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Steigender Meeresspiegel in Wales 
Wo der Klimawandel die Menschen vertreibt

Die Bewohner von Fairbourne müssen befürchten, ihr Dorf verlassen zu müssen. Denn die Kommunalregierung hat beschlossen, langfristig kein Geld mehr in Schutzmaßnahmen gegen den steigenden Meeresspiegel zu investieren. Ab 2045 will sie das Dorf evakuieren. Das wirkt sich schon jetzt aus.

Von Ann-Kathrin Jeske | 05.12.2019
Blick auf das Örtchen Fairbourne in Wales direkt am Meer
Das Örtchen Fairbourne in Wales liegt nur zweieinhalb Meter über dem Meeresspiegel (Deutschlandradio/ Ann-Kathrin Jeske)
Zwischen dem Snowdonia Nationalpark mit seinen hohen grünen Bergen und dem Meer liegt das kleine Dorf Fairbourne wie in einer halbrunden Kuhle. Die Häuser kann man von dem breiten Sandstrand aus nicht sehen, obwohl sie direkt dahinter beginnen. Seit Jahrzehnten schon trennt ein 6,5 meterhoher Deich aus dicken, schweren Steinen das Dorf von dem Wasser. Fairbourne liegt nur zweieinhalb Meter über dem Meeresspiegel. Und diese zweieinhalb Meter werden dem Dorf zum Verhängnis.
Die Kommunalregierung will das Dorf "stilllegen"
Es ist Freitagabend. Die Dorfkneipe liegt in erster Reihe direkt hinter dem Deich. Dennis Bird trägt noch die dreckige Arbeitshose einer langen Woche auf dem Bau. Tiefe Furchen durchziehen sein Gesicht. In der Hand hält er sein erstes Feierabendbier.
"Es ist einfach schrecklich. Uns ins Gesicht zu sagen, dass unser Dorf ‚stillgelegt‘ wird. Dass wir uns selbst darum kümmern müssen, wo wir danach untergebracht werden und wir überhaupt nicht dafür entschädigt werden. Wissen Sie, diese Familien, die leben seit 40 oder 50 Jahren hier!"
"Stilllegen" – so nennt die Kommunalregierung die Entscheidung, voraussichtlich ab 2045 die ersten Dorfbewohner zu evakuieren und das Dorf schließlich abzureißen. Eineinhalb Stunden von Fairbourne entfernt ist das entschieden worden. In der großen Kreisstadt, in der die Kommunalregierung der Wales Partei "Plaid Cymru" ihren Sitz hat. Inzwischen verteilt die Kommunalregierung eine Broschüre zu den Plänen mit dem optimistischen Titel "Fairbourne moving forward" – also "Fairbourne bewegt sich vorwärts".
"Die Immobilienpreise sind um 40 Prozent gesunken. Mein Haus war mal 270.000 Pfund wert, jetzt würde ich vielleicht noch 180.000 oder 190.000 dafür bekommen."
Dennis Bird in der Dorfkneipe von Fairbourne in Wales
Dennis Bird in der Dorfkneipe von Fairbourne in Wales (Deutschlandradio/ Ann-Kathrin Jeske)
Immobilien und Geschäfte finden keine Käufer
Schon jetzt fänden sich keine Käufer mehr für die bald wertlosen Häuser. Für ihn sei das ja nicht so schlimm, sagt Dennis Bird. Er gehe bald in Rente, 2045 sei er vielleicht schon tot. Aber was sei mit den jungen Familien, die hier erst vor ein paar Jahren ein Haus gekauft hätten? Und mit dem alten Ehepaar, das ein paar Häuser weiter den kleinen Supermarkt verkaufen will, um endlich in Rente zu gehen?
Dennis Bird blickt auf eine Gruppe junger Männer, die sich weiter hinten im Pub unterhält. Sie haben Schnurrbärte und tragen Piercings in den Nasen. Seit die Kommunalregierung entschieden hat, Fairbourne aufzugeben, sieht Dennis Bird immer häufiger Leute in seinem Pub, die nicht von hier kommen.
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe Wales - Selbstbewusst im Vereinigten Königreich.
Fairbourne ist zu einer Fallstudie für Akademiker geworden. Tom Randall-Page ist ein junger Architektur-Dozent mit blauen Augen und klarem Blick. In dem walisischen Dorf will er seinen Studenten zeigen, was normalerweise nur auf den Philippinen oder in Indonesien, im Globalen Süden passiere, sagt er: Dass der Klimawandel die Menschen aus ihrem Zuhause vertreibt.
"Es ist ein fiktives Projekt. Die Studierenden entwerfen einen temporären Gemeindesaal und dann ist die Idee, sich Elemente partizipativer Demokratie anzuschauen. Also: Wie kommt die Dorfgemeinschaft zusammen? Macht einen gemeinsamen Plan, diskutiert die Probleme und versucht sie proaktiv anzugehen."
300 Treffen, keine Antworten
Partizipative Demokratie, noch so ein akademischer Fachbegriff. Ein echtes Gemeindehaus gibt es schon, sagt Dennis Bird und trinkt noch einen Schluck Bier. Da vorne, nur zwei, drei Häuser die Straße runter, sagt er mit einer wegwerfenden Handbewegung. Er habe schon viele Abende darin verbracht.
"Wir haben alle die Schnauze voll, weil wir auf unsere Fragen einfach keine Antworten kriegen. Wir gehen zu einem Treffen nach dem nächsten, aber die Hälfte der Leute, die uns sagen sollen, was hier passieren wird, hat keine Ahnung davon. Die haben keine Ahnung, wie die Situation hier in den vergangenen Jahren war, die wissen überhaupt nichts."
Mehr als 300 Treffen mit Vertretern der Kommunalregierung hat es in dem Gemeindehaus schon gegeben. Sinnlos seien sie gewesen. Denn die Entscheidung Fairbourne "stillzulegen" habe die Kommunalregierung 2013 schließlich schon vor dem ersten Treffen gefällt. Die Dorfbewohner hätten erst ein Jahr später davon erfahren. Viele aus einem Fernsehbericht der BBC.
"Fairbourne wird nichts passieren"
"Warum habt ihr genau dieses Dorf ausgewählt? Wenn dieses Dorf überflutet wird, dann werden 20 andere Dörfer entlang der Küste genauso geflutet." Sie alle im Dorf würden doch ihr Meer kennen. Fairbourne, da ist sich Dennis Bird sicher, werde nichts passieren.
"Ich bin einer der Freiwilligen im Dorf, die dafür zuständig sind, die Flut zu beobachten. Das mache ich jetzt seit fünf Jahren und in diesen fünf Jahren bin ich nur ein einziges Mal gerufen worden. Da standen wir vor dem Meer und haben darauf gewartet, dass es übertritt und am Ende ist nichts passiert."
Die Kommunalregierung aber orientiert sich nicht an Erfahrungswerten, sondern an Zahlen. Wissenschaftler hätten berechnet, dass gerade Fairbourne nicht überleben könne. Deshalb müsse man jetzt frühzeitig und gemeinsam überlegen, wohin die Dorfbewohner umgesiedelt werden könnten.
Nein, sagt Dennis Bird. So lange das Wasser nicht übertrete, lasse er sich die Dorfgemeinschaft mit dem Pub, der kleinen Post und der Busstation nicht kaputt machen.