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Statement gegen die Wegwerfgesellschaft

Der Künstler und Kostümbildner Stephan Hann schneidert Hochglanz-Couture aus alten Müllsäcken oder Telefonbuchseiten. Eine Zusammenfassung seines kompletten Werks wird in einer Ausstellung im Karlsruher Museum beim Markt präsentiert.

Von Petra Haubner | 25.02.2013
    Wäre die Ausstellung ein Catwalk bei einem Fashion-Event in London, Paris oder New York, wäre die Musikauswahl für Stephan Hann relativ schnell klar.

    "Aber jetzt, wo wir hier so in der Ausstellung sitzen, fällt mir Tom Waits ein, so etwas rauchiges, verlebtes, ich glaube, das würde gut passen."

    Ein bisschen erinnert die Inszenierung der Kleidermodelle im Museum Beim Markt an einen Laufsteg, der einmal um die Ausstellungsräume herum führt. Alles ist weiß gestrichen – zurückhaltend und unauffällig. Gesichtslose Kleiderpuppen tragen die Hann’sche Recycling Couture, wie Mannequins bei einer Modeschau. Stephan Hann steht ruhig, fast schon schüchtern neben seinen opulenten Kleidern. Er verschwindet regelrecht hinter den Installationen. Anders als der Künstler, haben es seine Kleidermodelle nicht so mit Bescheidenheit. Tausende Tetrapackstückchen schmiegen sich wie Fischschuppen um eine Kleiderpuppe direkt am Eingang und ergeben ein schillerndes silbernes Abendkleid. Armeegeldbeutel dürfen sich als Mini-Kleid mit Sex-Appeal um einen Frauenkörper legen, statt in die Tasche eines Militärmantels. Tragbarkeit ist Stephan Hann nicht wichtig, es geht ihm um die Botschaft.

    "Ich möchte mit diesen Modeobjekten Momente festhalten, an Menschen erinnern, an Materialien erinnern, die eigentlich aus unserer Gesellschaft verschwinden. Ich möchte ein wenig die Zeit anhalten. "

    Die erste Frage, die sich stellt, während der Blick über den Ausstellungsraum schweift: Wo und wie sammelt dieser Mann den ganzen Müll, aus dem er dann solche Kleider schneidert?! Sektkorken, Tetrapacks, Alupapier, Zelluloid, Druckerpapier, alte Journale und Zeitschriften, Briefmarken. Es gibt nichts, womit Stephan Hann nicht arbeiten würde.

    "Wir sehen hier eine Jugendstilschleppe und sie ist besetzt mit Hunderten, mit Tausenden von Briefmarken. Und Briefmarken sind ja ein Material, das verschwindet, da wird viel darauf gedruckt. Dabei sind Briefmarken oft sehr schön gestaltet, gerade DDR-Briefmarken sind oft von bekannten Grafikern gestaltet worden und ich sehe mich in meiner Kunst als Bewahrer, als Bewahrer von Materialien."

    Die Briefmarken hat er auf einem Berliner Flohmarkt gefunden. Hann ist Nutznießer der Wegwerfgesellschaft. Angefangen hat er als Herrenschneider, heute schneidert er Couture aus Müll und Industriematerial. Das zweite Standbein des Modekünstlers sind Auftragsarbeiten, eine Zelluloid-Kollektion für die Berlinale, ein Kleid aus Hochglanzdrucken oder Champagnerkleider für eine Nobelmarke.

    Hann interessiert an einer Champagnerflasche weder der Inhalt noch der süffige Perlenkranz in der Sektflöte. Er schnappt sich lieber die Metallkappe des Korkens, die Champagnerliebhaber achtlos an die Seite werfen. Dem Metallkäppchen hat Stephan Hann eine ganze Kollektion gewidmet, die sich wie eine zartorange Rüstung um die Kleiderpuppen legt. Viel wichtiger ist dem Künstler aber die Tatsache, dass er dem Müll ein neues Gesicht gibt und persönliche Gedanken und Erlebnisse verarbeitet.

    "Wir stehen hier vor einem Modeobjekt, das Silberbird heißt. Das ist gearbeitet aus Blistern, aus Medikamentenverpackungen. Hier, die Menge der Tabletten, die wir hier sehen, ist der Tablettenkonsum einer Bekannten von mir, die im Rollstuhl sitzt, die das in drei Monaten aufgefuttert hat...""

    Man kann die Recycling-Klamotten einfach nur witzig oder schräg finden. Aber es steckt natürlich mehr dahinter, der Appell gegen die Wegwerfgesellschaft, Kritik am schnelllebigen Zeitgeist. Wir schmeißen die popelige Verschlusskapsel der Champagnerkorken oder die alte Plastiktüte einfach weg. Stephan Hann verarbeitet sie zu Handtaschen und Kleidern. Recycling-Couture? In seinen Stücken steckt nicht nur alter Industriemüll, sondern auch viele Stunden Arbeit, Handwerkskunst, eine Philosophie. Und vor allem das, was heute, im Gegensatz zu dem günstigen Zivilisationsabfall und Industrieprodukten teuer ist: Zeit.