Freitag, 19. April 2024

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Steinmeier: G8-Gipfel für anspruchsvolle Themen nutzen

Außenminister Steinmeier hält die hohen Sicherheitsvorkehrungen für den G8-Gipfel in Heiligendamm für notwendig. Der Aufwand verlange allerdings auch die Beschäftigung mit anspruchsvollen Themen, selbst wenn eine Einigung nicht garantiert sei. Mit Blick auf die Differenzen mit den Vereinigten Staaten beim Klimaschutz meinte der SPD-Politiker, dabei handele es sich um unterschiedliche Philosophien. Die USA wollten den Klimawandel durch neue Technologien beherrschbar machen. Deutschland halte darüber hinaus verbindliche Grenzwerte für erforderlich. Grundsätzlich gebe es aber Übereinstimmung, dass in den nächsten 15 Jahren Maßnahmen gegen die Erderwärmung notwendig seien.

Moderation: Sabine Adler | 03.06.2007
    Sabine Adler: Der G8-Gipfel in Heiligendamm, Herr Minister, wird mit einem immensen Aufwand vorbereitet. Wenn dieser Gipfel in Ihrem Wahlkreis stattfinden würde, wie würden Sie Ihren zukünftigen Wählern erklären, warum in diesem Jahr dieser Gipfel nur mit einem solchen Aufwand möglich ist und warum man nicht, wie zum Beispiel 1975, als man mal angefangen hat, zu diesen fünf Stühlen einfach acht Stühle dazu stellt oder vielleicht auch einfach nur drei Stühle - wenn man bei der Zahl acht bleibt. Warum muss das dieser Aufwand sein?

    Frank-Walter Steinmeier: Ich glaube, jeder der Beteiligten wünschte es sich, dass wir in der selben Art und Weise wie Mitte der 70er Jahre zu solchen Gipfelkonferenzen zusammenkommen. Die Umstände haben sich verändert. Und als Gastgeber sind wir gehalten, darauf Rücksicht zu nehmen. Wir sind verantwortlich für die Sicherheit all derjenigen, die als Gast hier zu uns kommen. Und die Themen sind wichtig genug. Insofern müssen wir leider das tun, was Voraussetzung ist zur Gewährleistung von Sicherheit unserer Gäste und dennoch gewährleisten, dass diejenigen, die Fragen zu stellen haben, auch diejenigen, die demonstrieren wollen, von ihrem Demonstrationsrecht Gebrauch machen können.

    Adler: Sind Sie glücklich mit diesem Bild, das um die Welt gehen wird, nämlich von der umzäunten Tagungsstätte - also Deutschland sozusagen erstens wieder mit Zaun, zwar nicht mit Mauer, und dann eben so fernab vom normalen Leben?

    Steinmeier: Ich bin überhaupt nicht glücklich darüber. Und wenn es eine andere Alternative gäbe, glauben Sie mir, würde ich und würden andere sicherlich zu einer Alternative greifen, die diesen Vorrat an Sicherheit nicht braucht. Denn: Was natürlich in der öffentlichen Diskussion verloren geht, dass wir Konferenzen, Zusammenkünfte wie diese brauchen.

    Adler: Der Gipfel wird gemessen werden an den Ergebnissen, die er erzielen wird, das ist ganz klar. Haben Sie das Gefühl, dass diejenigen, die jetzt davor warnen, dass der Gipfel platzen könnte, weil man sich nicht auf einen Klimaschutz hier einigen kann, dass diejenigen sozusagen bewusst tiefstapeln, um nicht enttäuscht zu werden?

    Steinmeier: Nein, ich glaube nicht, dass mit einer solchen Taktik an die Vorbereitung des Gipfels herangegangen wird. Es wäre ja einfach, sich einen Gipfel zu organisieren mit niedrigrangigen Themen, bei denen Vereinbarungen sehr leicht möglich sind. Aber ich glaube, wenn man erstens den Aufwand betreibt, wenn man die G7- oder die G8-Staaten, zu denen die größten und wichtigsten Volkswirtschaften der Welt gehören, hier nach Deutschland einlädt, wenn man dies kombiniert mit einer Einladung an die wichtigen Schwellenländer wie Mexiko, wie Südafrika, China, Brasilien, dann glaube ich, rechtfertigt es sich auch - oder ist sogar verlangt -, dass wir eine solche Zusammenkunft auch mit anspruchsvollen Themen beschäftigen - und ich sage immer wieder -, selbst dann, wenn der Erfolg nicht in jeder Hinsicht garantiert ist.

    Adler: Gibt es eine Chance, dass es tatsächlich eine Annäherung gibt in Heiligendamm, oder muss man vermuten, dass die Amerikaner es tatsächlich darauf ankommen lassen, ihre Vorstellung der Dinge dort durchzubringen - auf die Gefahr hin, dass der Gipfel platzt?

    Steinmeier: Der Gipfel wird nicht platzen, er wird stattfinden - selbst wenn wir nicht in allen Punkten, bei denen wir uns Einigung wünschen, Einigung erreichen werden. Und wir beginnen das Gespräch nicht auf dem G8-Gipfel, sondern führen es mit den Amerikanern schon eine geraume Zeit lang. Ich selbst habe mit der amerikanischen Außenministerin eine gemeinsame Konferenz über Energietechnologien vor zirka zwei Monaten in Washington eröffnet, es hat einen EU-USA-Gipfel gegeben, der sich vornehmlich diesem Thema gewidmet hat. Ich glaube, wir sind nicht auseinander, was die grundsätzliche Einschätzung angeht. Aus meinen Gesprächen mit der amerikanischen Außenministerin und anderen beteiligten Senatoren aus Washington weiß ich, dass die internationalen Gutachten, die wir alle kennen und die uns sagen, dass wir jetzt in der Politik maximal 15 Jahre Zeit haben, um durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass aus dem Klimawandel keine Klimakatastrophe wird. Dies ist eine Sichtweise, von der man auch in den USA ausgeht. Nur - und darum sage ich, wir streiten hier im Augenblick noch nicht so sehr über Grenzwerte, sondern Philosophien - die USA gehen eben davon aus, dass man den Klimawandel beherrschbar machen kann durch die rasante Entwicklung von neuen Technologien, während wir sagen: Jawohl, wir brauchen neue Technologien, und wir müssen Geld und Kreativität in diese Energietechnologien hineinstecken soviel wie möglich. Nur, das wird nicht ausreichen, wenn wir die nächste Zeitphase nicht begleiten durch verbindliche Grenzwerte.

    Adler: Würden Sie so weit gehen, dass die Welt im Klimakampf sozusagen zwei Jahre verliert, zumindest so lange, bis der nächste amerikanische Präsident gewählt ist?

    Steinmeier: Der wesentliche Druck auf die amerikanische Politik resultiert aus meiner Sicht gar nicht so sehr aus dem Kampf zwischen Demokraten auf der einen Seite und Republikanern auf der anderen Seite, der wesentliche Druck kommt hier aus den unteren Ebenen - sprich von der Ebene der Staaten, vor allen Dingen aber von der Ebene der Kommunen in den Vereinigten Staaten, die hier eine wirklich ...

    Adler: Das Bremsen oder das Befördern des Klimaschutzes?

    Steinmeier: ... das Befördern einer aktiven Klimaschutzpolitik. Und ich glaube, dass das nicht ohne Folgen bleiben wird, unabhängig davon, wer im Gesamtstaat in den USA regiert und regieren wird. Ob wir verlieren? Mag sein, dass wir nicht zu den ganz ehrgeizigen Vereinbarungen kommen werden in Heiligendamm, aber wir sollten auch nicht ganz so auf dem hohen Ross sitzen. Ich habe vor kurzem in einer Rede mal sehr zugespitzt gesagt: Wir, die wir hier in Europa offene Schwimmbäder seit Jahrzehnten heizen, sollten vorsichtig sein, wenn wir Maßnahmen verlangen, die in der Dritten Welt den Betrieb eines Kühlschrankes nicht erlauben.

    Adler: Die Differenzen mit Russland, zum Beispiel beim Thema Kosovo, auch im Raketenstreit, die Differenzen mit den Vereinigten Staaten, von denen ja manche schon wieder sagen, die könnten geeignet sein, wieder einen neuen Graben aufzureißen zwischen Berlin und Washington - wie sehr kann man dann der Philosophie folgen, die der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck geäußert hat, nämlich nach der Äquidistanz zwischen Washington und Moskau?

    Steinmeier: Das Verhältnis zu Russland ist ein weites Feld, erst recht in diesen Tagen. Und ich bin der Letzte, der leugnet, dass wir aktuell eine ganze Reihe von Schwierigkeiten und Konflikten haben, die wir nicht vom Tisch bekommen. Dazu gehört der Streit um das polnische Fleisch, dazu gehörte jüngst der Streit, der ausgelöst war zwischen Russland und Estland nach der Verlegung des russischen Ehrenmals in Tallin und den anschließenden Eskalationen rund um die estnische Botschaft in Moskau, dazu gehört der noch nicht gelöste Streit um Kosovo, dazu gehört der Streit um missiles crisis. Wenn ich es aufzähle, klingt es danach, als ob das ein Verhältnis ist, das keine Aussicht auf Besserung hat, oder andere sagen, das schon ruiniert ist. Nur - wissen Sie - als Außenminister bin ich nicht derjenige, der für den nächsten Morgen eine Headline zu entwickeln hat oder Zeitungsartikel füllen muss, sondern ich bin in der Verpflichtung, das Verhältnis zu einem großen Nachbarn, den wir als Nachbarn haben, behalten werden, behalten wollen und als Partner zunehmend gewinnen wollen, dass wir dieses Verhältnis wieder in Ordnung bringen. Dennoch glaube ich, müssen wir uns bemühen, muss ich mich bemühen, einen Dialog mit Russland aufrecht zu erhalten, der sicherstellt, dass wir lösbare Konflikte tatsächlich auch lösen. Ich glaube, diese Endzeitstimmung, in die sich manche selbst hineinversetzen, Russland als Partner aufgeben, ist aus vielen Gründen - ich meine auch wirtschaftlich, aber weiß Gott nicht nur die - ein falsches Signal.

    Adler: Wenn man jetzt die Strecken ausmisst - Sie haben jetzt die Wegstrecke sozusagen bis nach Moskau vermessen -, ist die bis nach Washington, nicht geografisch gesehen, sondern inhaltlich gesehen, kürzer oder länger? Wir reden immer noch über Äquidistanz.

    Steinmeier: Nein, ich glaube, wir müssen uns überhaupt nicht verunsichert zeigen über die Grundlagen der deutschen Außenpolitik. Für mich bleibt und steht fest, dass das transatlantische Verhältnis einer der Eckpfeiler der deutschen Außenpolitik ist, er ist ergänzt worden - und ich sage Gott sei Dank und richtiger weise - durch europäische Integration - Vertiefung der Integration - in den letzten Jahren, verbunden mit einer Erweiterung, die nur möglich geworden ist durch deutsche und europäische Einheit. Insofern glaube ich, müssen wir uns selbst nicht wieder in verunsichernde Diskussionen hineinführen, wo wir denn stehen. Unser Standpunkt in der internationalen Politik ist fest, und meine Philosophie bleibt, dass wir dazu aufgerufen sind, den Dialog mit denjenigen zu suchen, die ihn gewillt sind, mit uns zu führen. Und das ist eine Politik, die sich in der Vergangenheit gerechnet hat, und ich bin sicher, auch in Zukunft rechnen wird, weil sie ohne Alternative ist.

    Adler: Vielleicht muss ja die Philosophie ja nicht neu formuliert werden hier im Auswärtigen Amt, sondern in der SPD-Fraktion oder in der Partei grundsätzlich?

    Steinmeier: Ach, das glaube ich nicht. Ich habe jedenfalls keinen erlebt, der grundlegende Zweifel an der, wie ich finde, richtigen Anlage meiner Außenpolitik hat. Insofern sollten auch Sie manche Bemerkung zu diesem Punkt nicht überschätzen.

    Adler: Stichwort Menschenrechte, Stichwort Russland. Wir haben in Samara beim EU-Troika-Treffen mit Russland gesehen, dass man mit dem russischen Präsidenten Putin durchaus sehr, sehr offen reden kann. Hatten Sie während dieser Pressekonferenz, an der Sie ja teilgenommen haben, das Gefühl, dass Ex-Kanzler Schröder unnötigerweise zu zurückhaltend war?

    Steinmeier: Ja, das war eine Interpretation, die ich ja so nie übernehmen konnte aus der Vergangenheit, weil ich aus eigener Wahrnehmung der tiefen Überzeugung war, dass das auch in der Vergangenheit ein relativ offenes Gespräch war. Natürlich entwickelt sich auch Russland in der Zeit und auch in den letzten Jahren, und natürlich entwickelt sich auch in Russland wachsendes Selbstbewusstsein derjenigen, die auf die Straßen gehen. Insofern sind in der Tat Demonstrationen häufiger geworden, leider auch staatliche Reaktionen darauf. Und wenn ich sage, es ist ein Fortschritt, dass wir jetzt offen darüber reden können, heißt das ja nicht billigen, dass manche Demonstrationen verboten werden oder aus sonstigen Gründen nicht zustande kommen. Wir sollten das Gespräch darüber nicht scheuen, aber was ebenso wichtig ist: Wir sollten unser Verhältnis zu Russland auch nicht völlig darauf reduzieren.

    Adler: Herr Außenminister, Sie haben versucht, der G8-Präsidentschaft in diesem Jahr einen besonderen Stempel aufzudrücken, nämlich mit dem Bemühen, Pakistan und Afghanistan näher wieder aneinander rücken zu lassen im vereinten Kampf gegen die Taliban. Haben Sie das Gefühl, dass die selbe Anstrengung, vielleicht sogar noch eine größere Mühe notwendig sein wird, die SPD, Ihre Partei, davon zu überzeugen, der Mandatsverlängerung zuzustimmen im Herbst bei der Operation Enduring Freedom?

    Steinmeier: Ich glaube in der Tat, dass nicht nur die Bundestagsfraktion und nicht nur die SPD als Partei, sondern die Öffentlichkeit Anspruch darauf hat, wie wir uns die Afghanistanpolitik im nächsten Zeitabschnitt des nächsten Jahres vorstellen. Dazu gehört in der Tat auch die Mandatserteilung. Dafür brauchen wir eine Mehrheit im Deutschen Bundestag, und bei der bin ich mir sicher, dass wir sie bekommen werden. Wenn ich aber sage, die Öffentlichkeit hat einen Anspruch darauf, zu erfahren, wie die Politik aussieht, gehört dazu eben mehr als nur die Verlängerung der militärischen Präsenz, sondern vor allen Dingen auch Aussagen darüber, wie wir zum Beispiel durch Finanzierung der Wiederaufbauprojekte sicherstellen, dass die afghanische Bevölkerung unsere Anwesenheit nach wie vor nicht als Besatzung empfindet, sondern als Hilfe zum Wiederaufbau. Und es gehört drittens auch hinzu, dass wir in der Öffentlichkeit sagen, welche ergänzenden Politikelemente haben wir eigentlich, die zu mehr Sicherheit in Afghanistan beitragen können. Es gehört zu meiner schon sehr langen Überzeugung, dass wir mehr Sicherheit letztlich in Afghanistan nur haben werden, wenn wir zu einer Kooperation der regionalen Partner kommen werden. Und wir wissen, dass das im Verhältnis zwischen Afghanistan und Pakistan aus unterschiedlichen gründen bisher nicht möglich war. Da spielen Streit und nicht anerkannte Grenzen eine Rolle, die ich aber jetzt gar nicht in den Vordergrund spielen will, sondern entscheidend scheint mir zu sein, dass das politische Gespräch zwischen Kabul und Islamabad bisher nicht gefunden worden ist. Im Gegenteil, über die Öffentlichkeit wurde ein Schauspiel vorgeführt, in dem der eine dem anderen vorwirft, verantwortlich zu sein für die wachsende Anzahl von Attentaten in Afghanistan. Und mir ging es darum, diesen Prozess des öffentlichen Schuldvorwurfs an die jeweils andere Seite zu beenden.

    Adler: Wenn wir jetzt aber für das westliche Bündnis beziehungsweise für die Staaten, die an der Operation Enduring Freedom teilnehmen, denken, dann ist diese Operation bislang jedenfalls doch eine Voraussetzung dafür gewesen, dass das, was aufgebaut wird, nicht durch neue Anschläge der Taliban zum Beispiel sofort wieder zunichte gemacht wird. Das heißt mit anderen Worten, irgend jemand muss den Kampf gegen die Taliban führen. Bislang war es im Rahmen des OEF-Mandats dieser Kampf. Wie kann man die deutsche Öffentlichkeit davon überzeugen, dass Deutschland tatsächlich weiter machen muss und diesen Kampf mit führt?

    Steinmeier: Das versuche ich zu tun. Reisen in die Region dienen ja auch nicht der persönlichen Weiterbildung, sondern sind auch eine Grundlage dafür, dass man sich selbst vergewissert, dass unser Engagement in Afghanistan weiterhin notwendig ist. Und das bin ich in der Tat aus ganz verschiedenen Gründen. Wissen sie, ich habe jedes Verständnis der Welt, erst recht nach dem Attentat auf die deutschen Soldaten, denen drei Deutsche leider zum Opfer gefallen sind. Dass das öffentliche Diskussionen gibt, das ist richtig, das ist notwendig und unvermeidbar. Bei der Diskussion über die Sicherheitslage in Afghanistan gerät allerdings immer wieder in den Hintergrund, dass dieses Land in fünf Jahren sich tatsächlich in wichtigen Bereichen entwickelt hat. Und ich war jetzt selbst im Abstand von sieben oder acht Monaten in Afghanistan. Es ist auch innerhalb dieser sieben bis acht Monate zu besichtigen, dass manche Dinge voran kommen. 80 Prozent der Bevölkerung haben jetzt Zugang zu einer medizinischen Versorgung, nicht durchweg auf hohem Standard natürlich, aber mindestens einer medizinischen Grundversorgung. Sechs Millionen Kinder gehen wieder zur Schule, davon immerhin 40 Prozent Mädchen. Es ist uns in der Tat nicht genügend gelungen, gegen den Drogenanbau vorzugehen. Ich habe jetzt gerade erst wieder gemeinsam mit der Aga-Khan-Stiftung ein neues Projekt eröffnet, in dem wir 40 Hektar landwirtschaftliche Fläche umnutzen in Pistazienanbau, um der dortigen Bevölkerung ein eigenständiges Einkommen abseits vom Drogenanbau zu ermöglichen. Daneben aber arbeiten die zivilen Helfer sämtliche unter Bedingungen, die noch keine ausreichende Sicherheit garantieren. Deshalb brauchen wir für einen Übergangszeitraum die Anwesenheit militärischer Präsenz der internationalen Staatengemeinschaft. Und wir müssen diese Übergangszeit nutzen, das ist mein Anspruch, die afghanischen Behörden, und ich meine das afghanische Militär ebenso wie die afghanische Polizei, so auszurüsten, damit sie nach und nach tatsächlich Eigenverantwortung für die Gewährleistung der Sicherheitslage übernehmen können. Und wenn ich das sage, weiß ich, Frau Adler, wir müssen in diesem Bereich der Ertüchtigung der afghanischen Sicherheitsbehörden eher mehr tun als weniger in den nächsten Jahren.

    Adler: Jetzt sind Sie aber ganz geschickt immer wieder darum herum gekreist, wer nun den Kampf gegen die Taliban führen wird. OEF?

    Steinmeier: Ich bin nicht bewusst um diese Frage herum gekreist, sondern ich habe Sie bestätigt darin, dass wir den Kampf gegen terroristische Kräfte nach wie vor führen müssen. In der gegenwärtigen Aufgabenaufteilung zwischen ISAF und OEF wird das weiterhin von OEF gewährleistet werden müssen.

    Adler: Sie werden wahrscheinlich im Oktober als Parteivize ein neues Amt, ein Parteiamt bekommen. Herr Steinmeier, das wird geschehen auf einem Parteitag, der zugleich auch das neue Grundsatzprogramm der SPD verabschieden wird. Dieses Grundsatzprogramm enthält viele Aussagen zur Globalisierung, die aber irgendwie alle doch Globalisierung eher als etwas Bedrohliches, als etwas Beklagenswertes darstellen, aber nicht die neuen Chancen, die neuen Möglichkeiten herausstellen. Würden Sie zustimmen, dass der SPD der frühere Internationalismus abhanden gekommen ist, nämlich nicht nur für deutsche Arbeitnehmerinteressen zu kämpfen, sondern vielleicht sich genau so verantwortlich zu fühlen für den Arbeitnehmer in Asien, in Afrika oder wo auch immer. Das heißt, welche Rolle spielt der Internationalismus tatsächlich in der Globalisierung und was können Sie? Haben Sie überhaupt die Vorstellung, die Idee, als Außenminister - weltweit gereist, welterfahren etwas einzubringen?

    Steinmeier: Zunächst einmal, was das Grundsatzprogramm selbst angeht, so sind die Chancen durchaus auch beschrieben. Aber ich glaube, es steht der SPD gut zu Gesicht, dass wir eben nicht nur auf die Chancen, die wir als entwickelte Industriestaaten ganz ohne Zweifel haben in der Globalisierung - und wir nutzen sie ja, ohne diese Chancen wären wir nicht Exportweltmeister, ohne diese Chancen würden wir nicht ein erneutes stabiles Wachstum in diesem unserem Land mit der Folge des Abbaus von Arbeitslosigkeit haben - es steht uns gut zu Gesicht, dass wir daneben auch die Risiken beschreiben, und dass wir uns verantwortlich dafür fühlen, Politik so zu gestalten, dass Risiken vermindert werden. Ich finde, dies ist zunächst mal kein Nachteil und erlaubt auch noch keine Aussage darüber, ob die SPD genügend international aufgestellt ist. Was ich aber richtig finde in Ihrer Mahnung ist, dass wir uns in diesem Prozess manchmal etwas stärker von nationaler Nabelschau befreien sollten und uns insgesamt - nicht nur die SPD, sondern insgesamt - internationaler aufstellen sollten. Also, eine Diskussion um unsere internationale Einbindung hätte ich gerne, auch etwas nachdrücklicher, aber nicht nur in der SPD.

    Adler: Besteht ein Konsens zwischen den drei Parteivize, also Andrea Nahles, Peer Steinbrück und Ihnen, Herr Steinmeier, dass die SPD weiter nach links rücken muss, weil es eine linke Mehrheit in der Bevölkerung gibt, und dort die meisten Wähler zu holen sind, die bislang oder die immer mehr, immer häufiger die Linkspartei für sich gewinnt?

    Steinmeier: Ich denke, Frau Adler, diese Frage ist wesentlich motiviert aus dem aktuellen Umfragehoch der Linkspartei. Dieses überschätze ich nicht. Ich verkenne nicht, dass uns die Erfolge der Linkspartei in Landtagswahlen Schwierigkeiten machen werden, aber dieser populistische Kurs, den Herr Lafontaine dort anstimmt, wird mit Sicherheit keine Glaubwürdigkeit über den Tag hinaus haben. Und deshalb sollte uns das nicht verleiten, zu falschen Entscheidungen zu kommen. Ich sage im Gegenteil - habe es bei der Pressekonferenz zusammen mit Kurt Beck, Andrea Nahles und Peer Steinbrück auch gesagt - ich sage im Gegenteil, wir sollten ganz selbstbewusst zu dem stehen, was wir in der Vergangenheit entschieden haben und was letztlich doch jetzt sichtbar der richtige Weg für unser Land war. Wenn dies der richtige Weg war, kann ich nicht erkennen, dass wir uns durch Umfragehochs der Linkspartei von einem richtigen Weg abbringen lassen sollten.

    Adler: Wenn wir uns anschauen, was Andrea Nahles mit der Rente ab 67 gerade macht, nämlich sich weiter in Richtung Arbeitnehmerinteressen zu bewegen, dann kann man den Eindruck haben, dass sie doch in diese Richtung möchte.

    Steinmeier: Ich habe vor allen Dingen den Eindruck, dass viele Andrea Nahles in diese Richtung drücken möchten. Sie hat die Frage gestellt und geht dieser Frage mit einigen Experten nach, ob die Rente mit 67 für jede hochbelastete Berufsgruppe eine Lösung ist, die in dieser puristischen Form durchzuhalten ist. Ich kann von mir aus nicht sagen, ob es und wo vor allen Dingen andere Lösungen liegen. Der Weg jedenfalls zur Verlängerung des Lebenszeitalters auf 67 muss gegangen werden, und wir sollten ihn letztlich nicht nur bedauern, sondern er ist ja auch Folge davon, dass wir alle miteinander zehn Jahre länger leben als diejenigen, die in den 50er Jahren in Rente gegangen sind, und letztlich auch Folge einer Demografie, in der wesentlich weniger Beitragszahler zur Verfügung stehen um die Renten derjenigen zu zahlen, die in den Ruhestand gehen.

    Adler: Sie sind gerade während der G8-Präsidentschaft und EU-Ratspräsidentschaft viel gereist. Wenn der 1. Juli herangerückt ist, wird sie dann der Weg in Ihren Wahlkreis führen, nach Brandenburg an der Havel?

    Steinmeier: Ja, das ist schon verabredet, und ich hoffe, dort freut man sich auf mich. Jedenfalls habe ich angekündigt, dass wir in der dritten Augustwoche eine umfangreiche Bereisung des Wahlkreises durchführen, von Fläming bis an die Havel - ein schöner Wahlkreis mit netten Menschen, jedenfalls denjenigen, die ich bisher kennen gelernt habe, und ich bin mir sicher, dass es viele weitere gibt. Ich freue mich jedenfalls auf den Wahlkreis, und aus den Stimmen, die ich auch im Deutschlandfunk dazu höre, ziehe ich den Optimismus, dass ich dort willkommen bin.

    Adler: Und den Umzugswagen schicken Sie dann auch irgendwann hin?

    Steinmeier: Den Umzugswagen - ich werde mit Sicherheit dort eine Wohnung haben. Meine Familie wird sicherlich hier in Berlin bleiben, weil meine Tochter hier zur Schule geht.

    Adler: Herr Minister, ich danke Ihnen für das Gespräch.