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State Festival in Berlin
Gehackte Gesichter und erfasste Gefühle

Maschinen haben noch keine eigenen Gefühle. Allerdings sind technische Entwicklungen immer mehr in der Lage, menschliches Ausdrucksvermögen zu imitieren - um damit wiederum Einfluss auf die Emotionen von Nutzern zu nehmen. Beim State-Festival in Berlin zeigten Wissenschaftler, was möglich ist, und Künstler, wo die Gefahren liegen.

Von Christoph Reimann | 07.11.2016
    Arthur Elsenaars "Face Shift" auf der Medienkunstmesse Unpainted
    Das Werk "Face Shift" des Künstlers Arthur Elsenaars - hier auf der Medienkunstmesse Unpainted im Februar 2016 in München (DPA / Felix Hörhager)
    Auf der Bühne sitzt der Künstler Arthur Elsenaar. Sein Gesicht ist mit Elektroden zugeklebt, die an einen Computer angeschlossen sind. Erst passiert eine Weile lang nichts. Bis Perfect Paul die Kontrolle übernimmt.
    Elsenaars Augenbrauen zucken, verschieben sich in alle möglichen Richtungen, die Mundwinkel tanzen zur Musik. Was die kleinen Stromstöße mit dem Gesicht von Arthur Elsenaar anstellen, ist lustig, befremdlich und irgendwie nicht mehr menschlich. Die Maschine Perfect Paul hat sein Gesicht gehackt.
    "Wenn ich mein Gesicht von einem Computer statt von meinen Neuronen kontrollieren lasse, wird es plötzlich zu einer Erweiterung eines anderen, außerkörperlichen Systems, und es verhält sich wie dieses System. Man kann dann zum Beispiel sein Gesicht sehr hübsch animieren oder es mit Musik synchronisieren. Das würde man sonst, wenn überhaupt, nur mit viel Übung schaffen."
    Erklärt Arthur Elsenaar. Mit seiner Kunstperformance will der Niederländer zeigen, wo die Grenze zwischen Mensch und Maschine verläuft.
    "Deshalb habe ich diese digitale Persona Perfect Paul entworfen, die Menschen aus der Perspektive einer Maschine betrachtet und ihnen sagt: Hey, für mich seht ihr Menschen so aus."
    Brückenschlag zwischen Wissenschaft und Kreativiät
    Elsenaar ist einer der Teilnehmer des Berliner State-Festivals, das eine Brücke zwischen Wissenschaft und Kreativität schlagen will. Oberthema: die sentimentale Maschine. Vor allen Dingen einschüchternd cool sehen die Leute aus, die sich hier in einem alten Kühlhaus versammelt haben. Fast so, also spielten sie alle in Bands, nur ein bisschen studierter. Dass neben Wissenschaftlern aus unterschiedlichsten Disziplinen besonders Künstler eine Rolle spielen, kommt nicht von ungefähr, erklärt Daniela Silvestrin. Sie hat das Kunstprogramm zusammengestellt.
    "Es gibt ein schönes Zitat, was ich gerne verwende, von Marshall McLuhan, dem großen Medientheoretiker. Der hat gesagt: Künstler sind der Radar unserer Zeit oder die Antennen unserer Gesellschaft."
    Künstler beobachteten technische Entwicklungen mit einer besonderen Neugier und würden frühzeitig gesellschaftliche Veränderungen wahrnehmen, meint Silvestrin. Außerdem würden sie schnell Fragen aufwerfen "hinsichtlich möglicher kritischer Punkte oder vielleicht auch negativer Auswirkungen dieser Entwicklungen oder dieser Technologien, und wie sie sich in unserer Gesellschaft dann widerspiegeln, sobald sie dort auf breiterer Ebene angekommen sind."
    Gesichtserkennung ist zum Beispiel so ein Thema. Die Algorithmen sozialer Netzwerke markieren mittlerweile ganz automatisch die Gesichter auf unseren Fotos. Aber sie können auch Emotionen lesen, wissen also, ob wir gut gelaunt oder traurig sind, überrascht, verärgert und so weiter. Dafür greifen sie oft auf ein Konsens-Konzept aus der Emotionsforschung zurück: die sieben Basisemotionen des Psychologen Paul Ekman. Ruben van de Ven, einer der jüngsten Künstler auf dem State-Festival, möchte zeigen, dass das eine sehr reduktive Weise ist, um sich mit Gefühlen auseinanderzusetzen. Dafür hat er eine App entwickelt.
    "Die spielt man ein bisschen wie Guitar Hero. Nur dass Du das Spiel mit Deinem Gesicht steuerst. Wenn du die vorgegebene Emotion gut genug hinbekommst, kriegst Du dafür Punkte."
    Der Künstler als Korrektiv der Wissenschaft?
    Auch die App kennt nur die sieben Basisemotionen. Und es ist gar nicht so leicht, ein zu 100 Prozent überraschtes Gesicht zu machen, das die Handykamera auch als solches erkennt. Wer fleißig mit der App übt, wird immer besser im Vortäuschen, reduziert aber eben auch seine Ausdrucksmöglichkeiten auf die sieben Grundemotionen. Obwohl der Mensch doch eigentlich mehr zu bieten hätte. Eine große Gefahr, meint van de Ven:
    "Zum einen will ich mit der App unsere Fixierung auf die sieben Basisemotionen kritisieren. Denn im echten Leben kommen sie in dieser Reinform so gut wie nie vor. Wenn man aber nur diese misst, treten schnell Probleme auf. Besonders, wenn so eine Technik zum Beispiel bei Vorstellungsgesprächen eingesetzt wird. Da wird der Bewerber seinen Gesichtsausdruck an die Erkennungsmuster der Software anpassen. Aber das entspricht eben nicht der Art, wie wir uns eigentlich ausdrücken würden."
    Der Künstler als Vordenker und Korrektiv der Wissenschaft. Eine schöne Idee, die beim State-Festival tatsächlich aufzugehen scheint. Aber darüber hinaus? Fast schon beruhigend, dass die Künstliche Intelligenz bei all der Technologieversessenheit der Gegenwart noch in den Kinderschuhen steckt.