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Steinzeitliche Sternbilder
Wieviel Astronomie steckt in Höhlenmalereien?

Bereits vor mehr als zehntausend Jahren haben Menschen in Europa gen Himmel geblickt. Britische Forscher behaupten nun: Die steinzeitlichen Jäger und Sammler hätten schon damals Figuren und Symbole in den Sternen gesehen und sie in Höhlengemälden festgehalten. Doch die Ergebnisse sind umstritten.

Von Sophie Stigler | 02.01.2019
    Rekonstruktion der Höhlenmalereien in der Lascaux Höhle in Frankreich. Sie zeigt vermutlich Steppenbisons.
    Rekonstruktion der Höhlenmalereien in der Lascaux Höhle in Frankreich. Sie zeigt vermutlich Steppenbisons. (AFP / Jean-Pierre Muller)
    Die Malereien in der Höhle von Lascaux in Frankreich sehen aus, als wären sie gestern erst gemalt worden. Dabei wird ihr Alter auf bis zu 17.000 Jahre geschätzt. Eine Szene hat es Martin Sweatman von der Uni Edinburgh besonders angetan.
    "Diese Szene ist abseits vom Rest der Höhle, am Ende eines tiefen Schachts. Zu sehen sind ein Rind, ein Mann und ein Vogel. Wobei der Mann umfällt oder stirbt. Links davon ist ein Nashorn und auf der gegenüberliegenden Wand, etwas versteckt: ein Bild von einem Pferd."
    Wenn man dem Ingenieurswissenschaftler glaubt, dann sind das keine gewöhnlichen Tierbilder. Sondern die Werke von Astronomen. "Ziemlich revolutionär", findet er selbst seine Überlegungen dazu. Die Presse gibt ihm recht und berichtet weltweit über die Arbeit im Athens Journal of History. Sweatman und sein Co-Autor Coombs vertreten darin die Meinung, dass Rind, Vogel, Nashorn und Pferd eigentlich Sternbilder darstellen. Sie sehen Parallelen zu etwa zehntausend Jahre alten Steinreliefs in der Türkei.
    "Dort ist es genau das Gleiche: eine Säule mit vier Hauptsymbolen und einem kopflosen Mann. Also können wir die Symbole verknüpfen."
    Ein Geier könnte das Sternbild Schütze repräsentieren
    In einer früheren Arbeit hat Sweatman schon versucht, die Säule zu entziffern. Darauf sind ein Skorpion abgebildet, ein Geier, ein wolfsähnliches Raubtier und andere Vögel.
    "Ich konnte sehen, dass die Symbole rund um den Skorpion aussahen wie der Himmel rund um das Sternbild Skorpion."
    Mit seinem Kollegen überlegt er, welche Tierdarstellung wohl welchem heutigen Sternbild ähnlich sieht. Im dargestellten Geier will er die Form des heutigen Sternbilds Schütze erkennen, dem Raubtier ordnet er das Sternbild Wolf zu, und so weiter. Allerdings haben Wissenschaftler vor ihm in den Symbolen schon ganz andere Sternbilder gesehen.
    "Es ist schon ein bisschen Interpretationssache, ein bisschen subjektiv. Aber wir müssen es richtig gemacht haben, weil alles so perfekt passt."
    Höhlenzeichnungen als astronomisches Archiv
    Tatsächlich kann er schließlich Sternbilder ausmachen, die am Himmel ähnlich angeordnet sind wie auf dem Stein. Damit gibt er sich aber nicht zufrieden. Er glaubt, dass die Kunstwerke belegen, dass unsere Vorfahren ihr Wissen über die Sterne für eine Art Datumsstempel nutzten. Das geht, weil sich der Sternenhimmel über uns mit der Zeit verschiebt. Kaum merklich, sodass man es erst nach Jahrzehnten mit bloßem Auge erkennen kann. Erfahrene Astronomen können also das Abbild des Himmels benutzen, um ein Datum festzuhalten, wenn auch nur ungefähr. Die Autoren sind überzeugt, dass sie solche Datumsstempel in Höhlenkunst in Frankreich, Spanien und Süddeutschland entdeckt haben.
    "Wir haben für die Kunstwerke einfach die Altersbestimmung aus anderen Messungen verglichen mit dem, was unsere Sternbildhypothese vorhersagt. Sie stimmen sehr gut überein für so ziemlich alle Tierbilder, die wir uns angesehen haben."
    Plusminus mehrere hundert bis tausend Jahre und nur für einzelne, ausgewählte Bilder, muss man vielleicht dazu sagen. Sweatman vermutet aufgrund der möglicherweise toten Menschen in den Abbildungen, dass die Bilder eine Warnung für die Nachfahren sein sollten, vielleicht vor Meteoriteneinschlägen. Er glaubt: Es kann kein Zufall sein, dass seine errechneten Datumsstempel grob zu anderen Datierungen der Kunstwerke passen.
    "Ich sage, es ist wahr, es ist bewiesen. Alles passt zusammen. Die Wahrscheinlichkeit, dass so etwas zufällig passiert, steht nach unseren Berechnungen bei 1 zu 380 Millionen."
    Kritik aus der Fachwelt
    Michael Rappenglück ist mehr als skeptisch. Er war lange Zeit Präsident der Europäischen Gesellschaft für Kulturastronomie und hat für eine Fachzeitschrift ein Gutachten zu einer von Sweatmans Veröffentlichungen verfasst.
    "Die Statistik ist bei ihnen gewissermaßen das einzige wissenschaftliche Handwerkszeug. Und sie meinen, mit der Statistik auch den absoluten Beweis zu haben. Das ist aber nicht der Fall."
    Andere Forscher auf dem Gebiet kritisieren, die britischen Wissenschaftler hätten eine Theorie aufgestellt und sich dann die Daten dazu passend gemacht. Der Forschungsstand zur Bedeutung der Symbole werde ausgeblendet. Der gezeichnete Mann an der Höhlenwand von Lascaux, den Sweatman für tot hält, hat zum Beispiel einen erigierten Penis und einen Vogelkopf. Etwas seltsam für einen Toten – deshalb sehen viele Archäologen darin eher einen Schamanen, der sich in Trance halb in ein Tier verwandelt.
    "Der ein oder andere meint, er hat innerhalb von kürzester Zeit die letzten Lösungen gebracht. Wenn man die auf einer Tagung vorstellt und sie der harten Diskussion der Kollegen unterzieht, dann bleibt da in der Regel fast nichts mehr übrig."
    Studienautor Sweatman vertraut dagegen auf seine Statistik, bedingungslos. Jeder Wissenschaftler müsse seine Ergebnisse akzeptieren, fordert er. Die Wissenschaftswelt sieht das leider anders.