Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Stellenwert von Religion
Wie geht es Gott in Frankreich?

Über Religion wird in Frankreich viel diskutiert - und immer seltener praktiziert, so das Ergebnis einer Langzeitstudie. Die Tendenz zur Säkularisierung nimmt den Umfragen zufolge auch europaweit stetig zu, ebenso die Toleranz gegenüber Andersdenkenden.

Von Suzanne Krause | 15.04.2019
Die Basilica minor Sacré-Cœur de Montmartre in Paris.
In Frankreich gaben nur 50 Prozent der Befragten an, sich einer Religion zugehörig zu fühlen (imago / PanoramiC)
Seit 1981 nimmt der französische Soziologe Pierre Bréchon die Ansichten der Europäer betreffs Religion und Weltanschauung unter die Lupe, mittels der jedes Jahrzehnt durchgeführten repräsentativen Erhebung "European Values Studies". Eine seiner Beobachtungen: Seit der Jahrtausendwende würden die Medien regelmäßig berichten, dass in unseren Gesellschaften die Religionen immer prägnanter wären, dass Fundamentalismus sogar in Europa auf dem Vormarsch sei. Mitnichten, meint der Soziologe. Er wertet gerade die Ergebnisse der jüngsten, vor eineinhalb Jahren gestarteten Umfrage zu den Werten Europas aus und sagt: Der Trend sei klar.
"Am prägnantesten ist die Tendenz zur Säkularisierung, die langsam aber stetig fortschreitet. Die Religionen verlieren mehr und mehr Anhänger und sie verlieren auch ihre Sinnhaftigkeit."
Schwund vor allem bei der jungen Generation
Bei der Erhebung aus dem Jahr 1990 gaben europaweit 76 Prozent der Befragten an, sich einer Religion zugehörig zu fühlen. 2008 waren es nurmehr 70 Prozent. Und in Frankreich gar nur 50 Prozent. Europaweit erklärte 2008 knapp jeder fünfte Befragte, nie einer Religion angehört zu haben – bei den Franzosen ist es jeder Dritte. Am traditionellen Glauben hängen vor allem die Älteren, die meisten Jüngeren haben sich von der Religion abgewendet.
Dass bei der jungen Generation in der Bevölkerungsmehrheit das religiöse Interesse schwindet, lässt sich speziell im laizistischen Frankreich auch mit mangelnder entsprechender Sozialisierung erklären. In den öffentlichen Schulen dürfen erst seit 1980 sogenannte "Faits réligieux", soll heißen "religiöse Sachverhalte" vermittelt werden.
Frankreichs laizistisches Prinzip fußt auf dem Recht der Glaubensfreiheit für jedermann. Und auf der staatlichen Neutralität gegenüber den Religionen. Doch das Thema Religion ist in der Öffentlichkeit heutzutage sehr präsent, aufgrund islamistischer Terrorakte, Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche, Antisemitismus. Beim Unterfangen, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu erhalten, setzt Staatspräsident Emmanuel Macron weit offener als seine Vorgänger auf das Engagement von Gläubigen verschiedener Religionen und Konfessionen.
Entdramatisierung in religiösen Fragen
Trotz all dem, sagt die Direktorin des Forschungszentrums für zeitgenössische religiöse Sachverhalte, Sophie Gherardi, habe sich bei der breiten Bevölkerung der Umgang mit religiösen Fragen sozusagen entdramatisiert.
"Es gibt einige fundamentalistisch oder gar radikal eingestellte Personen. Aber das Gros der Bevölkerung vertritt heute eine andere Einstellung der Religion gegenüber. Die meisten sagen, ihre eigene Wahl getroffen zu haben. Und gleichzeitig zu akzeptieren, dass jemand anders denkt."
Eine solche Toleranz schaffe eine neue Basis, sagt Sophie Gherardi.
"Das erlaubt jemandem zu sagen: Ich bin nicht religiös, genau wie meine Eltern, im Gegensatz zu den Großeltern. Aber dennoch ist es mir wichtig, dass eine Synagoge restauriert wird, selbst wenn es dort keine praktizierenden Juden mehr gibt, dass eine Moschee erhalten bleibt, auch wenn ich kein Muslim bin, dass eine Kirche, die leer steht, für gemeinnützige Zwecke dient und nicht zum Hotel oder Supermarkt umgebaut wird."
Im Januar 2016 veröffentlichte der Pariser Think Tank Institut Montaigne eine Studie zu jungen Muslimen in Frankreich. Deren Ergebnisse sorgten für Wirbel: In der Altersgruppe 17 bis 25 Jahre gaben 85 Prozent der Muslime an, die Religion spiele eine wichtige Rolle in ihrem Leben. Bei gleichaltrigen Katholiken befanden das nur 22 Prozent. Jeder dritte Muslim, so das Institut Montaigne, stelle das islamische Gesetz über die Gesetze der Französischen Republik. Dies sei insbesondere der Fall bei Jugendlichen aus Brennpunktvierteln. In der Altersgruppe der Unter-25-Jährigen neige gar jeder zehnte Muslim zu "religiösem Absolutismus", heißt es in einer 2017 erschienenen Erhebung eines Soziologen. Zahlen, die für Zündstoff sorgen. Der Islam ist heute die zweitwichtigste Religion in Frankreich. Doch der Anteil der Muslime in der Gesamtbevölkerung liegt bei gerade mal knapp sechs Prozent.