Kein Schelmenroman. "Der Narr" heißt das Buch, und Roman steht als Gattungsbezeichnung darunter. "Eine Schwejkiade im realsozialistischen Alltag" titelt die Pressemitteilung des Verlages. "Ein kluger und charmanter Schelmenroman" steht auf dem Umschlag des bisher dicksten Buches, das der ehemalige DDR-Dissident und Liedersänger Stephan Krawczyk schrieb. Es beginnt wirklich wie eine lustige Anekdotensammlung aus dem realsozialistischen Armeealltag, deren düsteren Hintergrund der Autor allmählich entfaltet. Die DDR-Armee lebte für den Ernstfall, sofern sie nicht an der Westgrenze Flüchtlinge am Verlassen des Landes zu hindern hatte.
Unsere schweren Lastkraftwagen rissen Häuser ein, wenn sie auf einer Übung durch die Dörfer fuhren. Eine Kompanie Bauarbeiter folgte dem Tross und machte gut, was wieder gut zu machen war.
Und der Genosse Soldat stellt seinen Offizieren immer wieder ganz naive Fragen, die sie in Verlegenheit bringen. Besonders den Hauptmann im politischen Unterricht. Sie seien nur dazu da, den Feind sieben Minuten aufzuhalten.
"Aber Genosse Hauptmann", erwiderte ich, "die Atombombe! Sollen wir sie sieben Minuten lang herumfahren?" Darüber wollte er mit mir während der Parteiversammlung reden, unter Ausschluss der Nichtgenossen. So stand ich also wieder auf ... und stellte mich ganz dumm. Derart hatten andere schon ihre vorzeitige Entlassung erwirkt. An der breitesten Wand des Klubraums ließ der Stabschef eine strategische Karte entrollen und erläuterte umständlich, warum wir nach sieben Minuten von den Atomwaffen des Großen Bruders, der Sowjetunion, zerstäubt würden." Fröhlich stur trainiert sich eine Armee dem kollektiven Suizid entgegen. Und der Stabschef ruft im Atomschutzanzug: "Jetzt kann die Atombombe kommen!" Nur die Reinigungskraft hat keinen Anzug und beschwert sich. Was sie machen soll, wenn die Bombe fällt? "Na, Frau Bühring", empfiehlt der Stabschef, "da gehn sie auf dem schnellsten Weg nach Hause." Die allgemeinen absurden Konsequenzen militärischen Gehorsams vermischen sich mit den besonderen ideologischen Vorgaben der DDR-Armee. Die lange Passage zur NVA ist brillant und erinnert an die besten Stellen in der Prosa eines Erich Loest und Jürgen Fuchs. Bei Krawczyk kommt ein Mehr an Komik dazu – und dennoch löst sich nicht alles auf in Heiterkeit. Insofern ist der Hinweis auf Thomas Brussig im Klappentext irreführend. Krawczyk verführt den Leser durch vermeintliche Nostalgie und demontiert diese mit lässiger Geste ganz nebenbei. Nur die Passage über die Anwerbeversuche der Staatssicherheit und die sich blöd stellende Art des nur scheinbar gesprächsbereiten Erzählers bleibt auf der Ebene der bloßen Cleverness. Geschickt und dicht geschrieben – wie das gesamte Buch –, aber scheinbar frei von Angst. "Der Narr" funktioniert wie ein Episodenroman, jemand erlebt zuerst die Armee, dann das einfache Leben in einer dörflich und proletarisch geprägten Kleinststadt. Und sicher gehört es zum schelmischen Gestus dieses Buchs, den Leser in einen Roman zu locken und ihn sich bald in einer reinen Autobiografie wiederfinden zu lassen. Stephan Krawczyk erhielt 1980 die DDR-amtliche Zulassung als Liedermacher, erlebte eine kurze offiziöse DDR-Karierre und eine etwas längere mit der Regisseurin Freya Klier in der DDR-Opposition, die beide in Westmedien und bei mutigeren Pfarrern der DDR zum Geheimtipp werden ließ. 1988 wurde er verhaftet und die Regisseurin wegen ihrer energischen Proteste gegen seine Verhaftung auch – beide wurden spätestens durch ihre - für Stephan Krawczyk nicht gewollte – Ausbürgerung in die Bundesrepublik öffentlich bekannt. An solchen Stellen vergisst der Verfasser dann doch öfter, lustig zu sein – gerade dadurch erstarrt der Text nicht in einer mentalen stilistischen Routine.
Man muss die meist unverschlüsselt auftauchenden Mitstreiter aus der DDR-Dissidenz nicht kennen, der Text funktioniert auch, wenn man alle für erfundene Figuren hält. Wer die Akteure kennt, kann zusätzlich zum Lesevergnügen den Band als Forschungsmaterial über Entstehen und Alltag der angepassten Künstlerszene bis hin zum Selbstverständnis des DDR-Widerstandes auswerten. Das Verhältnis zur Kirche, die Rolle der Westkorrespondenten, die Spannungen der DDR-kritischen Gruppen untereinander, die psychologischen Manipulationen eines vertrauten Anwalts – das alles bietet eine Fundgrube für weiterführende Fragen und liefert doch schon manche Antwort. Da sind einfühlsame Kurzporträts (so über den aus Jena stammenden SFB-Journalisten Roland Jahn) und sarkastische im Wechsel zu besichtigen. Bei letzteren greift der Autor doch auf Verfremdungen zurück und liefert manch köstliche Karrikatur. Etwa wenn der Szene-Spitzel-Dichter Sascha Anderson als weibliche Mascha Anders auftritt:
Mascha Anders schaffte es auch bei dieser Feier, eine Atmosphäre zu erzeugen, die an die gedämpfte Ausgelassenheit jüngst geschlagener Kinder erinnerte. Die Künstler-Szene des Prenzlauer Berg stand in Grüppchen umher und sah eifersüchtig danach, wenn Mascha gerade den Vorzug gab.
Manchmal zwingt der Anspruch auf Wahrhaftigkeit den Autor ein wenig auszufransen. So schildert er die im Grunde desinteressierte Blassiertheit eines in der DDR akkreditierten West-Journalisten mit spöttischer Distanz - um dann doch ein paar Namen von Journalisten nüchtern folgen zu lassen, mit denen er gut zusammengearbeitet habe. Interessant auch der Streit in der Kneipe "Oderkahn" – zwei verfeindete Gruppen der DDR-Opposition will der schon verbotene Liedersänger zusammenbringen. Der Autor sagt zum zuvor einfühlsam geschilderten Bürgerrechtler Ralf Hirsch, dass ihm an einem Punkt im Umgang mit den Westmedien die Argumente ausgegangen seien. Alle scheinen, laut Krawczyk, für den verbesserten Sozialismus zu sein. Aber der Schein trügt möglicherweise - und wer den Realsozialismus nur noch ärgern will, findet seine Argumente einfach zu destruktiv, um sie halb-öffentlich vorzubringen.
Als es mit der DDR zu Ende ging, fragten viele, wie nun Autoren und Dissidenten mit dem Verlust ihres DDR-Themas fertig würden. Stephan Krawczyk fing nach dem Ende der DDR erst an, Prosa zu schreiben. Mehrere literarische Titel liegen vor. Und nun eine Autobiografie im politischen Klartext, mit literarischen Ambitionen und einigen Kabinettstückchen bezüglich realsozialistischer Absurdität. Ein erfrischend selbstironisches Buch auch, das die DDR entzaubert und gleichzeitig als Rätsel fortwirken lässt. Das Nebeneinander von Komischem, Banalem, Bedrohlichem und Raffiniertem fand im verflossenen Staate DDR schon ein ganz eigenes Koordinatensystem. Wer dieses Buch gelesen hat, versteht das besser.
Stephan Krawczyk: "Der Narr. Roman." Veröffentlicht im Pendo Verlag, Zürich, 304 Seiten zum Preis von 19,90.
Unsere schweren Lastkraftwagen rissen Häuser ein, wenn sie auf einer Übung durch die Dörfer fuhren. Eine Kompanie Bauarbeiter folgte dem Tross und machte gut, was wieder gut zu machen war.
Und der Genosse Soldat stellt seinen Offizieren immer wieder ganz naive Fragen, die sie in Verlegenheit bringen. Besonders den Hauptmann im politischen Unterricht. Sie seien nur dazu da, den Feind sieben Minuten aufzuhalten.
"Aber Genosse Hauptmann", erwiderte ich, "die Atombombe! Sollen wir sie sieben Minuten lang herumfahren?" Darüber wollte er mit mir während der Parteiversammlung reden, unter Ausschluss der Nichtgenossen. So stand ich also wieder auf ... und stellte mich ganz dumm. Derart hatten andere schon ihre vorzeitige Entlassung erwirkt. An der breitesten Wand des Klubraums ließ der Stabschef eine strategische Karte entrollen und erläuterte umständlich, warum wir nach sieben Minuten von den Atomwaffen des Großen Bruders, der Sowjetunion, zerstäubt würden." Fröhlich stur trainiert sich eine Armee dem kollektiven Suizid entgegen. Und der Stabschef ruft im Atomschutzanzug: "Jetzt kann die Atombombe kommen!" Nur die Reinigungskraft hat keinen Anzug und beschwert sich. Was sie machen soll, wenn die Bombe fällt? "Na, Frau Bühring", empfiehlt der Stabschef, "da gehn sie auf dem schnellsten Weg nach Hause." Die allgemeinen absurden Konsequenzen militärischen Gehorsams vermischen sich mit den besonderen ideologischen Vorgaben der DDR-Armee. Die lange Passage zur NVA ist brillant und erinnert an die besten Stellen in der Prosa eines Erich Loest und Jürgen Fuchs. Bei Krawczyk kommt ein Mehr an Komik dazu – und dennoch löst sich nicht alles auf in Heiterkeit. Insofern ist der Hinweis auf Thomas Brussig im Klappentext irreführend. Krawczyk verführt den Leser durch vermeintliche Nostalgie und demontiert diese mit lässiger Geste ganz nebenbei. Nur die Passage über die Anwerbeversuche der Staatssicherheit und die sich blöd stellende Art des nur scheinbar gesprächsbereiten Erzählers bleibt auf der Ebene der bloßen Cleverness. Geschickt und dicht geschrieben – wie das gesamte Buch –, aber scheinbar frei von Angst. "Der Narr" funktioniert wie ein Episodenroman, jemand erlebt zuerst die Armee, dann das einfache Leben in einer dörflich und proletarisch geprägten Kleinststadt. Und sicher gehört es zum schelmischen Gestus dieses Buchs, den Leser in einen Roman zu locken und ihn sich bald in einer reinen Autobiografie wiederfinden zu lassen. Stephan Krawczyk erhielt 1980 die DDR-amtliche Zulassung als Liedermacher, erlebte eine kurze offiziöse DDR-Karierre und eine etwas längere mit der Regisseurin Freya Klier in der DDR-Opposition, die beide in Westmedien und bei mutigeren Pfarrern der DDR zum Geheimtipp werden ließ. 1988 wurde er verhaftet und die Regisseurin wegen ihrer energischen Proteste gegen seine Verhaftung auch – beide wurden spätestens durch ihre - für Stephan Krawczyk nicht gewollte – Ausbürgerung in die Bundesrepublik öffentlich bekannt. An solchen Stellen vergisst der Verfasser dann doch öfter, lustig zu sein – gerade dadurch erstarrt der Text nicht in einer mentalen stilistischen Routine.
Man muss die meist unverschlüsselt auftauchenden Mitstreiter aus der DDR-Dissidenz nicht kennen, der Text funktioniert auch, wenn man alle für erfundene Figuren hält. Wer die Akteure kennt, kann zusätzlich zum Lesevergnügen den Band als Forschungsmaterial über Entstehen und Alltag der angepassten Künstlerszene bis hin zum Selbstverständnis des DDR-Widerstandes auswerten. Das Verhältnis zur Kirche, die Rolle der Westkorrespondenten, die Spannungen der DDR-kritischen Gruppen untereinander, die psychologischen Manipulationen eines vertrauten Anwalts – das alles bietet eine Fundgrube für weiterführende Fragen und liefert doch schon manche Antwort. Da sind einfühlsame Kurzporträts (so über den aus Jena stammenden SFB-Journalisten Roland Jahn) und sarkastische im Wechsel zu besichtigen. Bei letzteren greift der Autor doch auf Verfremdungen zurück und liefert manch köstliche Karrikatur. Etwa wenn der Szene-Spitzel-Dichter Sascha Anderson als weibliche Mascha Anders auftritt:
Mascha Anders schaffte es auch bei dieser Feier, eine Atmosphäre zu erzeugen, die an die gedämpfte Ausgelassenheit jüngst geschlagener Kinder erinnerte. Die Künstler-Szene des Prenzlauer Berg stand in Grüppchen umher und sah eifersüchtig danach, wenn Mascha gerade den Vorzug gab.
Manchmal zwingt der Anspruch auf Wahrhaftigkeit den Autor ein wenig auszufransen. So schildert er die im Grunde desinteressierte Blassiertheit eines in der DDR akkreditierten West-Journalisten mit spöttischer Distanz - um dann doch ein paar Namen von Journalisten nüchtern folgen zu lassen, mit denen er gut zusammengearbeitet habe. Interessant auch der Streit in der Kneipe "Oderkahn" – zwei verfeindete Gruppen der DDR-Opposition will der schon verbotene Liedersänger zusammenbringen. Der Autor sagt zum zuvor einfühlsam geschilderten Bürgerrechtler Ralf Hirsch, dass ihm an einem Punkt im Umgang mit den Westmedien die Argumente ausgegangen seien. Alle scheinen, laut Krawczyk, für den verbesserten Sozialismus zu sein. Aber der Schein trügt möglicherweise - und wer den Realsozialismus nur noch ärgern will, findet seine Argumente einfach zu destruktiv, um sie halb-öffentlich vorzubringen.
Als es mit der DDR zu Ende ging, fragten viele, wie nun Autoren und Dissidenten mit dem Verlust ihres DDR-Themas fertig würden. Stephan Krawczyk fing nach dem Ende der DDR erst an, Prosa zu schreiben. Mehrere literarische Titel liegen vor. Und nun eine Autobiografie im politischen Klartext, mit literarischen Ambitionen und einigen Kabinettstückchen bezüglich realsozialistischer Absurdität. Ein erfrischend selbstironisches Buch auch, das die DDR entzaubert und gleichzeitig als Rätsel fortwirken lässt. Das Nebeneinander von Komischem, Banalem, Bedrohlichem und Raffiniertem fand im verflossenen Staate DDR schon ein ganz eigenes Koordinatensystem. Wer dieses Buch gelesen hat, versteht das besser.
Stephan Krawczyk: "Der Narr. Roman." Veröffentlicht im Pendo Verlag, Zürich, 304 Seiten zum Preis von 19,90.