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Staufen wird sich weiter heben

Geologie. - Kaum ein Geothermie-Vorhaben in Deutschland ist bislang so drastisch schiefgegangen wie das in Staufen. In der südbadischen Stadt hebt sich nach Geothermiebohrungen Ende 2007 der Boden. 187 Gebäude sind mittlerweile betroffen. Der Darmstädter Geologe Ingo Sass berichtet im Gespräch mit Ralf Krauter über die jüngsten Untersuchungen.

29.06.2009
    Krauter: Herr Professor Sass, wie ist denn die aktuelle Lage?

    Sass: Die Quellvorgänge in Staufen haben ja zu Rissen geführt, und damit ist die aktuelle Lage nicht dramatisch in dem Sinne, dass sich ständig etwas sichtbar bewegt, sondern wir haben einen kontinuierlichen Hebungsprozess, und der führt zu einer langsamen aber beharrlichen Vergrößerung der Schäden an den bereits betroffenen Gebäuden und dazu, dass quasi ständig neue Gebäude dazukommen.

    Krauter: Diese Bewegungen des Untergrunds werden jetzt mit Satelliten sehr präzise vermessen. Wie überraschend kamen diese Probleme denn aus Sicht der Experten?

    Sass: Also die Satelliten-Vermessung ist sehr präzise und löst diese Hebung auch räumlich auf, und man kann die Anhebung sehr klar räumlich den Bohrungen zuordnen. Diese Hebungen finden in einer ellipsoiden Form um diese Erdwärme-Bohrungen in Staufen herum statt, und damit auch in einem räumlichen Zusammenhang darstellbar. Die Überraschungen, die es in Staufen gegeben hat, die teilen wir eigentlich nicht so sehr, da wir davon ausgehen, dass die möglichen geologischen Problempotenziale im Vorfeld der Aktivitäten in Staufen zumindest bekannt waren. Das geht auch dann aus den weiteren Arbeiten hervor: In der Planung sind da auch die geologischen Verhältnisse zutreffend beschrieben worden, man hat vielleicht andere Schlüsse gezogen, oder möglicherweise auch nicht die richtigen Schlüsse, das will ich gar nicht beurteilen. Aber es ist für uns nicht überraschend, dass in Staufen der Gips-Keuper ansteht. Dass der Gips-Keuper dort Anhydrit enthalten kann, ist auch nicht überraschend, vielleicht in dem Umfang ein wenig. Es ist nicht überraschend, dass dort das Grundwasser unter hohem Druck im Boden ansteht. Es ist auch nicht überraschend, dass wir eine starke tektonische Untergliederung des Bereichs der Innenstadt von Staufen haben.

    Krauter: Und das neue Problem ist jetzt, dass das Wasser mit diesem Gips reagiert und der Untergrund sozusagen aufquillt wie eine Teigmasse, kann man sich das so vorstellen?

    Sass: Ja. Ich sehe das so: Die Bohrungen haben eben vertikal einen hydraulischen Kontakt zwischen den Gipskeuper-Schichten und dem tieferliegenden Grundwasser hergestellt. Über die Bohrungen konnte das Wasser nun lateral in den Gips-Keuper eindringen und dort, wo Anhydrit in der Formation vorhanden ist, der ist dort mehr oder weniger fein verteilt, kann der Anhydrit durch eine Wasseraufnahme-Reaktion zum Mineralgips quellen, und diese Mineralreaktion ist mit einer Gesamtvolumensvergrößerung von 60 Prozent verbunden. Und wenn der Quelldruck so groß wird, dass der Überlagerungsdruck das Quellen nicht zurückhält, dann treten eben übertage Quellungen auf, und das führt zu den Gebäudeschäden.

    Krauter: Wenn das alles vorher bekannt war, auch den Leuten, wie Sie sagen, vorher bekannt war, die dort Analyse vorab gemacht haben, hätte man dort eigentlich überhaupt nicht bohren dürfen?

    Sass: Sie wissen ja möglicherweise, dass derzeit eine Erkundungsbohrung durchgeführt wird in unmittelbarer Nähe zu diesem Erdwärmesondenfeld. Das heißt, man kann unter gewissen technischen Randbedingungen bohren. Ich bin überzeugt davon, dass man mit dem gewählten Bohrverfahren, das absolut Stand die Technik ist für Erdwärmebohrungen ohne, ich sag mal, problematischen Untergrund, dort nicht hätte bohren sollen.

    Krauter: Man hätte anders bohren müssen!

    Sass: Man hätte in einer verrohrten Bohrung bohren müssen. Dann hätte eine äußere Verrohrung der Bohrung den Kontakt zwischen Grundwasser und Gips-Keuper sehr stark reduziert bis vermieden.

    Krauter: Was kann man in Staufen jetzt tun, um den Schaden zu begrenzen? Wie lange wird diese Hebung weitergehen? Wird das irgendwann mal von alleine auf?

    Sass: Ja, da kursieren ja sehr unterschiedliche Angaben, auch sehr unseriöse Angaben, wie wir finden. Es gibt keinen Fall, der mir bekannt wäre, wo ein solches Quellproblem mit einer technischen Sanierung gelöst worden wäre. Also das heißt, die Schadensursache und das Schadensbild halte ich für bekannt, seit vielen Jahren in Baden-Württemberg bekannt. Ein Sanierungskonzept ist fachliches Neuland. Das ist in der Weise noch nie durchgeführt worden. Und da bringt meiner Meinung nach auch diese Erkundungsbohrung jetzt wahrscheinlich erhebliche weitere Kenntnisse, in welcher Richtung man die Sanierung wird durchführen können. Das Problem ist, dass der Zeitpunkt des Beginns der Sanierungsarbeiten eigentlich nicht festzulegen ist, da die Prognose des Quellhebungsverlaufs problematisch ist.

    Krauter: Das heißt, man weiß nicht genau, wo man denn am besten einsetzt!

    Sass: Ja, also die Quellungen halten weiter an, sie finden räumlich sehr heterogen statt. Also, weil das Gebirge unter der Stadt zerrüttet ist, wird immer wieder an unterschiedlichen Stellen eine unterschiedliche Menge Anhydrit sozusagen mit Wasser in Kontakt gebracht und führt dann zu einer Quellung. Das ist nicht prognostizierbar, und damit ist der Zeitpunkt, wann eine Sanierung beginnen kann, sehr schwer festzulegen. Das ist sicherlich den jetzt dort arbeiten Fachkollegen eines der größten Probleme, dass die dort haben. Und man muss natürlich unterscheiden zwischen zwei Arten von Sanierungen: das eine sind die Sanierung der Infrastruktur und Gebäude und das andere wäre natürlich die Sanierung des Erdwärmesondenfeldes selber, um sozusagen den Motor für die Quellung abzustellen.

    Krauter: Welche Optionen hat man denn dafür zur Hand?

    Sass: Ja, man hat da möglicherweise noch nicht alles durchdacht. Aber spontan fällt einem da so aus fachlicher Sicht einmal das Überbohren des Erdwärmesondenfelds ein. Der Erfolg wird sehr stark davon abhängen, wie die Vertikalität der alten Bohrungen ist. Und das zweite wäre dann, kann man auch darüber nachdenken, ob man Gefrierverfahren anwendet, und den Untergrund quasi gefriert und so die Wasserbewegungen unterbindet, was natürlich eine dauerhafte Aufrechterhaltung des Eiskörpers bedeuten würde.

    Krauter: Ist so etwas schon einmal irgendwo gemacht worden?

    Sass: Im Gips-Keuper mit dem Ziel nicht.

    Krauter: Und das Überbohren, die erste Variante, die Sie nannten, da würde man einfach höher noch einmal in dieselbe Stelle bohren?

    Sass: Also die Bohrungen, das Bohrverfahren, das dort eingesetzt wurde, das zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass es eine sehr geringe Vertikalität hat. Das heißt, die Abweichungen dieser Bohrungen von der geplanten Vertikalachse sind sehr groß und auch nicht gut vorhersagbar. Das heißt, man müsste bei einer Überbohrung wahrscheinlich darüber nachdenken, dass man mit einem sehr großen Kaliber, also einen sehr großen Durchmesser sozusagen Bohrung an Bohrung in einer überschnittenen Form ansetzt. Solange bis man eben dieses Erdwärmesondenfeld komplett ausgetauscht hat gegen eine abdichtende und tragfähige Masse.

    Krauter: Welche Lehre für künftige Geochemie Bohrungen kann, muss man aus Staufen ziehen?

    Sahst: Grundsätzlich ist die Berücksichtigung der Untergrundsituation wesentlich ernster zu nehmen, als das in Teilen gemacht wird. Ich bin der Auffassung, dass die Regelwerke und Leitfäden, die wir haben, auch zum Beispiel der so genannte Erdwärme-Leitfaden des Landes Baden-Württemberg, enthält bereits diese Problemstellung. Es muss bei der Planung, bei der Durchführung und auch bei der Überwachung durch die Behörden darauf geachtet werden, dass in geologisch schwierigeren, oder in Bereichen, wo die geologischen Verhältnisse vielleicht nicht klar sind, darauf geachtet wird, dass durch technische Auflagen die Bau- und Bohrausführung sicherer gemacht wird. Grundsätzlich bin ich der Auffassung, dass ein generelles Verbot von Erdwärmebohrungen im Gips-Keupern nicht zielführend ist, sondern vielmehr muss sich damit beschäftigt werden, ob dieser Gips-Keuper ein Quellpotenzial hat, also noch Anhydrit enthält. Wenn man das nicht weiß, muss man eben auf aufwändigere Bohrverfahren zurückgreifen, das kann dann im Einzelfall dazu führen, dass das Projekt unwirtschaftlich wird. Das heißt, dass man sich dann von der Erdwärme als Variante verabschiedet, weil einfach die Bohrkosten natürlich steigen. Aber ein grundsätzliches Verbot oder ein grundsätzliches Darstellen, das Erdwärmebohrungen gefährlich sind und zu solchen Rissen führen, ist nicht gerechtfertigt.