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Stephan Baier: Kinderlos. Europa in der demographischen Falle

Stephan Baier geht über jegliche politsche Korrektheit hinweg und redet Klartext: Europa steckt in der Geburtenkrise. Seiner Ansicht nach sind dafür die vielen Abtreibungen vor allem im Osten mitverantwortlich. Damit liefert er sicherlich einen neuen Anreiz für die politische Debatte; ob diese aber ebenso schonungslos sein wird wie sein Buch, ist abzuwarten.

Von Stephan Rehder |
    An Titeln, die sich mit der demographischen Katastrophe auseinandersetzen, der ganz Europa mit Riesenschritten entgegen eilt, herrscht seit ein, zwei Jahren kein Mangel mehr. Mit einer Verspätung von rund drei Jahrzehnte haben sie plötzlich Konjunktur. Einige von ihnen lassen sich mit beträchtlichem Gewinn lesen, so etwa ‚Die demographische Zeitenwende’ des Bevölkerungswissenschaftlers Herwig Birg. Aber auch die von Journalisten und Publizisten eilig auf den Markt geworfenen Bücher, wie etwa ‚Die Pyramide steht Kopf’ des Autorenehepaars Roland und Andrea Tichy, oder das ‚Das Methusalem-Komplott’, von F.A.Z-Herausgeber
    Frank Schirrmacher, sind durchaus brauchbar, wenngleich vor allem Schirrmachers Buch im Vergleich zu den anderen sicher weit überschätzt wird.

    Unter den Werken der professionellen Schreiber ragt nun eines hervor, das gerade erschienen ist. Denn "Kinderlos. Europa in der demographischen Falle" aus der Feder des in Österreich lebenden Journalisten und Publizisten Stephan Baier, liefert nicht nur die schonungsloseste, sondern auch die ehrlichste Analyse des Problems. So macht Baier, der Anfang des Jahres von Österreichs Bundeskanzler Schüssel mit dem Leopold Kunschak-Preis ausgezeichnet wurde, auch die Massenabtreibungen in Europa der letzten Jahrzehnte als eine wesentliche Ursache für den fehlenden Nachwuchs aus. Das ist neu und mutig zugleich - verstößt diese These doch gegen die politische Korrektheit der Meinungsströmungen in den Medien.

    Demographisch betrachtet würden, so der Autor, europaweit zwar nahezu ausreichend Kinder gezeugt, aber viel zu wenige geboren. Baier wörtlich:

    "Europa fehlen heute jene Kinder, die in den zurückliegenden drei Jahrzehnten abgetrieben wurden. Dies ist die demographische Dimension einer ethisch und weltanschaulich so leidenschaftlich und kontrovers diskutierten Frage. Nach Angaben der International Planned Parenthood Federation, also einer die Abtreibung befürwortenden Organisation, werden jedes Jahr weltweit 46 Millionen Abtreibungen vorgenommen, davon 17 Prozent in Europa. Die Lebensschutzorganisation ‚Human Life International’ spricht sogar von 55 Millionen."

    Allein in Deutschland werden - veranschaulicht Baier - Tag für Tag rund 30 Schulklassen abgetrieben - einschließlich Samstag und Sonntag. Die Folgen: Immer weniger Erwerbstätige müssen nun die explodierenden Kosten schultern, die Pensionen und Renten, Gesundheit und Pflege von immer mehr erwerbslosen Menschen mit steigender Lebenserwartung verursacht werden. Unter den wachsenden finanziellen Belastungen würden sich jedoch nicht nur immer weniger Paare für Kinder entscheiden und so selbst zu einer weiteren Verschärfung der Lage beitragen. Unweigerlich würden die Jungen auch den Alten das Tor zur Euthanasie immer weiter aufstoßen.

    Was Baiers Buch jedoch besonders wertvoll macht, ist, dass der Autor, der kein Blatt vor den Mund nimmt, nicht bei seiner auf Fakten gestützten Beschreibung künftiger Szenarien stehen bleibt, sondern auch gangbare Wege aus der Krise aufzeigt. Der Krieg der Generationen, der drohende Verteilungskampf zwischen jungen und alten Menschen, so die These dieses Buches, das einem Augenöffner gleichkommt, sei kein unbeeinflussbares Schicksal, dem Europa wehrlos entgegen treibe. Die Katastrophe lasse sich verhindern. Dafür sei allerdings, so der Autor, eine

    "radikale Wende" notwendig. Nur wenn Politik und Gesellschaft die Familie künftig ganz ins Zentrum all ihrer Bemühungen rückten, könne das demographische Desaster noch abgewendet werden. Dabei präsentiert Baier als einer der wenigen Autoren auch Vorschläge, die mal nicht vor allem zu Lasten älterer Generationen gehen. Sie reichen von der Abschaffung der Erbschaftssteuer über die Einführung eines Familienwahlrechts bis hin zur Liberalisierung der staatlichen Subventionierung von Betreuungseinrichtungen. Baier denkt natürlich auch an das
    österreichische Modell des Kinderbetreuungsschecks, wenn er schreibt:

    "Anstatt Millionen in ein immer engeres und flächendeckenderes Netz verschiedener Kinderbetreuungseinrichtungen zu pumpen, sollte die öffentliche Hand dieses Geld lieber den Eltern in die Hand geben. Dann hätten die Mütter und Väter nämlich tatsächlich die freie Entscheidung, ob sie sich selbst hauptamtlich um die Erziehung und Betreuung ihrer Kinder kümmern und das Geld vom Staat als Erziehungsgehalt einstecken, oder ob sie einer außer-familiären Berufsarbeit nachgehen und mit dem Geld eine von mehreren Kinderbetreuungsmöglichkeiten finanzierten."

    Für noch wichtiger als den richtigen Gebrauch der steuer- und sozialpolitischen Instrumente erachtet der Autor jedoch den Wechsel der Mentalität. Ihn erklärt er für unverzichtbar. Ohne eine Abkehr von der ‚Selbstverwirklichungsideologie’ hin zu einem "‚Bekenntnis persönlicher Verantwortung"’ könne die "Barbarisierung der europäischen Wohlstandsgesellschaft"’ nicht gestoppt werden. Fazit: "Kinderlos. Europa in der demographischen Falle" muss nicht nur Politiker ans Herz gelegt werden, sondern kann bedenkenlos jedem empfohlen werden, der
    sich nicht nur um das Eigenwohl, sondern auch um das Gemeinwohl sorgt.

    "Kinderlos. Europa in der demographischen Falle" von Stefan Baier ist erschienen im MM-Verlag in Aachen, hat 280 Seiten und kostet 18 Euro.