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Staupe - Ursache für massenhaftes Seehundsterben

Auf den dänischen Kattegat-Inseln Anholt, Laessoe, Haessloe und inzwischen auch vor der schwedischen Küste im Gebiet von Kattegat und Skagerrak beobachten die Naturschützer seit knapp einer Woche ein Seehundsterben. 250 tote Tiere sind es in Dänemark, in den schwedischen Gewässern 39. Bisher wurde noch gerätselt, ob es dieselbe Ursache ist wie 1988, als 17.000 Seehunde in Nord- und Ostsee starben. Seit dem 4. Juni weiß man es. Es ist wieder ein Ausbruch von Seehundstaupe. Heute und morgen treffen sich deshalb in Hamburg Wissenschaftler und Naturschützer aus Dänemark, Deutschland und den Niederlanden, um Vorgehensmaßnahmen zu beraten.

von Annette Eversberg |
    Im Wattenmeer herrscht Hochbetrieb. Die Seehunde tummeln sich auf den Sandbänken. Da können Krankheiten wie die Seehundstaupe leicht weitergegeben werden. Aber eine Ansteckung ist sogar noch im Wasser möglich, erläutert Bernd Scherer vom Schleswig-Holsteinischen Nationalparkamt.

    Die Seehunde machen, sehr viel weitere Wanderungen, auch Wanderungen zur Nahrungsaufnahme, als wir früher angenommen haben. D.h. wir haben durch telemetrische Untersuchungen - für den Laien bedeutet das, dass Tiere mit Sendern ausgestattet sind , durch deren Tätigkeit man deren Aufenthaltsort ausmachen kann - durch diese telemetrischen Untersuchungen kann man nachweisen, dass die Seehunde zum Teil 80 Kilometer und mehr auf Jagd gehen, und dass sie dafür mehrere Tage für solch einen Jagd und Fressausflug brauchen. Das bedeutet, die Tiere haben einen so hohen Aktionsradius, dass wenn es zu einer Ansteckung kommt, dass es denn auch sehr fix gehen kann.

    Das Virus, das für die Seehundstaupe verantwortlich ist, wird durch Kontakt übertragen. Über Wochen wird es mit allen Sekreten ausgeschieden. Die Inkubationszeit dauert nur eine Woche. Der Verlauf ist immer dramatisch, wie Dr. Ursula Siebert, von der Forschungsgruppe Marine Säugetiere des Forschungs- und Technologiezentrums Büsum, aufgrund langjähriger Erfahrungen weiß.

    Bei den Seehunden sind meistens die Lunge am schwersten betroffen. Was zu Komplikationen und dann häufig auch den Tod mit verursacht, das sind Zweit- oder Sekundärerkrankungen. D.h., dass dann Bakterien in die geschwächte und veränderte Lunge setzen, und dann zusätzlich zu schweren Veränderungen führen.

    Die Tiere in Dänemark und Schweden, haben Schäden an den Lungen. Die Körper sind aufgedunsen. Aus dem Maul tropft blutiger Schleim. Einige Tage lang hatten die dänischen Wissenschaftler im staatlichen Veterinäramt in Aarhus die Gewebsproben untersuchen. Gestern stellten sie das Staupevirus einwandfrei fest. Das epidemieartige Sterben kommt überraschend, denn eigentlich geht es den Tieren gut. Im gesamten Wattenmeergebiet und in der Ostsee. Auch die Zahl der Seehunde in der Nordsee, wo nach dem Seehundsterben 1988 allein in der deutschen Bucht wieder 19.000 Tiere leben, ist nicht so groß, dass man etwa von einem Populationsdruck sprechen könnte. Ursula Siebert:

    Was aus unserer Sicht wesentlich wichtiger ist, ist, dass die Tiere ein Immunsystem, einen Antikörpertiter haben, der sie vor einer erneuten Seuche schützt. Und da muss man sagen, dass seit dem Seehundsterben kontinuierlich die Antikörpertiter abgenommen haben und die Tiere jetzt, man nennt das einen naiven Zustand, d.h. sie sind von der Titersituation vergleichbar mit der Population vor der Seuche, d.h. sie haben keinen Kontakt und keinen Schutz mehr vor dieser Seuche.

    Grundsätzlich kann man auch gegen Staupe impfen. Zwei Impfstämme sind bekannt. Deshalb wird heute und morgen in Hamburg nicht nur darüber diskutiert, wie man sich bei einem Ausbruch bei uns verhalten soll, sondern auch darüber, ob man impfen sollte oder nicht. Doch bei wildlebenden Tieren wie dem Seehund sieht Bernd Scherer Probleme:

    Prävention, die Tiere gesund zu halten, gibt es nicht. Es gibt keine Möglichkeit, die Tiere zu impfen. Der wichtigste Grund ist der, dass Impfen nur dann Sinn hätte, wenn wir den größten Teil der Tiere erwischen könnten. D.h. wir müssten sie irgendwann einfangen. Man kann nicht 20.000 Seehunde aus der deutschen Bucht einfangen, das ist schier unmöglich.