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Statt Riesling künftig Chardonnay?

Die alte Regel, wonach Weinbau auf der Nordhalbkugel am 50. Breitengrad endet, ist Geschichte. Inzwischen wird Wein vom 59. Breitengrad an – das entspricht Helsinki - in Flaschen gefüllt. Der Klimawandel, die Erwärmung der Temperaturen zeigt erste Wirkung. Für die deutschen Winzer heißt das: Sie müssen sich auf neue Anbautechniken einstellen.

Von Uli Detsch |
    Weinlese bei 21 Grad - wärmer und rund zwei Wochen früher als in zurückliegenden Jahrzehnten. Erntehelfer klettern in kurzen Hosen die 60 steile Lage "Escherndorfer Lump" hinauf. Sie lesen Riesling- und Silvaner bei Horst Sauer, dem international erfolgreichsten Winzer in Franken. Horst Sauer gewinnt seit Jahren einen weltweiten Weißweinwettbewerb nach dem anderen. Die Klimaerwärmung kam ihm dabei zweifellos zu Hilfe. Horst Sauer grinst verschmitzt: mehr Sonne, mehr Wärme, mehr Geschmack. Bislang galt: Blätter weg vom Rebstock, damit Sonne an die Trauben kommt. Das war einmal:

    "Wenn sich dieses Wetter weiter verändert, müssen wir aufpassen, dass wir nicht zu viel Blätter weg machen weil wir dann vielleicht auch mehr Gerbstoffe in die Weine bekommen und was noch ein viel größeres Problem ist, dass die Weine so eine leicht rauchige Note kriegen durch zu viel Sonne an der Traube und dadurch vielleicht auch die Weine etwas schneller reifen und nicht ganz so lange halten."
    Mit dem wärmeren Klima erobern Krankheiten wie etwa die Schwarzholzkrankheit fränkische Weinberge, auch Schadinsekten wie etwa südländische Zikaden tauchen plötzlich auf. Um 1,4 Grad Celsius ist die durchschnittliche Temperatur in deutschen Weinbaugebieten binnen zweier Jahrzehnte bereits gestiegen und damit auch das Mostgewicht um zwölf Grad Öchsle. Erobern jetzt Cabernet Sauvignon, Merlot und andere Wärme liebende Rebsorten fränkische Weinberge? Starwinzer Horst Sauer schüttelt energisch den Kopf:

    "Wir müssen an unseren traditionellen Rebsorten trotz Klimaverschiebung festhalten. Es macht keinen Sinn, einen Chardonnay oder Sauvignon Blanc anzubauen weil dann sind wir weltweit austauschbar. Und mit Silvaner, Riesling und Müller-Thurgau sind wie es nicht. Wir müssen schauen, dass die Beerenhaut härter wird, dass sie nicht so empfindlich reagieren auf diese Klimaverschiebung."

    Härtere Häute der Beeren als Sonnenschutz und damit die Trauben nicht so leicht unter dem Druck benachbarter Früchte platzen. Daran forschen Wissenschaftler der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau in Veitshöchheim bereits. Sie suchen in alten Weinbergen nach robusten Reben, um daraus neue Klone für das veränderte Klima zu entwickeln.

    Starkniederschläge und warme, feuchte Nächte schon im Frühsommer, das brachte gerade heuer viele Winzer um einen ruhigen Schlaf: Peronospora, der falsche Mehltau, hielt sie ständig in Alarmstimmung. Ganz besonders Bio-Winzer wie Manfred Rothe in Nordheim. Steigender Kohlendioxidgehalt, Wärme, Starkregen - da wächst die Rebe gar zu schnell.

    "In so einem Jahr wie 2009 wächst die Pflanze den Wirkstoffen davon. Unsere Präparate wirken ja immer nur auf der Stelle, an der sie die Pflanze benetzen. Was wollen sie machen, wenn die Pflanze jeden Tag zwei, drei neue Blätter bekommt. Da mussten wir heuer sehr oft Pflanzenschutz betreiben. Das ist ja das Entscheidende im ökologischen Weinbau: Unsere Mittel wirken nur an der Stelle, an der sie gerade sind. Wir können immer nur vorbeugen, wir können nie befallene Sachen heilen."

    Nun gibt es gerade in Franken einen regelrechten Umstellungs-Boom auf ökologischen Weinbau. Noch setzen die Winzer stark auf traditionelle Rebsorten. Manfred Rothe hat schon vor acht Jahren pilzfeste Sorten wie Helios und Johanniter gepflanzt:

    "Die sind einfach robuster, die Blätter, das Laub ist fleischiger, dicker. Und ich habe den Eindruck, nach meiner Beobachtung, dass diese Sorten, die mit dem Pilzbefall besser zurecht kommen auch die höhere Sonneneinstrahlung und den Klimawandel besser verkraften. Sie kommen mit den extremen Wetterverhältnissen besser klar und es sind ja die Extreme, die uns befassen."

    Biowinzer experimentieren mangels chemisch-synthetischer Spritzmittel eher als andere Winzer mit neuen Rebsorten. Ob Bio- oder Konventionell - dass ein Escherndorfer Lump aus Franken in Franken schmeckt wie dereinst nur große Weine aus dem französischen Medoc - niemand hält das mehr für unmöglich.