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Staubige Wege, steinige Wege

Drei Geschichten über wandelnde Identitäten bietet das Kino ab morgen. Die Wege der Protagonisten sind steinig, ihr Selbstfindung führt nicht immer zum Erfolg, machen die Filme aber sehenswert.

Von Hartwig Tegeler |
    Prince Avalanche
    "Hey, diese Straße ist lang, mein Freund."

    Mag sein, aber das ist die beste Voraussetzung für ein Roadmovie, wo es bekanntlich nicht darum geht, ans Ziel zu kommen, sondern den Weg zu nehmen, weil der ja das Ziel ist. Alvin und Lance - gespielt von Paul Rudd und Emile Hirsch -, die beiden Straßenarbeiter im Film "Prince Avalanche", werden das erst am Ende wissen. Ihr Job ist es, den gelben Mittelstrich neu zu ziehen auf dieser Straße, die endlos durch den texanischen Wald führt.

    "Und es sind verdammt viele Striche."

    On the road, 1988, als es noch kein Mobilfunknetz gab. Das ist signifikant: keine SMS, keine Mail; nur Natur, Stille. Alvin driftet im Grübeln über seine Freundin daheim schon mal ab von der Realität, …

    "Alvin! - Ja! - Du hast den Gürtel mit dem Werkzeug falsch rum an."

    … den anderen, Lance, Bruder von Alvins Freundin, interessiert weniger die Abgeschiedenheit, …

    "Ich werde so geil hier in der Natur."

    … eigentlich staunt er, dass Alvin das hier aushält:

    Lance: "Du bist jetzt schon seit dem Frühling allein im Wald. Kriegst du nicht ab und zu einen Einsamkeitsanfall?"

    Alvin: "Alleinsein und einsam sein ist nicht dasselbe, Lance. Ich ernte die Früchte der Abgeschiedenheit!"

    Oder auch: Alvin versucht drüber hinwegzukommen, dass Lances Schwester ihn hat sitzen lassen. David Gordon Greens Film ist fast ein Zweipersonenstück. Fast, weil, da tauchen ab und an noch der trinkfeste Lastwagenfahrer auf und die alte Frau. Aber vielleicht träumen die Alvin und Lance ja nur. So taucht "Prince Avalance" seine beiden Hauptfiguren, die offensichtlich Probleme haben mit dem Erwachsenwerden, in eine melancholische Atmosphäre von sanftem Humor und Langsamkeit. Das Ganze allerdings versehen auch mit einer Portion Skurrilität, zumal, wenn Alvin und Lance die Lebenslügen um die Ohren fliegen. Na ja, Alvins Freundin, Lances Schwester wie gesagt, war schon von Anfang an weg. Aber im Loslassen steckt ja Entwicklungspotenzial. Wie das Roadmovie natürlich weiß, und auch der trinkfeste Lastwagenfahrer:

    "Die Straße ist lang, wir sehen uns noch!"

    "Prince Avalanche" von David Gordon Green - auf der diesjährigen Berlinale ausgezeichnet mit dem Silbernen Bären für die Beste Regie - eine Indie-Perle, herausragend.


    Not Fade Away
    "Ich mache eine Band wie die Stones, und ich brauche einen für die zweite Stimme."

    Und Douglas´ Traum vom Superstar wird ... nun ja, vielleicht etwas werden in New Jersey, von wo aus man über den Hudson River hinweg New York sehen kann. Aber bis dahin gilt es im Film "Not Fade Away" einen steinigen Weg zu gehen, auch wenn der kulturelle Wandel wie ein betörender Geruch in der Luft liegt in jenem Sommer 1964. Wovon der Soundtrack einen satten Eindruck vermittelt - die Stones, Van Morrison, Bo Diddley, Dylan etc. Bewegte Zeiten, mit denen Douglas´ Vater allerdings am liebsten nichts zu tun haben möchte. Vater und Sohn eben:

    Vater: "Und dafür zahle ich diesem verdammten College jedes Jahr 2000 Dollar."

    Sohn: "Da gibt es welche mit viel längeren Haaren."

    Vater: "Und dann die Jacke!"

    Sohn: "Was?"

    Mutter: "Er schuftet sich kaputt in dem Laden, sechs Tage die Woche, am Freitag bis neun. Mit seiner Schuppenflechte. Und du führst dich so auf."

    New Jersey ist auch die Heimat der Sopranos; ihr Boss in der gleichnamigen TV-Mafia-Serie wurde gespielt von James Gandolfini. In "Not Fade Away" ist er Douglas´ Vater. Eine der letzten Rollen von Gandolfini, der in diesem Sommer verstarb. "Soprano"-Schöpfer David Chase hat in dem von ihm geschriebenen und inszenierten Film die Atmosphäre seiner Jugend in New Jersey beschworen. "Not Fade Away" erzählt dabei vom quälenden Übergang zum Erwachsenensein. Und die Karriere als Rockstar? Den Traum vom schnellen Plattenvertrag, den beendet quasi vorweg schon der Satz eines Musikprofis, den Douglas´ Band in New York auftut, das dann doch sehr weit weg ist von New Jersey:

    "Spielt sieben Abende die Woche zwei Gigs pro Abend. Und dann ruft mich in sechs Monaten an."

    "Not Fade Away" von David Chase - träumerisch, empfehlenswert.


    Albert Nobbs
    "Sie sind eine Frau!"

    Hubert, der Maler, der mit Albert Nobbs in dessen Dienstbotenzimmer eine Nacht verbringt, er ist der Einzige, der die Maskerade von Albert durchschaut:

    "Sie sind eine Frau." - "Sie werden mich doch nicht verraten. Werden Sie das, Mr. Page? Ich bitte Sie. Sie werden mich doch nicht verraten. Und eine arme Frau um ihren Lebensunterhalt bringen. Das würde mein Ende bedeuten!"

    Albert Nobbs ist im exklusiven Dubliner Hotel der perfekte Butler. Aber seit seinem, besser ihrem vierzehnten Lebensjahr …

    "Eines Nachts, sie waren zu fünft."

    … hat sich die obdachlose Waise …

    "Sie taten mir weh!"

    … als Junge, dann als Mann verkleidet. Im Irland des späten 19. Jahrhunderts Überlebensstrategie für eine alleinstehende Frau. Reglos, starr, zurückhaltend und präzise versieht Butler Albert Nobbs nun den Hotel-Dienst. Glenn Close, die für ihre Hauptrolle in Rodrigo Garcías Film "Albert Nobbs" im letzten Jahr für den Oscar als Beste Hauptdarstellerin nominiert wurde - und zwar vollkommen zu Recht -, spielt diese Frau in Männerkleidern jenseits aller Klischees, für die das Kino von "Manche mögen´s heiss" bis "Tootsie" ja jede Menge bereithält. Glenn Close liefert vielmehr eine tief berührende Darstellung einer Frau, die in dieser Welt weder ihre geschlechtliche, noch ihre sexuelle Identität leben kann. Einmal im Film zieht Albert, dessen weiblichen Namen wir nie erfahren, Kleider an, geht an den Strand. Das ist der einzige Moment von tiefem Luftholen im Film, wo die verzweifelte Starre einem Gefühl von Freiheit weichen darf. Um dann wieder in das Gefängnis einer männlichen Identität zu schlüpfen, ohne die Albert nicht glaubt, überleben zu können. Der Satz des Malers, der mit ihr übernachtete und ebenfalls eine Frau ist, er hat mit Albert Nobbs´ Realität nichts zu tun. Dieser Satz hier ist Wunschtraum:

    "Albert! Sie müssen niemand anders als Sie selbst sein!"

    "Albert Nobbs" von Rodrigo García mit einer grandiosen Glenn Close - herausragend.