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Statt zelebriertem Liebesleid wüstes Toben

Zuerst eine Warnung: Sollten Sie zu den Musikliebhabern gehören, die Franz Schuberts Musik nur in ihrer originalen Gestalt hören möchten, dann werden die folgenden Minuten hart für Sie. Hart insofern, als dass sich hier Künstler an einem Repertoire vergreifen, für das ihnen - im gepflegten Fachdeutsch gesprochen - eigentlich die Zugangsberechtigung fehlt. Schließlich ist Barbara Sukowa Schauspielerin und keine klassische Sängerin. Und auch eine Formation wie das Schönberg Ensemble Amsterdam unter Reinbert de Leeuw fügt sich nur bedingt ein in die Schubertsche Liederwelt.

Von Falk Häfner |
    Andererseits: Wenn Schubert selbst beinahe entschuldigend an seine Freunde schreibt, er habe mit seiner Winterreise "schauerliche Lieder" geschrieben, dann heißt das doch:
    Der kleine Mann mit der Nickelbrille und der schwächlichen Konstitution liebte das Experiment.

    Ein Experiment ist auch die Veröffentlichung, für die ich Ihr Herz erwärmen möchte - also, nur Mut! Am Mikrofon begrüßt Sie Falk Häfner.

  • Schubert: "Heidenröslein "

    Bis hierher ist es noch harmlos, was Barbara Sukowa mit Schubert veranstaltet. Die Fassbinder-Ikone als Mischung von Mieze und Lola: halb naives Mädel mit großen Kulleraugen und halb laszive Herzensbrecherin. So hat die Sukowa schon anno 1980 die Männer im Film "Berlin Alexanderplatz" und ein Jahr später in "Lola" verführt. Doch zwischen Film und Musik liegen nun einmal Welten. Wer regt sich heute noch auf, wenn im Film Experimentelles geschieht: Visuell ist der Zuschauer doch längst gewohnt, mit Extremen klarzukommen. Schlimmstenfalls wird eben abgeschaltet. Aber hier? Schuberts Liederzyklen sind schließlich nicht "Das kleine Fernsehspiel".

    Dass sich Barbara Sukowa mit ihrem Liedprojekt ins Kreuzfeuer der Kritik begibt, das muss ihr klar gewesen sein. Und doch: Sie tut es mit einem nonchalanten Selbstbewusstsein, das jeden scharf schießenden Präriecowboy in die Flucht schlagen dürfte.

  • Schubert: "Meine Ruh ist hin"

    Ein bisschen ist das wie puzzlen: Ein Schubert-Lied, eines von Schumann und eine wilde Idee - angesiedelt im Nirwana irgendwo zwischen klassischem Liederzyklus, Melodram, Musical, Chanson und Schauspiel - damit wird gespielt, dazu verwegene Musiker des Schönberg Ensembles, die mitziehen - und schon geht es los mit der Schubert-Schumannschen "Schauspielerliebe" .

    Statt zelebriertem Liebesleid wüstes Toben; statt auskomponiertem Herzflattern lustvoller Exzess. Wen soll in dieser Emphase noch kümmern, dass da das Timbre von Barbara Sukowa gelegentlich ins Plärren umschlägt, dass aus einem intendierten Vibrato plötzlich ein unkontrollierter Schleudervorgang wird oder dass die Stimme in den Höhen gefährlich bricht? Nein, das ist nicht immer schön! Und ja: das ist anstrengend! Aber: Das ist auch packend. Denn wenn eines gelingt in dieser Produktion, dann ist es der stimmige Wechsel von rastlosem Wahnsinn und in sich zusammengefallener Ruhe.
    Hätte Schubert ohne diese Extreme überhaupt komponieren können? Und wäre Schumann zu dieser Tiefe gelangt, die wir heute so bewundern, wenn er nicht selbst das Jammertal durchfühlt und durchschritten hätte?

  • Schubert: "Wehmut"

    Wir klagen heute oft genug, dass das klassische Lied kaum noch gepflegt wird. Wir trauern um die Zeit, da man der Postkutsche noch entgegenfieberte, bis der schmachtende Brief der oder des Geliebten eintraf. Stattdessen werfen wir fünfsilbige Mails in den Computer, die beim Adressaten ankommen, noch bevor wir sie überhaupt noch einmal überflogen haben.
    Zeit zum Schmachten haben und nehmen wir uns nicht. Und statt zwischenmenschliche Anbahnungsprozesse geduldig und lustvoll auszukosten, erhalten wir in unseren Wohnzimmern allabendlich numerisch abgefasste Sofortangebote: 0190 - 88 99. Na, Sie wissen schon.

    Liederzyklen? Kurze musikalische Seelengemälde, die die Liebe besingen. Mal ehrlich: Wer kann damit heute überhaupt noch was anfangen? Und wem ist ein Vorwurf daraus zu machen, wenn er das, was da besungen wird, als antiquiert, als museal bezeichnet und sich selbst darin nicht wieder findet?

    Das, was Barbara Sukowa und das Schönberg Ensemble mit ihrem Liederzyklus veranstalten, knüpft an das an, was die dieselben Künstler schon 1984 mit dem "Pierrot Lunaire" von Schönberg auf Platte gebracht haben. Das neue Projekt aber ist angreifbarer: Auch hier wird teilweise expressiver, harter Sprechgesang à la Schönberg bedient, der den Intentionen der verinnerlichten Romantiker absichtlich zuwider läuft. Reinbert de Leeuw hat damit eine moderne Interpretation von Lieben, Leiden und Wahnsinn geschaffen - ein Projekt auf bewusstem Konfrontationskurs, voller Hybris aber auch dem, was man früher Leidenschaft nannte.
    Ja, und dann gibt's da noch die grenzwertigen Adaptionen, die auch Gitte hätte anno dazumal beim Grand Prix de la Chanson vortragen können ...

  • Schumann: "Kennst Du das Land" und "Ein Jünglein liebt ein Mädchen"

    Das Wandern, dieses Leitthema der Romantik - hier wird es nicht nach Schumannscher oder Schubertscher Wanderkarte zelebriert, sondern nach jugendlicher Pfadfindermanier: Schnitzeljagd mit Liedern wie Schumanns "Kennst du das Land?", das schlagerartig verkitscht daherkommt, gefolgt von "Ein Jüngling liebt ein Mädchen" als kecker Pop-Art-Verschnitt und dazwischen die herzbrecherische Instrumentalbrücke aus Schuberts himmlischen C-Dur-Streichquintett: Die Respektlosigkeit wird hier kultiviert und das ist herrlich!

    Barbara Sukowa und dem Schönberg Ensemble ist nicht beizukommen mit puristischem Verlangen nach Liedinterpretation im klassischen Sinne! Man muss ertragen, dass die Sukowa gelegentlich Texte nach eigenem Gusto verändert, dass sie abdriftet von der vorgegebenen Melodie oder mit ihren Musikern wilde Achterbahnfahrten von der "Dichterliebe" zur "Winterreise" hinlegt und dazwischen bei beim "Liederkreis" Halt macht.

    Aber man muss auch zugeben: Barbara Sukowa gibt den Liedern eine eigene Bedeutung: Sie erweckt den Text zum Leben jenseits einer kunstvoll überhöhten Sphäre und holt ihn herunter ins irdisch Erdige: Geschichten werden hier erzählt - eigentümliche Geschichten versteht sich! Und das auf ganz natürliche Weise, wenngleich die übergreifende Zyklusidee seltsam nebulös bleibt.

    Auch wenn das Schubertsche und Schumannsche Oeuvre hierfür als Steinbruch herhalten muss, so gelingen doch überraschende, skurrile Zusammenstellungen: Für musikalisch logische, raffinierte Übergänge sorgen dabei die hervorragenden Musiker des Schönberg-Ensembles aus Amsterdam unter Reinbert de Leeuw: Als Veteranen der zeitgenössischen Musik ist dieses Kammerensemble seit gut 30 Jahren mit avancierten und teilweise auch provozierenden Projekten in der Szene präsent, ohne dabei dem Wiener Geigen-Schmäh grundsätzlich eine Absage zu erteilen.

  • Schubert: "Ständchen"

    Es ist der Hauch des Wahnsinns, der diese Platte durchweht. Der Titel dieser eigenwilligen Zusammenstellung von Liedern nach Robert Schumann und Franz Schubert lautet "Im wunderschönen Monat Mai". Warum das Label Winter & Winter diese Platte ausgerechnet Mitte Juni veröffentlicht, bleibt schleierhaft.

    Die Schauspielerin Barbara Sukowa und das Schönberg Ensemble unter Reinbert de Leeuw sind die musikalischen Wanderer. Ob unterwegs auf einem Spaziergang, einer Bergtour, einer Hängepartie oder doch einfach nur auf dem Holzweg - das müssen Sie selbst entscheiden - meint Falk Häfner, der sich damit diplomatisch aus der Affäre zieht.

    Titel: "Im wunderschönen Monat Mai -
    Lieder nach Robert Schumann und Franz Schubert"
    Ausführende: Barbara Sukowa, Stimme
    Schönberg Ensemble
    Leitung: Reinbert de Leeuw
    Label: Winter & Winter
    Bestell-Nr.: 910 132 2
    LC: 02829