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Steinbrück: Kein Spielraum für Steuerentlastungen

Angesichts der erwarteten Mindereinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden hat Finanzminister Peer Steinbrück Forderungen nach Steuerentlastungen eine klare Absage erteilt. Der Bund werde die gesamte kommende Legislaturperiode und darüber hinaus damit beschäftigt sein, von den hohen Schulden wieder herunterzukommen, sagte der SPD-Politiker.

Peer Steinbrück im Gespräch mit Christoph Heinemann | 15.05.2009
    Christoph Heinemann: 316 Milliarden Euro - dieser Betrag wird Bund, Ländern und Gemeinden bis zum Jahr 2013 fehlen, bedingt durch Steuerausfälle. Das ergab die jüngste Steuerschätzung, die gestern vorgestellt wurde. Wir haben vor dieser Sendung mit Bundesfinanzminister Peer Steinbrück gesprochen. Der SPD-Politiker erklärte zunächst, was das für den laufenden und den kommenden Bundeshaushalt bedeutet.

    Peer Steinbrück: Im Lichte dieser wirklich bedrückenden Zahlen aus der Steuerschätzung glaube ich, dass wir in diesem Jahr erhebliche Mehraufwendungen haben im Sinne von einer höheren Netto-Kreditaufnahme, 50 Milliarden aufwärts- Und im nächsten Jahr werden wir wahrscheinlich eine Netto-Kreditaufnahme allein für den Bund haben von an die 90, um die 90 Milliarden Euro. So etwas hat es in der Geschichte der Republik noch nicht gegeben.

    Heinemann: Auf welche Einschnitte müssen sich Bürgerinnen und Bürger einstellen?

    Steinbrück: Im Augenblick versuchen wir, die Konjunktur ja dadurch zu unterstützen, dass wir eben nicht gegensparen, dass wir das, was wir automatische Stabilisatoren nennen, wirken lassen - will sagen, dass wir Steuermindereinnahmen oder generell Mindereinnahmen versuchen, nicht wieder auszugleichen durch Erhöhungen an anderer Seite, oder Mehrausgaben versuchen, an anderer Stelle einzusparen. Dann würden wir diese Konjunktur ja noch weiter verschärfen. Insofern sind mit Blick auf diese scharfen ökonomischen Einschnitte keine Gegenmaßnahmen jetzt beabsichtigt von der Bundesregierung.

    Heinemann: Herr Steinbrück, werden Sie in den kommenden Jahren verfassungskonforme Haushalte vorlegen können?

    Steinbrück: Ich werde nach der gegenwärtigen Gefechtslage Artikel 915 Grundgesetz die Ausnahmeregelung der Verfassung in Anspruch nehmen, bei der Störung eines gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichtes, und ich werde, wenn der Bundestag neu beschlossen hat, diese Schuldenregel zu verschärfen, ab 2011 mit der Netto-Kreditaufnahme einen Spielraum haben von nicht mehr als 65, 66 Milliarden Euro. Das heißt, der Konsolidierungsdruck wird sich schnell ergeben, insbesondere wenn die Konjunkturzahlen wieder nach oben gehen.

    Heinemann: Herr Steinbrück, wenn wir im übertragenen Sinne einen von Ihnen gern bemühten Vergleich ziehen wollen - 316 Milliarden Euro -, stehen wir vor der Ouagadougisierung der Haushaltspolitik, oder steuern wir schon Harare an?

    Steinbrück: Nein. Sie wissen, dass ich inzwischen vorsichtig bin mit solchen Bildern, auch wenn die einen gewissen Unterhaltungswert haben. Ich will daran erinnern, Sie und all diejenigen, die uns zuhören: Es hat einen solchen Rückgang der Steuereinnahmen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bisher nur dreimal gegeben, aber noch nie in diesem hohen erwarteten Ausmaß. Krisenbedingt verlieren wir durch die Konjunktur 213 Milliarden Euro von den 316, die wir insgesamt runtergegangen sind, und das ist einer Situation geschuldet, wo wir in diesem Jahr mit minus sechs Prozent einen konjunkturellen Einbruch haben, den es bisher nie in der 60-jährigen Geschichte Deutschlands gegeben hat. Einige erinnern sich vielleicht, dass der schärfste Einbruch bisher 1975 gewesen ist.

    Heinemann: Minus 0,9!

    Steinbrück: Minus 0,9. - Und dann weiß man, von welchen Rahmenbedingungen diese Zahlen wirklich geprägt sind. Wir müssen Verluste hinnehmen in dieser Krise. Sie helfen uns, die negativen Auswirkungen einigermaßen zu dämmen, aber so wie wir aus dieser Krise wieder heraus sind, werden wir wieder auf den Konsolidierungspfad zurückkehren müssen.

    Heinemann: Wie lange wird es in Ihrer Planung ungefähr - dreimal unterstrichen - dauern, bis der Bund einen ausgeglichenen Haushalt wird vorlegen können?

    Steinbrück: Das ist natürlich abhängig von meinen Prognosefähigkeiten, wie sich das Wachstum in den nächsten drei, vier, fünf, sechs Jahren entwickelt, und da gebe ich ehrlich zu: Das weiß ich genauso wenig wie Sie oder andere, die sich mit wirtschaftlichen Kennziffern beschäftigen. Meine Wahrnehmung ist, dass wir die gesamte nächste Legislaturperiode erhebliche Anstrengungen unternehmen müssen, um von diesen hohen Neuverschuldungen des Bundes wieder herunterzukommen. Das wird unseren Handlungsspielraum, den Handlungsspielraum der Politik generell in Deutschland, in den ganzen nächsten vier Jahren der neuen Legislaturperiode erheblich einschränken, und deshalb verspreche ich auch nichts.

    Heinemann: Rechnen Sie da eher in Jahrzehnten?

    Steinbrück: Na ja, wir haben einmal, wie ich finde, den Lackmustest ja ganz gut bestanden, übrigens auch diese Große Koalition. Wir haben zwischen 2005 und 2008 in einem anderen konjunkturellen Umfeld die strukturelle Verschuldung des Bundes von immerhin 55 Milliarden Euro auf ungefähr 11 bis 15 Milliarden Euro verringern können - das war ja keine ganz schlechte Leistung - und trotzdem haben wir Impulse gesetzt für Kinderbetreuung, Forschung und Entwicklung, Hochschulen, Verkehrsinfrastruktur. Also deshalb verzage ich da nicht, und dieses Land ist groß und kräftig genug, um so etwas auch zu wiederholen.

    Heinemann: Über das Bürgerentlastungsgesetz hinaus halten Union und FDP am Ziel Steuersenkungen fest. Otto Fricke (FDP), der Vorsitzende des Haushaltsausschusses, sagte gestern in dieser Sendung:

    "Der eigentliche Fehler im System lag in den drei fetten Jahren, die wir vorher hatten. Da hat man schlichtweg vergessen, einfach mal sich an das biblische Beispiel zu erinnern der drei fetten Kühe - beziehungsweise in dem Fall waren es sieben -, die von den sieben mageren sogar aufgefressen werden. Wir können nicht Dinge jetzt noch subventionieren, von denen wir wissen, dass sie in Zukunft keinen Markt mehr haben. Hätte sich nicht jeder Standort mit einem Steinkohlebergwerk gefreut, wenn die Subventionen runtergegangen wären, aber die Bereitschaft für eine Universität oder eine Fachhochschule wäre da gewesen? Ich muss rangehen natürlich an die Entwicklungshilfe, und warum ist es denn so, dass wir über Jahre hinweg dieselben Arbeitsmarkt-Fördermittel machen, wenn am Ende da doch gar keine Veränderung kommt."

    Heinemann: Also Steuererleichterungen wären finanzierbar, meint Otto Fricke von der FDP, Herr Steinbrück, und in der Tat: Irgendwie müssen die Pferde wieder saufen.

    Steinbrück: Ich kenne Otto Fricke und schätze ihn als einen sehr tüchtigen, sehr zu respektierenden Vorsitzenden des Haushaltsausschusses, und ich habe den Eindruck, dass er da ein bisschen was vom Pferd erzählt hat.

    Heinemann: Jetzt kommt das "aber".

    Steinbrück: Ja. Er selber weiß, dass es diese Spielräume nicht gibt. Er muss da eine FDP-Linie wahrnehmen; das sei ihm konzediert. In Wirklichkeit wissen alle, die sich fachlich damit beschäftigen, dass im höheren zweistelligen Milliardenbereich null Spielraum ist für weitere Steuersenkungen. Bei den Verschuldungen, die wir haben, bei den Einschränkungen, die wir in Kauf nehmen müssen, halte ich jedes Versprechen in dieser Dimension für völlig waghalsig, illusionär. Ich wundere mich über manche Positionen, die wahrgenommen werden, auch von einem CDU-Wirtschaftsrat, wo so getan werden kann, als ob wir noch mal eben die Erbschaftssteuer abschaffen können, die Gewerbesteuer abschaffen können, den Mittelstandsbauch beseitigen können und auch die Refinanzierungselemente in der Unternehmenssteuerreform korrigieren können. Also da versucht jemand, die Quadratur des Kreises zu beschreiben, und damit drücke ich mich milde aus und höflich.

    Heinemann: Wer die Tricks kennt, spart Steuern und kalte Progression frisst Gehaltserhöhungen auf: Irgendwie ist das ganze System doch widersinnig.

    Steinbrück: Da muss man unterscheiden, auch vor dem Hintergrund der Zahlen, die jetzt die OECD bekannt gegeben hat. Verheiratete in Deutschland mit ein, zwei Kindern sind wahrscheinlich besser als der Durchschnitt in der EU besteuert. Richtig ist, dass Singles deutlich mehr belastet sind, aber da müssen Sie auch einen Unterschied machen zwischen der Steuerbelastung und der Belastung durch die Sozialversicherungsabgaben. Viele Menschen, insbesondere diejenigen, die weniger verdienen, leiden überproportional unter den Sozialversicherungsabgaben und nicht unter der Steuerlast. Ich weiß, dass die Menschen sagen, unter dem Strich will ich wissen, was in meinem Portemonnaie ist.

    Heinemann: Eben!

    Steinbrück: Ja, richtig, aber deshalb immer vorsichtig, die Steuerbelastung in Deutschland zu dem Kernproblem zu machen. Wir hätten wahrscheinlich mehr und intensiver darüber zu reden, wie finanzieren wir unsere Sozialsysteme.

    Heinemann: Und wir haben gelernt, dass es erhaltenswerte Banken gibt. Sind Bürger nicht auch systemrelevant?

    Steinbrück: Das streitet ja keiner ab. Nur alle Bürger, von der Rentnerin bis zu denjenigen, die Altersvorsorge betreiben, bis zum Handwerksmeister, der einen Betriebsmittelkredit braucht, der Kommunalpolitik, die Kassenkredite braucht, den großen Unternehmen, die sich finanzieren müssen, die müssen ein Interesse haben an einem stabilen, funktionsfähigen Finanzmarkt.

    Und es ist ja nicht so, dass wir den Banken 500 Milliarden Euro überwiesen haben. Das ist ein falsches Bild. Wir sind teilweise Bürge. Wir sind diejenigen, die Garantien übernehmen, aber deshalb überweisen wir ja nicht den Banken die exorbitant hohe Summe von 500 Milliarden Euro.

    Heinemann: Stichwort Banken. Rechnen Sie damit, dass weitere Milliardenbeträge zur Verfügung gestellt werden müssen, um die Unterkapitalisierung der Banken auszugleichen? Die Schrottpapiere wurden ja nicht abgekauft, sondern nur ausgegliedert.

    Steinbrück: Nein. Ich hoffe, dass der Spielraum, den wir eingeräumt haben, auch genutzt wird, aber auch ausreicht. Das was wir jetzt gemacht haben ist, dass wir den Banken ein großes Zeitfenster eröffnen auf der Zeitachse, sich zu erholen und sich zu entlasten und diesen ständigen Eigenkapitalverzehr - das fressen sie ja alles auf - zu unterbinden, weil sie dieses Eigenkapital eigentlich brauchen fürs Neugeschäft, das was wir gerne wollen, Kredite auszuleihen an Mittelständler oder große Unternehmensfinanzierungen zu machen. Wir haben immerhin ein Modell entwickelt, anders als in vielen anderen Teilen der Welt, das die Steuerzahler den Haushalt weitestgehend entlastet, indem wir im Zweifelsfall sogar sagen, am Ende der Laufzeit dieser Papiere müssen die Alteigentümer für mögliche Risiken haften.

    Heinemann: "Das was wir gerne wollen", haben Sie gerade gesagt, Herr Steinbrück. Wie kann man denn ausschließen, dass die Banken jetzt nicht fröhlich risikoreich weiterspekulieren? 25 Prozent Rendite muss man irgendwie erreichen.

    Steinbrück: Ja. Das ist ein Satz, der mir auch nicht sehr gut gefällt, zumal er wiederholt ist, und mir das politische Umfeld auch nicht gerade gewogener macht, wenn man unpopuläre Maßnahmen versucht durchzusetzen. Noch einmal: Wir brauchen stabile Verhältnisse auf dem Finanzmarkt. Die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt mit 80 Millionen Einwohnern kann es sich nicht leisten, dass große Kreditinstitute an den Rand der Existenzfähigkeit gebracht werden. Das heißt, was wir dort machen sind nicht irgendwelche Stützungsmaßnahmen für Banker, sondern das ist volkswirtschaftlich notwendig.

    Heinemann: Aber hätte der Staat nicht einsteigen müssen, um auch mitzubestimmen was jetzt passiert, in der Unternehmensführung?

    Steinbrück: Ich meine, haben Sie nicht mitgekriegt, dass wir bei der Commerzbank mit 25,1 Prozent beteiligt sind, und haben Sie das Theater nicht mitgekriegt, als es um die Verstaatlichung beziehungsweise die Enteignung von Hypo Real Estate ging und wo einige dachten, der nackte Sozialismus kriecht mir aus allen Knopflöchern?

    Heinemann: J.P. Morgan rechnet damit - Stichwort Commerzbank -, dass die bald zu 100 Prozent in Staatsbesitz sein wird. Stimmen Sie dem zu?

    Steinbrück: Das kann ich nicht beurteilen. Ich weiß, dass die Amerikaner und die Briten sehr viel pragmatischer, sehr viel problemadäquater, sehr viel unaufgeregter und nicht von dieser deutschen Schwerblütigkeit ordnungspolitischer Debatten dazu übergegangen sind, Banken zu verstaatlichen. Gucken Sie sich an eine Royal Bank of Scotland, eine der größten Banken bis vor zwei Jahren ist wahrscheinlich inzwischen zu 80 oder 85 Prozent im Eigentum des britischen Staates. Die Amerikaner machen es auf einem anderen Wege, sie nennen es auch etwas anders, siehe Fannie Mae, Freddie Mac, Bear Stearns, AIG, wie immer die Institute in den USA heißen.

    Heinemann: Also das wäre besser als das, was wir machen?

    Steinbrück: Das habe ich nicht gesagt. Es ist auch nicht vergleichbar. Der deutsche Bankensektor unterscheidet sich ja auch von den Verhältnissen in Großbritannien und in den USA. Gucken Sie sich an, dass wir einen sehr stabilen Sektor haben mit Raiffeisen- und Volksbanken, gucken Sie sich die sehr wichtigen und auch mit dem Mittelstand in wichtigen Dienstleistungsbeziehungen stehenden öffentlich-rechtlichen Sparkassen an. Die Landesbanken sind ein Problem. Also man muss da die Sonde sehr genau anlegen.

    Heinemann: Hätte man die Banken verpflichten sollen zur Auslagerung von Schrottpapieren?

    Steinbrück: In meinen Augen nein. Ich glaube, dass es richtig gewesen ist, dass wir ihnen die Möglichkeit einräumen. Viele haben zunehmend davon auch Gebrauch gemacht, langsam, wie ich zugebe, und ich müsste ein Gesetz ganz anders stricken, wenn ich eine Zwangslösung einführen würde.

    Heinemann: Rechnen Sie damit, dass die Landesbanken das Bad-Bank-Modell komplett übernehmen werden?

    Steinbrück: Einige Landesbanken ja, die insbesondere diese vergifteten Papiere haben, Schrottpapiere, wie immer man das umgangssprachlich und nicht in diesen englischen Begriffen bezeichnen will. Aber sie sind auch an dem weiteren Schritt, den wir planen, maßgeblich interessiert, wo wir ein weiteres Modell auf das jetzt vorgestellte Modell aufsetzen wollen, und das erstreckt sich auf sogenannte illiquide Wertpapiere oder auf solche Geschäftsfelder, die die Landesbanken gerne los werden wollen, weil sie erkennbar nicht mehr zu ihrem Kerngeschäft gehören. An der Lösung arbeiten wir und versuchen, dies noch einzuspielen in den parlamentarischen Beratungsprozess vor der Sommerpause.

    Heinemann: Sollte der Bundestag - Stichwort - jetzt schon einmal Sitzungen für die Sommerferien einplanen, so dass die Abgeordneten nicht für viel Geld hin- und herfahren müssen, wenn wegen der Krise Entscheidungen getroffen werden müssen?

    Steinbrück: Da halte ich mich als Mitglied der Regierung, will sagen der Exekutive mit Empfehlungen sehr zurück. Das ist Sache des Parlamentes.

    Heinemann: Herr Steinbrück, wie verbringen Sie gegenwärtig am liebsten die wenige Freizeit, die Ihnen die Krise lässt?

    Steinbrück: Mit Schachspielen und Literatur und bei dem Wetter furchtbar gerne mal in einem Biergarten in Berlin.