem Kanzler der Einheit, der einer kleinkarierten Geheimniskrämerei wird.

Lutz Rathenow über die "Rosenholz"-Datei und ihre Auswirkungen |
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