Freitag, 19. April 2024

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Statuensturz in Bristol
"Koloniale Denkmäler auf den Kopf stellen"

Die Statue des ehemaligen Sklavenhändlers Edward Colston zu stürzen, hält der Historiker Jürgen Zimmerer für richtig. Das gelte allerdings nicht automatisch für alle deutschen Kolonialdenkmäler oder Straßennamen - die müssten in ein aktives Erinnerungskonzept eingebunden werden, sagte er im Dlf.

Jürgen Zimmerer im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske | 08.06.2020
Demonstranten transportieren die Statue gemeinsam durch Bristol.
Vom Sockel geholt - Protestierende in Bristol demontieren die Statue des ehemaligen Sklavenhändlers Edward Colston (picture alliance/ NurPhoto/ Giulia Spadafora)
In Bristol wurde gestern gegen Rassismus demonstriert und ein Denkmal für Edward Colston zu Fall gebracht und unter Jubelschreien im Fluss Avon versenkt. Edward Colston wurde im 17. Jahrhundert in eine wohlhabende Händlerfamilie hineingeboren und spendete großzügig an Schulen und Krankenhäuser. Er war allerdings nicht nur ein Wohltäter, sondern auch am Sklavenhandel beteiligt.
Jürgen Zimmerer, Professor für die Geschichte Afrikas an der Universität Hamburg und einer der profiliertesten Forscher zum Kolonialismus, hält den Umgang mit der Statue für gerechtfertigt. Gleichzeitg spricht er sich dafür aus, Erinnerungspolitik und Gedächtnisarbeit zu betreiben - und vor allem auch auf ein deutsches Rassismusproblem aufmerksam zu machen.

Doris Schäfer-Noske: Herr Zimmerer, hat Edward Colston seinen Denkmalsturz verdient?
Jürgen Zimmerer: Es ist ja immer eine schwierige Frage, wie man mit Denkmälern umgeht. In diesem Fall würde ich sagen: ja, denn dieses Denkmal stand ja seit Jahren in der Kritik. Es gab immer wieder Debatten, es gab immer wieder Hinweise der Zivilgesellschaft, der Black Community und anderer auf diese Vergangenheit von Colston. Er war Wohltäter in Bristol, aber auch Ausbeuter und Verkäufer von Menschen in Afrika. Diese Ehrung war zu unterbinden, weil sie Rassismus fördert, Rassismus verherrlicht und Leute beleidigt. Und man hat das auch einfach zu lange ignoriert.
"Rassismus auch in Deutschland ein Riesenproblem"
Schäfer-Noske: Es gibt ja weltweit noch weitere Denkmäler, die Sklavenhändlern oder Menschen gewidmet sind, die im Kolonialismus eine wichtige Rolle gespielt haben. Und Sie haben auf Twitter dazu aufgerufen, solche Kolonialdenkmäler zu sammeln. Welche sind da für Sie zu nennen, über die man sich empören muss?
Zimmerer: Mir ging es bei dem Aufruf nicht darum, sie zu sammeln, um sie zu stürzen, sondern um eine Kartografie des kolonialen Erinnerns auch für Deutschland zu erstellen und zu sagen: Wo haben wir eigentlich überall Denkmäler, Gedenktafeln, Erinnerungsorte, die an den Kolonialismus verweisen? Weil mir auffällt in der Debatte: Wir starren gebannt in die USA mit diesen Statuen der Confederate, dieser Generäle. Wir starren jetzt nach Großbritannien, wo die größte Statue gestürzt wurde, und denken, das ist das Problem der anderen - wie wir oft denken, der Rassismus ist das Problem der anderen. Und mir war es wichtig zu sagen, wie Black Lives Matter betont: Rassismus ist auch in Deutschland ein Riesenproblem. Und ich wollte darauf hinweisen, dass eben auch diese koloniale Erinnerung in die deutschen Städte, in die deutschen Gebäude eingewoben ist, ohne dass wir uns dessen bewusst sind.
Das Größte, das Bedeutendste ist ja ironischerweise ein völlig Neugebautes - das ist das Humboldt Forum in Berlin. Und man übersieht ja, dass wir vorletzte Woche erst das Kreuz auf die Kuppel des Humboldt Forums montiert haben, wo ja auch Kritik geäußert wurde, dass dieses Kreuz auf einem völkerkundlichen Museum eigentlich ein Widerspruch ist zur versprochenen Aufarbeitung des kolonialen Erbes. Also, das ist das eine.
Koloniale Erinnerung an vielen deutschen Orten
Und wir haben Denkmäler in Hamburg, die seit Jahren umstritten sind. Wir hatten auch einen Fall, ganz ähnlich wie Colston - einen Sklavenbesitzer, der auch Wohltäter war - für den man eine Statue aufstellte, die man dann mit roter Farbe übergoss und die jetzt abgeräumt wurde. Wir haben Askari-Reliefs, die an Lettow-Vorbeck - den man heute als Kriegsverbrecher bezeichnen würde in Deutsch-Ostafrika - erinnern. Wir haben im Bad Lauterbach im Harz ein Wissmann-Denkmal. Wir haben in sehr vielen Orten und Kirchen Gedenktafeln, die an gefallene deutsche Soldaten der Kolonialkriege erinnern.
Nun ist es überhaupt nicht problematisch, an die gefallenen Deutschen zu erinnern - aber meist ohne irgendeinen Verweis auf die dabei gestorbenen Kolonisierten in China oder im heutigen Namibia oder in Deutsch-Ostafrika. Und wenn man diese Kartografie macht, merkt man einfach, an wie vielen Orten eben auch Deutschland eine koloniale Erinnerung hat, die es im Grunde in einer kolonialen Amnesie ausgeblendet hat. Und das müssen wir jetzt einfach auch mit zurückholen in unser Gedächtnis und in unsere Erinnerungspolitik und Gedächtnisarbeit.
Der Historiker Jürgen Zimmerer hält eine Ansprache bei einem Empfang des Hamburger Senats zur Eröffnung der Ausstellung "Unser Afrika" im Juni 2018.
Prof. Dr. Jürgen Zimmerer lehrt die Geschichte Afrikas an der Universität Hamburg und leitet dort die "Forschungsstelle Hamburgs (post-)koloniales Erbe". Der 55-Jährige ist Präsident des "International Networks of Genocide Scholars" (INoGS) und zählt zu den führenden deutschen Kolonialismus-Forschern. Zimmerer kritisiert seit langem das Konzept für das im wiederaufgebauten ehemaligen Berliner Stadtschloss geplante "Humboldt-Forum": Dessen Architektur und die vorgesehenen Ausstellungsobjekte aus der Kolnialzeit verwiesen auf den Kolonialismus.
Zwingend notwendige Aufklärungsarbeit
Schäfer-Noske: Und was soll man mit solchen Denkmälern machen? Soll man sie stürzen? Ich meine: So wie in Bristol ist das zwar Gewalt gegen Sachen, aber man könnte ja auch auf einem gesetzlich erlaubten Weg erreichen, dass ein Denkmal wegkommt.
Zimmerer: Ich persönlich als Historiker bin der Meinung, dass man diese Erinnerungsorte, diese Denkmäler einfach bricht. Rein umwidmen mit Schrifttafeln reicht nicht. Man könnte den Colston, man könnte einen Wissmann, man könnte sie alle ja zum Beispiel liegend hinstellen, man könnte sie auf den Kopf stellen, man könnte sie einfach in ein Ensemble einbetten, das eigentlich die kolonialen Verbrechen und den kolonialen Rassismus thematisiert und damit im Grunde auf diese Geschichte verweist, auf die unser Wohlstand in Europa ja zu nicht geringem Teil eigentlich beruht. Das wäre eine Aufklärungsarbeit, die zwingend notwendig ist - auch, um diesen Rassismus zu bekämpfen.
Schäfer-Noske: Sehen Sie sonst die Gefahr, wenn man die Denkmäler jetzt nur stürzt oder eine Mohrenstraße in eine Black-Lives-Matter-Straße umbenennt, dass dann die Aufarbeitung vergessen wird?
Zimmerer: Ich glaube nicht, dass die Umbenennung die Aufarbeitung hindert. Ich würde nur sagen: Wir sollten diese Denkmäler aktiv nutzen. Das heißt: Wir müssen eben nicht einfach nur sagen: Mit dieser Carl-Peters-Straße in Berlin ist jetzt nicht mehr der psychopathische Kolonialmörder Carl Peters gemeint, sondern ein Berliner Politiker. Das hilft eigentlich nichts, weil das die meisten Leute ja nicht einmal wissen. Ich würde aber dafür plädieren, das einfach in ein aktives Erinnerungskonzept für Deutschland einzubinden. Aber dann muss es ganz, ganz deutlich sichtbar im Grunde entfremdet und gebrochen werden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.