" Heute sind wir hier, damit wir den Tod von unschuldigen Frauen und Kindern im Libanon beklagen. Es soll endlich Schluss sein mit diesen Parolen von Menschenrechten und dieser Doppelmoral. Wann wollen die Regierungen endlich mal verstehen, dass die Nationen wach geworden sind? Wenn es um Terrorismus ginge, dann müsste Israel wirklich schon Jahre lang wegen diesen ganze terroristische Aktionen, die sie gemacht haben, beschuldigt werden. Es geht wirklich nur um die Interessen einiger Machthaber, die nicht einmal genug haben mit ihren eigene Ländern. Sie wollen die ganze Welt für sich haben. "
Sousan Safverdi hat in Deutschland studiert, lebt seit elf Jahren wieder im Iran und ist Repräsentantin eines Dachverbandes für Frauengruppen. Es fällt nicht schwer zu erraten, wen sie mit diesen "Machthabern" meint. Die Sprechchöre "Tod Amerika!" und "Tod Israel!" lassen keine Zweifel. Nicht zu sehen sind dagegen bei den Demonstrationen Plakate gegen den Raketenbeschuss von Zivilisten in Nord-Israel. Auch dafür hat Sousan Safverdi eine Erklärung parat:
" Ich bringe immer ein Beispiel. Wenn ein Erdbeben kommt, dann werden alle natürlich in Gefahr sein. Wenn die israelische Regierung solche Akte unternimmt, dann ist doch klar, dass wenn man etwas dagegen tun will, ungewollt auch einige Opfer unter den israelischen Frauen und Kindern vorkommen. Aber das ist ungewollt. Das ist nicht gezielt. Das ist der Unterschied zwischen den beiden Wertvorstellungen, dass wir uns verteidigen, die anderen aber angreifen. "
Die Medien tragen nach Kräften dazu bei, die iranische Bevölkerung wissen zu lassen, wer der Angreifer und wer das Opfer ist. In den Nachrichten des staatlichen Fernsehens stehen seit Kriegsbeginn die Ereignisse im Libanon an erster Stelle. Ausführlich widmete sich das Programm den angerichteten Schäden, den Toten und Verletzten unter der libanesischen Zivilbevölkerung. Die Israelis sind dabei im offiziellen Sprachgebrauch die "Zionisten", die Hisbollah wird als "Widerstandsorganisation des Libanon gegen die zionistische Invasion" bezeichnet. Minutenlang werden unkommentiert Bilder gezeigt, wie Rettungsteams aus einem bombardierten Haus ein totes Mädchen und einen kleinen toten Jungen bergen.
Im ebenfalls staatlichen Radio und in den meisten Zeitungen sieht es ähnlich aus. Über die Situation im Norden Israels wird nicht berichtet. Die Rollenverteilung ist klar: Die Opfer sind die Libanesen, die Täter die Israelis. Das bleibt nicht ohne Wirkung auf die öffentliche Meinung. Allerdings: Nicht jeder vertritt den stramm-offiziellen Regierungskurs: Mohammad, der seinen Nachnamen nicht genannt wissen möchte, schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch. Auch er hat wenig Sympathien für Israel, aber er glaubt, im eigenen Land gebe es genug Probleme, derer sich die Regierung annehmen sollte, statt die Hisbollah mit Geld und Waffen zu unterstützen:
" Es wäre besser, wenn die iranische Regierung das Geld für Iraner ausgeben würde, statt es nach Palästina und in den Libanon zu schicken. Bei uns gibt es Leute, die nicht einmal Geld für das tägliche Brot haben und im Park schlafen. Nur Allah weiß, ob sie wirklich das Geld der Hisbollah geben oder was sie sonst damit machen. "
Je länger der Krieg im Libanon dauert, und je mehr Bilder von toten Kindern, klagenden Müttern und zerstörten Leben zu sehen sind, um so größer wird die Anteilnahme. Media arbeitet bei einer Telefongesellschaft. Sie sei schockiert. Es sei schrecklich. Zwar sei sie keine Sympathisantin der Hisbollah, fügt sie hinzu, aber was Israel anrichte, das sei ein Verbrechen. Das Mitgefühl ist ehrlich empfunden, und es wäre falsch, die Anteilnahme an den Leiden der libanesischen Bevölkerung allein als Ergebnis der Regierungspropaganda zu betrachten. Viele Iraner nehmen das religiöse Gebot zur Solidarität mit verfolgten oder in Not geratenen Moslems sehr ernst.
Gerade zwischen den Schiiten im Libanon und der schiitischen Mehrheit im Iran bestehen seit langem sehr enge Beziehungen. Adel Aun ist der Teheraner Repräsentant der Amal, neben der Hisbollah einer zweiten schiitischen Organisation im Libanon: Der Iran und der Libanon haben tiefe historische Beziehungen. Zu Zeiten des sunnitischen Sheikh Osman im achten Jahrhundert nach christlicher Zeitrechnung wurden die schiitischen Gelehrten im Libanon stark verfolgt. Viele von ihnen wie Sheikh Bahid din-Ameli gingen in den Iran. Damals herrschte im Iran noch eine sunnitische Regierung, aber die libanesischen Immigranten trugen dazu bei, dass der damalige Herrscher zum Schiitentum konvertierte.
Diese religiösen Bindungen haben sich bis heute erhalten. Schiiten im Libanon besuchen die Seminare in Ghom und pilgern zu den heiligen Stätten in Maschad. Die Schiiten verstehen sich historisch als eine Art linker Flügel im Islam. Sie treten auf gegen Ungerechtigkeit und Armut und rebellieren gegen Fremdherrschaft und Unterdrückung.
" Wir Schiiten akzeptieren es nicht, arm zu sein oder wenn jemand uns gegenüber grausam ist. Das verbindet uns. Aber wenn es um politische Fragen geht, bedeutet dies nicht, dass wir die gleiche politische Meinung haben, nur weil wir Schiiten sind. "
Adel Aun betont bewusst diese Unterschiede. Seit Gründung der Hisbollah wirft die US Regierung dem Iran vor, Teheran habe sich damit eine fünfte Kolonne geschaffen. In den Terrorismus-Berichten des State Department wird die iranische Unterstützung der Hisbollah als Beleg dafür zitiert, dass die Regierung in Teheran aktiv den internationalen Terrorismus unterstütze. Mit Beginn des jüngsten Krieges im Libanon haben sich die Vorwürfe noch verstärkt.
" Der Iran muss seine finanzielle Unterstützung und die Lieferung von Waffen an terroristische Gruppen wie die Hisbollah beenden... "
... forderte gestern erneut US-Präsident George Bush. Für die amerikanische Regierung ist das Unterbinden derartiger Hilfe einer der Schlüssel für das Erreichen eines stabilen Friedens im Libanon. Die iranische Regierung ihrerseits wird nicht müde, alle Anschuldigungen, sie unterstütze die Hisbollah mit Geld und Waffen, zurückzuweisen.
" Die Unterstützung der Islamischen Republik für die Hisbollah ist offene politische und diplomatische Unterstützung. Wir haben nichts zu verbergen. Wenn es militärische Unterstützung geben würde, hätten wir es bekannt gegeben... "
... wiederholte am vergangenen Freitag einmal mehr der Sprecher des iranischen Außenministeriums, Hamid Reza Asefi, um dann noch hinzuzufügen:
" Im übrigen, wenn es militärische Unterstützung geben würde, dann wäre Israel viel schneller besiegt worden. "
Auch Ali Akbar Mohtashemipour regiert mit Ironie auf die Behauptung, der Iran leiste finanzielle Unterstützung für die Hisbollah. Mohtashemipour war von 1980 bis 1985 iranischer Botschafter in Damaskus und operierte von dort aus auch im Libanon. Mohtashemipour weist jeden Vorwurf weit zurück, der Iran übe eine Kontrolle über die Hisbollah aus:
" Völlig falsch. Die Libanesen sind unter den Arabern ein sehr intelligentes Volk, keine Analphabeten und besitzen im Vergleich zu anderen arabischen Staaten eine sehr gute Ausbildung. Die Leute, die Mitglied der Hisbollah sind, haben meist einen akademischen Abschluss. Libanesen verstehen es sehr gut, die politische Lage zu analysieren. Sie lassen sich nicht vom Iran beeinflussen. Wie [der Führer der Hisbollah] Sheikh Nasrallah immer gesagt hat, entscheiden sie zu Gunsten der Interessen des Libanons. Ihre eigene Führung trifft die Entscheidungen. "
Auf die Frage, ob es in der Vergangenheit auch schon mal zu Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Iran und Hisbollah gekommen ist, antwortet er kurz und bündig:
" Ja! "
Mehr dazu will er aber nicht sagen. Die Tatsachen allerdings sehen anders aus. Waffen, die bei der Hisbollah gefunden wurden, tragen eindeutige Markierungen der Revolutionären Garden des Iran. Einige der Raketen, die auf den Norden Israels niedergehen, sind ebenfalls im Iran produziert worden. Wieviele Raketen die Hisbollah genau besitzt, ist unbekannt. Geschätzt werden zehn bis zwölftausend Stück. Diese Zahl stammt vom israelischen und amerikanischen Geheimdienst, die aber beide ein Interesse daran haben könnten, die Bedrohung durch die Hisbollah zu maximieren. Aber auch Amir Mohebian mag nicht so recht bestreiten, dass der Iran Waffen an die Hisbollah liefert. Mohebian ist einflussreicher politischer Redakteur der Tageszeitung Resalat. Er hat ausgezeichnete Beziehungen zur Machtelite des Landes und arbeitet nebenher als politischer Berater. Ob Iran Waffen in den Zedernstaat liefere, beantwortet er so:
" Offiziell nicht. "
Und inoffiziell?
" Inoffiziell ist vieles möglich. "
Die finanzielle Hilfe des Iran für die Hisbollah betrage nach seinen Kenntnissen rund 50 Millionen US-Dollar pro Jahr. Nicht nur der Iran, sondern auch andere Länder versuchen, die Hisbollah als Widerstandsbewegung zu unterstützen. Sie befürchten, dass Israel nicht nur den Libanon, sondern vielleicht auch andere Staaten angreifen wird. Deshalb soll die Hisbollah gestärkt werden, weil auf diese Weise Israel gestoppt werden kann. Aber das bedeutet nicht, dass das Geld nur für Waffen bestimmt ist. Das Geld ist humanitäre Hilfe, und vielleicht kauft die Hisbollah davon auch Waffen. Der Westen mache nach Mohebians Meinung einen Fehler, wenn er in der Hisbollah nichts anderes als eine Hilfstruppe des Iran sehe. Die Organisation treffe ihre eigenen Entscheidungen und orientiere sich allein an den Interessen des Libanon:
" Hisbollah ist gereift. In der Anfangsphase hat der Iran geholfen, dass die Organisation Form annahm, aber jetzt kann Hisbollah seine Entscheidung ohne jede iranische Hilfe treffen, und dies geschieht im Rahmen der Interessen des Libanon, nicht im Interesse des Iran. "
Nasser Hadian steht im politischen Spektrum des Iran genau auf der anderen Seite von Mohebian. Er hat in den USA studiert, in einigen US-Think-Tanks hospitiert und ist heute Dozent der politischen Wissenschaften an der Teheraner Universität. Mit Mohebian ist sich Hadian aber immerhin einig, dass im Westen ein völlig falsches Bild von der Hisbollah existiere.
" Hisbollah eine terroristische Organisation zu nennen und sie mit Hamas und dem 'Islamischen Dschihad’ in einen Topf zu werfen, ist falsch. Die Hisbollah hat große Unterstützung innerhalb des Iran quer durch alle politischen Richtungen. Hisbollah hat weltweit viel Unterstützung. Man kann nicht einfach sagen, sie sei eine terroristische Organisation, weil sie gegen eine Besatzung kämpft. Viele Leute mögen eine Reihe von Hisbollah-Aktionen kritisieren, aber es ist eine legitime, eine große Bewegung im Libanon. Sie repräsentiert die Schiiten dort. Man muss einen besseren Weg im Umgang mit Hisbollah finden. Israels Politik gegenüber Hisbollah ist selbst viel nuancierter: Sie sagen nicht, dass Hisbollah völlig ausgelöscht werden muss. Sie wollen Hisbollah entwaffnen, als politische Kraft aber nicht beseitigen. "
Mohebian hält im übrigen westliche Spekulationen für Unfug, der Iran habe die Hisbollah zur Geiselnahme der zwei israelischen Soldaten angestiftet, um damit eine zweite Krise im Nahen Osten anzufachen, die von der Kontroverse um das iranische Atomprogramm ablenken soll. Gestern erst hatte der UN-Sicherheitsrat nach wochenlangen Beratungen eine neue Resolution zum Iran verabschiedet, die von Teheran verlangt, bis zum 31. August alle Arbeiten an der Urananreicherung einzustellen. Geschieht dies nicht, will der Sicherheitsrat über mögliche "angemessene Maßnahmen" entscheiden. Gemeint sind diplomatische oder wirtschaftliche Sanktionen. Allein dieser Beschluss zeige, dass ein solches Ablenkungsmanöver - sollte es denn geplant gewesen sein - fehlgeschlagen sei. Der Zusammenhang zum iranischen Atomprogramm stelle sich auf ganz andere Weise her:
" Der Eindruck war, dass es eines der ersten israelischen Ziele gewesen ist, die Stärke der Hisbollah zu testen. Nach meiner Meinung plant Israel, die nuklearen Einrichtungen des Iran anzugreifen. Ohne eine klare Einschätzung von Hisbollahs Stärke; zuvor werden sie sich das aber zweimal überlegen. "
Der Iran hat immer wieder gedroht, dass solch ein Angriff nicht ohne Vergeltung bleiben werde. So warnte Revolutionsführer Ali Khamenei noch im April dieses Jahres:
" Die iranische Nation und die iranische Regierung treten für den Weltfrieden und für Sicherheit ein und werden niemanden in der Zukunft angreifen. Aber sollten sich die USA zu irgendeiner Aggression gegen den Iran hinreißen lassen, dann wird der Iran zurückschlagen, indem er den US-Interessen weltweit den doppelten Schaden zufügt. "
Ähnliches gilt für einen möglichen israelischen Angriff. Bewusst offen hält sich der Iran die Option, dass neben der Hamas, dem Islamischen Dschihad und eigenen iranischen Spezialeinheiten auch die Hisbollah Teil eines solchen Vergeltungsplans sein könnte. Hadian drückt aus, was auch in der politischen Führungsschicht in Teheran gedacht wird: Die Attacke Israels auf den Libanon ist nur das Vorspiel für einen Angriff auf den Iran. Dieser Gedanke passt zudem in ein Weltbild, in dem Israel grundsätzlich alles Böse, vor allem aber aggressive Absichten unterstellt werden. Sehr aufmerksam wird im Iran die Reaktion in der Region auf die Ereignisse im Libanon registriert. - Ursprünglich hatten die Regierungen Saudi Arabiens, Jordaniens und Ägyptens das Kidnapping der israelischen Soldaten durch die Hisbollah als "Abenteurertum" kritisiert. Das war für den Iran ein Schlag ins Gesicht, denn die wichtigen arabischen Staaten stellten sich damit auf die Seite Israels und der USA. Mit der anwachsenden Zahl ziviler libanesischer Opfer wächst auch in den arabischen Staaten die Kritik an der israelischen Politik - vor allem bei der arabischen Bevölkerung. - Politikberater Amir Mohebian registriert dies mit Genugtuung:
" Hisbollah hat die Situation verändert. Einige wichtige arabische Staaten versuchten der Hisbollah die Schuld zu geben, aber nach dem Erfolg der Hisbollah änderte sich die Meinung. Jetzt loben sie Hisbollah und kritisieren Israel. In den Massenmedien und in der öffentlichen Meinung der muslimischen Länder sind die Hisbollah und (ihr Führer) Nasrallah sehr populär. "
Mohebian ist zuversichtlich, dass sich das Blatt wendet. Unter dem Druck der eigenen Bevölkerung werden die arabischen Staaten kaum noch in der Lage sein, sich gegen den Iran zu stellen - auch nicht in der Atomfrage. Die Stellung des Iran würde gefestigt, und alle Pläne, einen Keil zwischen den Iran und Syrien zu treiben, seien zum Scheitern verurteilt:
" Syrien weiß sehr gut, dass die Zusammenarbeit mit dem Iran für beide Staaten sehr wichtig ist. Wenn die USA versuchen, beide Staaten voneinander zu trennen, dann werden sie im nächsten Schritt jeden einzelnen für sich ausschalten. Die USA handeln nach der Devise 'divide et impera’: Teile und herrsche. "
Auch für den Reformer Hadian leitet sich die Antwort auf die Frage, ob der Iran als Sieger oder als Verlierer aus der jetzigen Situation herauskommt, aus der Reaktion der islamischen Welt ab:
" Wenn es dem Iran gelingt, die moderaten arabischen Regime davon zu überzeugen, dass die Bedrohung nicht vom Iran ausgeht, Vertrauen herzustellen und klarmacht: 'Ihr seid nicht das Ziel unserer Angriffe, sondern das Ziel der amerikanischen Politik, an deren Ende ein neuer Mittlerer Osten stehen soll...’, dann wäre dies ein bedeutender diplomatischer Erfolg. Iran muss zudem die arabische Straße und die Weltöffentlichkeit davon überzeugen, dass dies ein ungerechter Krieg und das Verhalten Israels unverhältnismäßig ist. "
Der Stimmungseindruck während der Demonstrationen ist vielleicht nicht der einzige zuverlässige Indikator, aber nicht zu übersehen ist, dass die Begeisterung für die Hisbollah und ihren Führer Sheikh Hassan Nasrallah in den letzten Tagen deutlich zugenommen hat. In der Hand trägt die Demonstrantin ein Poster, auf dem der iranische Präsident Ahmadinejad und Hisbollah-Führer Nasrallah in freundschaftlicher Umarmung zu sehen sind. - Der Stand am Straßenrand, an dem diese Plakate verteilt werden, verzeichnet einen reißenden Absatz.
Sousan Safverdi hat in Deutschland studiert, lebt seit elf Jahren wieder im Iran und ist Repräsentantin eines Dachverbandes für Frauengruppen. Es fällt nicht schwer zu erraten, wen sie mit diesen "Machthabern" meint. Die Sprechchöre "Tod Amerika!" und "Tod Israel!" lassen keine Zweifel. Nicht zu sehen sind dagegen bei den Demonstrationen Plakate gegen den Raketenbeschuss von Zivilisten in Nord-Israel. Auch dafür hat Sousan Safverdi eine Erklärung parat:
" Ich bringe immer ein Beispiel. Wenn ein Erdbeben kommt, dann werden alle natürlich in Gefahr sein. Wenn die israelische Regierung solche Akte unternimmt, dann ist doch klar, dass wenn man etwas dagegen tun will, ungewollt auch einige Opfer unter den israelischen Frauen und Kindern vorkommen. Aber das ist ungewollt. Das ist nicht gezielt. Das ist der Unterschied zwischen den beiden Wertvorstellungen, dass wir uns verteidigen, die anderen aber angreifen. "
Die Medien tragen nach Kräften dazu bei, die iranische Bevölkerung wissen zu lassen, wer der Angreifer und wer das Opfer ist. In den Nachrichten des staatlichen Fernsehens stehen seit Kriegsbeginn die Ereignisse im Libanon an erster Stelle. Ausführlich widmete sich das Programm den angerichteten Schäden, den Toten und Verletzten unter der libanesischen Zivilbevölkerung. Die Israelis sind dabei im offiziellen Sprachgebrauch die "Zionisten", die Hisbollah wird als "Widerstandsorganisation des Libanon gegen die zionistische Invasion" bezeichnet. Minutenlang werden unkommentiert Bilder gezeigt, wie Rettungsteams aus einem bombardierten Haus ein totes Mädchen und einen kleinen toten Jungen bergen.
Im ebenfalls staatlichen Radio und in den meisten Zeitungen sieht es ähnlich aus. Über die Situation im Norden Israels wird nicht berichtet. Die Rollenverteilung ist klar: Die Opfer sind die Libanesen, die Täter die Israelis. Das bleibt nicht ohne Wirkung auf die öffentliche Meinung. Allerdings: Nicht jeder vertritt den stramm-offiziellen Regierungskurs: Mohammad, der seinen Nachnamen nicht genannt wissen möchte, schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch. Auch er hat wenig Sympathien für Israel, aber er glaubt, im eigenen Land gebe es genug Probleme, derer sich die Regierung annehmen sollte, statt die Hisbollah mit Geld und Waffen zu unterstützen:
" Es wäre besser, wenn die iranische Regierung das Geld für Iraner ausgeben würde, statt es nach Palästina und in den Libanon zu schicken. Bei uns gibt es Leute, die nicht einmal Geld für das tägliche Brot haben und im Park schlafen. Nur Allah weiß, ob sie wirklich das Geld der Hisbollah geben oder was sie sonst damit machen. "
Je länger der Krieg im Libanon dauert, und je mehr Bilder von toten Kindern, klagenden Müttern und zerstörten Leben zu sehen sind, um so größer wird die Anteilnahme. Media arbeitet bei einer Telefongesellschaft. Sie sei schockiert. Es sei schrecklich. Zwar sei sie keine Sympathisantin der Hisbollah, fügt sie hinzu, aber was Israel anrichte, das sei ein Verbrechen. Das Mitgefühl ist ehrlich empfunden, und es wäre falsch, die Anteilnahme an den Leiden der libanesischen Bevölkerung allein als Ergebnis der Regierungspropaganda zu betrachten. Viele Iraner nehmen das religiöse Gebot zur Solidarität mit verfolgten oder in Not geratenen Moslems sehr ernst.
Gerade zwischen den Schiiten im Libanon und der schiitischen Mehrheit im Iran bestehen seit langem sehr enge Beziehungen. Adel Aun ist der Teheraner Repräsentant der Amal, neben der Hisbollah einer zweiten schiitischen Organisation im Libanon: Der Iran und der Libanon haben tiefe historische Beziehungen. Zu Zeiten des sunnitischen Sheikh Osman im achten Jahrhundert nach christlicher Zeitrechnung wurden die schiitischen Gelehrten im Libanon stark verfolgt. Viele von ihnen wie Sheikh Bahid din-Ameli gingen in den Iran. Damals herrschte im Iran noch eine sunnitische Regierung, aber die libanesischen Immigranten trugen dazu bei, dass der damalige Herrscher zum Schiitentum konvertierte.
Diese religiösen Bindungen haben sich bis heute erhalten. Schiiten im Libanon besuchen die Seminare in Ghom und pilgern zu den heiligen Stätten in Maschad. Die Schiiten verstehen sich historisch als eine Art linker Flügel im Islam. Sie treten auf gegen Ungerechtigkeit und Armut und rebellieren gegen Fremdherrschaft und Unterdrückung.
" Wir Schiiten akzeptieren es nicht, arm zu sein oder wenn jemand uns gegenüber grausam ist. Das verbindet uns. Aber wenn es um politische Fragen geht, bedeutet dies nicht, dass wir die gleiche politische Meinung haben, nur weil wir Schiiten sind. "
Adel Aun betont bewusst diese Unterschiede. Seit Gründung der Hisbollah wirft die US Regierung dem Iran vor, Teheran habe sich damit eine fünfte Kolonne geschaffen. In den Terrorismus-Berichten des State Department wird die iranische Unterstützung der Hisbollah als Beleg dafür zitiert, dass die Regierung in Teheran aktiv den internationalen Terrorismus unterstütze. Mit Beginn des jüngsten Krieges im Libanon haben sich die Vorwürfe noch verstärkt.
" Der Iran muss seine finanzielle Unterstützung und die Lieferung von Waffen an terroristische Gruppen wie die Hisbollah beenden... "
... forderte gestern erneut US-Präsident George Bush. Für die amerikanische Regierung ist das Unterbinden derartiger Hilfe einer der Schlüssel für das Erreichen eines stabilen Friedens im Libanon. Die iranische Regierung ihrerseits wird nicht müde, alle Anschuldigungen, sie unterstütze die Hisbollah mit Geld und Waffen, zurückzuweisen.
" Die Unterstützung der Islamischen Republik für die Hisbollah ist offene politische und diplomatische Unterstützung. Wir haben nichts zu verbergen. Wenn es militärische Unterstützung geben würde, hätten wir es bekannt gegeben... "
... wiederholte am vergangenen Freitag einmal mehr der Sprecher des iranischen Außenministeriums, Hamid Reza Asefi, um dann noch hinzuzufügen:
" Im übrigen, wenn es militärische Unterstützung geben würde, dann wäre Israel viel schneller besiegt worden. "
Auch Ali Akbar Mohtashemipour regiert mit Ironie auf die Behauptung, der Iran leiste finanzielle Unterstützung für die Hisbollah. Mohtashemipour war von 1980 bis 1985 iranischer Botschafter in Damaskus und operierte von dort aus auch im Libanon. Mohtashemipour weist jeden Vorwurf weit zurück, der Iran übe eine Kontrolle über die Hisbollah aus:
" Völlig falsch. Die Libanesen sind unter den Arabern ein sehr intelligentes Volk, keine Analphabeten und besitzen im Vergleich zu anderen arabischen Staaten eine sehr gute Ausbildung. Die Leute, die Mitglied der Hisbollah sind, haben meist einen akademischen Abschluss. Libanesen verstehen es sehr gut, die politische Lage zu analysieren. Sie lassen sich nicht vom Iran beeinflussen. Wie [der Führer der Hisbollah] Sheikh Nasrallah immer gesagt hat, entscheiden sie zu Gunsten der Interessen des Libanons. Ihre eigene Führung trifft die Entscheidungen. "
Auf die Frage, ob es in der Vergangenheit auch schon mal zu Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Iran und Hisbollah gekommen ist, antwortet er kurz und bündig:
" Ja! "
Mehr dazu will er aber nicht sagen. Die Tatsachen allerdings sehen anders aus. Waffen, die bei der Hisbollah gefunden wurden, tragen eindeutige Markierungen der Revolutionären Garden des Iran. Einige der Raketen, die auf den Norden Israels niedergehen, sind ebenfalls im Iran produziert worden. Wieviele Raketen die Hisbollah genau besitzt, ist unbekannt. Geschätzt werden zehn bis zwölftausend Stück. Diese Zahl stammt vom israelischen und amerikanischen Geheimdienst, die aber beide ein Interesse daran haben könnten, die Bedrohung durch die Hisbollah zu maximieren. Aber auch Amir Mohebian mag nicht so recht bestreiten, dass der Iran Waffen an die Hisbollah liefert. Mohebian ist einflussreicher politischer Redakteur der Tageszeitung Resalat. Er hat ausgezeichnete Beziehungen zur Machtelite des Landes und arbeitet nebenher als politischer Berater. Ob Iran Waffen in den Zedernstaat liefere, beantwortet er so:
" Offiziell nicht. "
Und inoffiziell?
" Inoffiziell ist vieles möglich. "
Die finanzielle Hilfe des Iran für die Hisbollah betrage nach seinen Kenntnissen rund 50 Millionen US-Dollar pro Jahr. Nicht nur der Iran, sondern auch andere Länder versuchen, die Hisbollah als Widerstandsbewegung zu unterstützen. Sie befürchten, dass Israel nicht nur den Libanon, sondern vielleicht auch andere Staaten angreifen wird. Deshalb soll die Hisbollah gestärkt werden, weil auf diese Weise Israel gestoppt werden kann. Aber das bedeutet nicht, dass das Geld nur für Waffen bestimmt ist. Das Geld ist humanitäre Hilfe, und vielleicht kauft die Hisbollah davon auch Waffen. Der Westen mache nach Mohebians Meinung einen Fehler, wenn er in der Hisbollah nichts anderes als eine Hilfstruppe des Iran sehe. Die Organisation treffe ihre eigenen Entscheidungen und orientiere sich allein an den Interessen des Libanon:
" Hisbollah ist gereift. In der Anfangsphase hat der Iran geholfen, dass die Organisation Form annahm, aber jetzt kann Hisbollah seine Entscheidung ohne jede iranische Hilfe treffen, und dies geschieht im Rahmen der Interessen des Libanon, nicht im Interesse des Iran. "
Nasser Hadian steht im politischen Spektrum des Iran genau auf der anderen Seite von Mohebian. Er hat in den USA studiert, in einigen US-Think-Tanks hospitiert und ist heute Dozent der politischen Wissenschaften an der Teheraner Universität. Mit Mohebian ist sich Hadian aber immerhin einig, dass im Westen ein völlig falsches Bild von der Hisbollah existiere.
" Hisbollah eine terroristische Organisation zu nennen und sie mit Hamas und dem 'Islamischen Dschihad’ in einen Topf zu werfen, ist falsch. Die Hisbollah hat große Unterstützung innerhalb des Iran quer durch alle politischen Richtungen. Hisbollah hat weltweit viel Unterstützung. Man kann nicht einfach sagen, sie sei eine terroristische Organisation, weil sie gegen eine Besatzung kämpft. Viele Leute mögen eine Reihe von Hisbollah-Aktionen kritisieren, aber es ist eine legitime, eine große Bewegung im Libanon. Sie repräsentiert die Schiiten dort. Man muss einen besseren Weg im Umgang mit Hisbollah finden. Israels Politik gegenüber Hisbollah ist selbst viel nuancierter: Sie sagen nicht, dass Hisbollah völlig ausgelöscht werden muss. Sie wollen Hisbollah entwaffnen, als politische Kraft aber nicht beseitigen. "
Mohebian hält im übrigen westliche Spekulationen für Unfug, der Iran habe die Hisbollah zur Geiselnahme der zwei israelischen Soldaten angestiftet, um damit eine zweite Krise im Nahen Osten anzufachen, die von der Kontroverse um das iranische Atomprogramm ablenken soll. Gestern erst hatte der UN-Sicherheitsrat nach wochenlangen Beratungen eine neue Resolution zum Iran verabschiedet, die von Teheran verlangt, bis zum 31. August alle Arbeiten an der Urananreicherung einzustellen. Geschieht dies nicht, will der Sicherheitsrat über mögliche "angemessene Maßnahmen" entscheiden. Gemeint sind diplomatische oder wirtschaftliche Sanktionen. Allein dieser Beschluss zeige, dass ein solches Ablenkungsmanöver - sollte es denn geplant gewesen sein - fehlgeschlagen sei. Der Zusammenhang zum iranischen Atomprogramm stelle sich auf ganz andere Weise her:
" Der Eindruck war, dass es eines der ersten israelischen Ziele gewesen ist, die Stärke der Hisbollah zu testen. Nach meiner Meinung plant Israel, die nuklearen Einrichtungen des Iran anzugreifen. Ohne eine klare Einschätzung von Hisbollahs Stärke; zuvor werden sie sich das aber zweimal überlegen. "
Der Iran hat immer wieder gedroht, dass solch ein Angriff nicht ohne Vergeltung bleiben werde. So warnte Revolutionsführer Ali Khamenei noch im April dieses Jahres:
" Die iranische Nation und die iranische Regierung treten für den Weltfrieden und für Sicherheit ein und werden niemanden in der Zukunft angreifen. Aber sollten sich die USA zu irgendeiner Aggression gegen den Iran hinreißen lassen, dann wird der Iran zurückschlagen, indem er den US-Interessen weltweit den doppelten Schaden zufügt. "
Ähnliches gilt für einen möglichen israelischen Angriff. Bewusst offen hält sich der Iran die Option, dass neben der Hamas, dem Islamischen Dschihad und eigenen iranischen Spezialeinheiten auch die Hisbollah Teil eines solchen Vergeltungsplans sein könnte. Hadian drückt aus, was auch in der politischen Führungsschicht in Teheran gedacht wird: Die Attacke Israels auf den Libanon ist nur das Vorspiel für einen Angriff auf den Iran. Dieser Gedanke passt zudem in ein Weltbild, in dem Israel grundsätzlich alles Böse, vor allem aber aggressive Absichten unterstellt werden. Sehr aufmerksam wird im Iran die Reaktion in der Region auf die Ereignisse im Libanon registriert. - Ursprünglich hatten die Regierungen Saudi Arabiens, Jordaniens und Ägyptens das Kidnapping der israelischen Soldaten durch die Hisbollah als "Abenteurertum" kritisiert. Das war für den Iran ein Schlag ins Gesicht, denn die wichtigen arabischen Staaten stellten sich damit auf die Seite Israels und der USA. Mit der anwachsenden Zahl ziviler libanesischer Opfer wächst auch in den arabischen Staaten die Kritik an der israelischen Politik - vor allem bei der arabischen Bevölkerung. - Politikberater Amir Mohebian registriert dies mit Genugtuung:
" Hisbollah hat die Situation verändert. Einige wichtige arabische Staaten versuchten der Hisbollah die Schuld zu geben, aber nach dem Erfolg der Hisbollah änderte sich die Meinung. Jetzt loben sie Hisbollah und kritisieren Israel. In den Massenmedien und in der öffentlichen Meinung der muslimischen Länder sind die Hisbollah und (ihr Führer) Nasrallah sehr populär. "
Mohebian ist zuversichtlich, dass sich das Blatt wendet. Unter dem Druck der eigenen Bevölkerung werden die arabischen Staaten kaum noch in der Lage sein, sich gegen den Iran zu stellen - auch nicht in der Atomfrage. Die Stellung des Iran würde gefestigt, und alle Pläne, einen Keil zwischen den Iran und Syrien zu treiben, seien zum Scheitern verurteilt:
" Syrien weiß sehr gut, dass die Zusammenarbeit mit dem Iran für beide Staaten sehr wichtig ist. Wenn die USA versuchen, beide Staaten voneinander zu trennen, dann werden sie im nächsten Schritt jeden einzelnen für sich ausschalten. Die USA handeln nach der Devise 'divide et impera’: Teile und herrsche. "
Auch für den Reformer Hadian leitet sich die Antwort auf die Frage, ob der Iran als Sieger oder als Verlierer aus der jetzigen Situation herauskommt, aus der Reaktion der islamischen Welt ab:
" Wenn es dem Iran gelingt, die moderaten arabischen Regime davon zu überzeugen, dass die Bedrohung nicht vom Iran ausgeht, Vertrauen herzustellen und klarmacht: 'Ihr seid nicht das Ziel unserer Angriffe, sondern das Ziel der amerikanischen Politik, an deren Ende ein neuer Mittlerer Osten stehen soll...’, dann wäre dies ein bedeutender diplomatischer Erfolg. Iran muss zudem die arabische Straße und die Weltöffentlichkeit davon überzeugen, dass dies ein ungerechter Krieg und das Verhalten Israels unverhältnismäßig ist. "
Der Stimmungseindruck während der Demonstrationen ist vielleicht nicht der einzige zuverlässige Indikator, aber nicht zu übersehen ist, dass die Begeisterung für die Hisbollah und ihren Führer Sheikh Hassan Nasrallah in den letzten Tagen deutlich zugenommen hat. In der Hand trägt die Demonstrantin ein Poster, auf dem der iranische Präsident Ahmadinejad und Hisbollah-Führer Nasrallah in freundschaftlicher Umarmung zu sehen sind. - Der Stand am Straßenrand, an dem diese Plakate verteilt werden, verzeichnet einen reißenden Absatz.