Freitag, 29. März 2024

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Statistiker zur Maskenpflicht
Abschaffen wäre erheblich verfrüht

Mecklenburg-Vorpommern will die Maskenpflicht für den Einzelhandel zurücknehmen. Statistiker Reinhold Kosfeld rät davon ab. Das Beispiel Jena zeige, dass die Fallzahlen dort durch das Tragen von Masken um 23 Prozent abgenommen hätten. Er hält die Abschaffung zum jetzigen Zeitpunkt für verfrüht.

Reinhold Kosfeld im Gespräch mit Christiane Knoll | 06.07.2020
Mund- Nasen Masken aus Baumwolle werden an einem Verkaufsstand auf dem Wochenmarkt in der Innenstadt von Würzburg zum Verkauf angeboten.
In Jena habe das Tragen einer Maske zu einer prozentualen Abnahme der täglichen COVID-19-Wachstumsrate von 60 Prozent geführt, sagte der Statistiker Reinhold Kosfeld im Dlf. (imgao / Ralph Peters)
Helfen Masken gegen Corona? Eigentlich war die Frage in weiten Teilen der Gesellschaft geklärt. Doch mit den sinkende Infektionszahlen hat Mecklenburg-Vorpommern die Diskussion neu eröffnet. Dort will man die Maskenpflicht für den Einzelhandel zurücknehmen, wenn die Lage es erlaubt. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will weiter an ihr festhalten, um die erreichte Eindämmung von COVID-19 nicht zu gefährden. "Wo wir es dem Virus leicht machen, kann es wieder sehr schnell gehen", sagte Spahn im Dlf. Auch die Bundesregierung hat noch einmal klargestellt, dass sie wenig davon hält.
Aber was sagt die Wissenschaft? Reinhold Kosfeld, Professor für Statistik an der Universität Kassel, hat sich zusammen mit Timo Mitze von der Universität von Süddänemark die Wirkung von Masken in den letzten Monaten in Jena und anderen Orten angeschaut und die Daten statistisch ausgewertet. Für ihn kommen die Pläne zu früh. Er plädiert dafür, dass zum jetzigen Zeitpunkt die Maskenpflicht noch nicht aufgehoben wird.

Das Interview im voller Länge:
Knoll: Was halten Sie von den Plänen?
Kosfeld: Die Pläne sind aus unserer Sicht erheblich verfrüht. Wir haben durch verschiedene Maßnahmen, insbesondere auch durch die Einführung der Maskenpflicht, die Pandemie eindämmen können. Und die Erfolge der Pandemie wurden aus unserer Sicht auch aufs Spiel gesetzt. Wenn wir jetzt schon die Maskenpflicht aufheben würden.
Jena-Effekt ist besonders groß
Knoll: Sie haben sich die Zahlen in Jena und in anderen Orten in Deutschland vor und nach der Einführung der Maskenpflicht angeschaut und ein Diskussionspapier dazu veröffentlicht. Weitere Studien laufen. Was genau sehen Sie in den Daten?
Kosfeld: Wir haben im Prinzip drei Vergleiche vorgenommen. Einmal Jena. In Jena ist die Maskenpflicht am 6. April eingeführt worden, also vorzeitig - sehr viel früher als in anderen Bundesländern und den anderen Kreisen. Dort hat sich gezeigt, dass nach zehn Tagen etwa, immer im Vergleich zu einer Kontrollregionen, man findet ja kein zweites Jena, deshalb haben wir eine Kontrollregionen konstruiert, dass wir da einen Rückgang haben, um etwa 13 Prozent. Und nach 20 Tagen da beträgt der Rückgang etwa 23 Prozent. Also insgesamt könnte man sagen: In Jena hat das Ganze zu einer prozentualen Abnahme der täglichen Wachstumsrate von 60 Prozent geführt. Der Jena-Effekt ist besonders groß. Und da stellt sich die Frage, ist das jetzt spezifisch? Wir haben deshalb Vergleiche vorgenommen: Einführung der Maskenpflicht in anderen Städten. Da haben wir nicht so einem großen Effekt festgestellt. Aber die gesamte prozentuale tägliche Abnahme der Wachstumsrate beträgt über 35 Prozent. Im Vergleich zu Kreisen, also da lösen wir uns jetzt etwas, von den Städten, haben wir auch die Prozent eine prozentuale Abnahme der täglichen Wachstumsrate von knapp 20 Prozent festgestellt.
Gefälle zwischen Stadt und Land
Knoll: Jetzt waren die Masken ja überall die gleichen. Macht sie das nicht stutzig, dass sie da unterschiedliche Zahlen herausbekommen?
Kosfeld: Wir haben ja unterschiedliche Zahlen auch deshalb rausbekommen, weil zum Beispiel die Kontakthäufigkeit in Städten viel größer ist als zum Beispiel in Kreisen. Deshalb hatten wir von vornherein erwartet, dass also die Stärke der Effekte abnimmt, wenn wir uns sozusagen von der Stadt zum Land hinbewegen.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) besucht die Virologie der Universitätsklinik des Saarlandes und trägt dabei unter anderem einen Mundschutz.
Spahn (CDU): "Ich bin im Zweifel für die Vorsicht"Ist die Maskenpflicht mit sinkenden Infektionszahlen hinfällig? Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will weiter an ihr festhalten, um die erreichte Eindämmung von COVID-19 nicht zu gefährden. "Wo wir es dem Virus leicht machen, kann es wieder sehr schnell gehen", sagte er im Dlf.
Schild mit Hinweis zur Maskenpflicht in einem Supermarkt.
Kommentar: Richtig, Maskenpflicht infrage zu stellen
Wo kein Virus ist, da ist auch kein Notstand – und keine Berechtigung für eine Maskenpflicht, kommentiert Silke Hasselmann. Dass der Wirtschafts- und Gesundheitsminister von Mecklenburg-Vorpommern, Harry Glawe, ein Ende der Verpflichtung angestoßen hat, sei daher richtig und wichtig gewesen.
"Ankündigungseffekt" kann es in Jena nicht gewesen sein
Knoll: Könnte es sein, dass die Maske auch psychologisch ein Effekt spielte, der über diese Ziffern hinausgeht?
Kosfeld: Ja, das ist natürlich eine wichtige Frage. Wir hatten ja eine sehr starke Kampagne beispielsweise in Jena gehabt. Die Einführung der Maskenpflicht ist schon sehr früh angekündigt worden, also bereits Ende März. Da kann es natürlich sein, dass solche Ankündigungseffekte auch auftreten, dass dadurch eben auch sozusagen eine Änderung im Verhalten der Bevölkerung Auftritt, dass nicht direkt auf den Maskeneffekt zurückgeführt werden kann. Das steckt auch mit drin bei Jena. Da haben wir ja auch besonders starken Effekt gefunden. Aber beispielsweise allein der Ankündigungseffekt kann es nicht gewesen sein, denn wir haben ja eben auch für andere Kreise und Städte einen signifikanten Effekt festgestellt.
Maskenpflicht zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht aufheben
Knoll: Das heißt, ihre Empfehlung ist ganz klar Maskenpflicht beibehalten, selbst wenn die Zahlen so niedrig sind, wie sie es in Mecklenburg-Vorpommern im Moment ja auch tatsächlich sind.
Kosfeld: Das ist tatsächlich der Fall. Allerdings kann eine zweite Welle entstehen. Das weiß man nicht. Insgesamt ist die Maske oder das Maskentragen vielleicht ein klein wenig einschränkend. Aber es ist eine sehr kosteneffektive Maßnahme. Deshalb plädieren wir dafür, dass zum jetzigen Zeitpunkt auf jeden Fall die Maskenpflicht noch nicht aufgehoben wird.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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